Konjunktur/Spanien/EWU/Rezession: Rezession oder nicht Rezession, das ist hier die Frage

Die gängige Definition einer Rezession ist, dass eine Volkswirtschaft zwei aufeinanderfolgende Quartale negative Wachstumsraten aufweist – gegenüber dem Vorjahresquartal. Die Wirtschaftsleistung sinkt also. Warum aber gilt umgekehrt nicht, dass eine Volkswirtschaft zwei aufeinanderfolgende Quartale positive Wachstumsraten aufweisen muss, um ein Ende der Rezession zu attestieren? Diese Frage scheint sich noch kein Wirtschaftswissenschaftler gestellt zu haben. Die Berichterstattung zur Konjunktur in der Europäischen Währungsunion (EWU) und zuletzt heute zur Entwicklung in Spanien macht diese Frage aber virulent.

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So melden die Nachrichten heute, dass Spanien seine zweijährige Rezession überwunden hat, weil die Wirtschaftsleistung im dritten Quartal um 0,1 Prozent zugelegt hat – gegenüber Vorquartal. Gegenüber dem Vorjahresquartal war die Entwicklung jedoch weiterhin negativ (-1,2%), wie ein Blick auf die Internetseite des spanischen Amts für Statistik zeigt.

Beispielhaft die Nachrichten aus dem Deutschlandfunk hierzu:

“Die spanische Wirtschaft hat die Rezession vorerst überwunden und erstmals seit zwei Jahren wieder Wachstum erzielt. Nach Angaben der Statistik-Behörde INE stieg das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal um 0,1 Prozent. Die Verbraucherpreise gingen im Oktober im Jahresvergleich um 0,1 Prozent zurück. Damit erreichte die Inflationsrate den niedrigsten Stand seit vier Jahren.”

Nicht einmal laut gängiger Definition ist die spanische Wirtschaft also aus der Rezession herausgewachsen. Darüber hinaus sind 0,1 Prozent kaum messbar und liegen absolut im Bereich der Fehlerbandbreite bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP). 1,2 Prozent sind da schon verlässlicher. Und noch eine wichtige Botschaft hält der Vorjahresquartalsvergleich bereit:

“The GDP annual variation in the second quarter 2013 was –1.2%, as compared to the –1.6% registered in the second quarter. This result was basically caused by a negative contribution in the domestic demand, which was compensated partially by a positive contribution of the external demand.”

Schreibt das spanische Amt für Statistik ebenda. Die sinkende Wirtschaftsleistung ist also darauf zurückzuführen, dass der negative Wachstumsbeitrag der Inlandsnachfrage nicht kompensiert werden konnte durch den positiven Beitrag der Auslandsnachfrage. Die Entwicklung in Spanien weist also ein weiteres Mal auf das Scheitern der Austeritätspolitik hin, die auf staatliche Ausgabenkürzungen und Lohnkürzungen setzt, um die Wettbewerbsfähigkeit nach außen zu stärken. Das Exportwachstum, das dadurch generiert wird, kann jedoch nicht den Einbruch der Binnennachfrage ausgleichen. Davor haben wir seit langem und immer wieder gewarnt. Der Anteil des Außenhandels an der Wirtschaftsleistung insgesamt ist zu gering. Und eine Politik, die mit Sozial- und Lohnkürzungen versucht, ihre “Wettbewerbsfähigkeit” zu steigern, kann nicht nachhaltig sein, denn sie zerstört Wohlstand und untergräbt auf diesem Weg auch das politische System. Nachhaltig und im außenwirtschaftlichen Gleichgewicht lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit nur durch produktivitätssteigernde Investitionen und Investitionen in neue Produkte erhöhen, die dann auch die Grundlage für Wohlstandssteigerungen liefern.

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Wir hatten eine identische Berichterstattung für die Entwicklung der EWU insgesamt im 2. Quartal des laufenden Jahres. Sie wies jedoch denselben Fehler auf, wie die heute für Spanien. Auch die EWU war im zweiten Quartal mit einem Minus von 0,6 Prozent gegenüber Vorjahresquartal laut gängiger Definition noch nicht aus der Rezession herausgewachsen, und auch ein Wachstum von 0,3 Prozent gegenüber Vorperiode liegt absolut in der Fehlerbandbreite bei der Berechnung des BIP.

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Darüber hinaus gibt es nach meinem Dafürhalten kein Argument, das stichhaltig begründen könnte, warum man den Beginn einer Rezession anders messen sollte, als deren Ende. Folglich sollte auch ein Ende der Rezession erst gelten, wenn die Volkswirtschaft wieder zwei Quartale positive Wachstumsraten ausweist, oder es müsste gelten, dass bereits ein Quartal im Minus gegenüber Vorjahresquartal als Beginn einer Rezession gilt; dann ist es auch stimmig, das Ende einer Rezession nach einem Quartal im Plus zu verkünden.

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