Mindestlohn/Zeitungszusteller: Wie Zeitungsverleger die Pressefreiheit missbrauchen – und wie LeserInnen darauf antworten können

Wenn sich die in Geld schwimmenden Zeitungsverleger tatsächlich mit ihrer menschenfeindlichen und die Existenz ihrer Mitarbeiter gefährdenden Forderung durchsetzen sollten, dass diejenigen, die ihr gewinnträchtiges Produkt austragen, die Zeitungszusteller, vom geplanten, ohnehin kargen Mindestlohn von 8,50 Euro ausgenommen werden, schlage ich hier schon einmal einen Boykott aller Zeitungen vor, die nicht nachweisen, dass sie ihren Zustellern 8,50 Euro zahlen und empfehle umso mehr, Wirtschaft und Gesellschaft – Analyse & Meinung zu abonnieren. Indem die Zeitungsverleger ihre brutale Ausbeutung auch noch mit der Verteidigung der Pressefreiheit zu verteidigen suchen, verhöhnen sie nicht nur die betroffenen Menschen, sondern die Pressefreiheit gleich mit.

“Etliche Zeitungen seien dann in ihrer Existenz bedroht. Damit sei aber die Informationsvielfalt und letztlich die Pressefreiheit in Gefahr”, ist im Handelsblatt hierzu zu lesen. Welche “Informationsvielfalt”, werde sicherlich nicht nur ich mich fragen. Und wenn sich die reichen und mächtigen Verlagshäuser tatsächlich um die Pressefreiheit sorgen, sollten sie dann nicht erst einmal ihrer eigene Berichterstattung hinterfragen? Soviel wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Einheitsbrei in einem Land der Pressefreiheit? (1)

Dazu passt dann auch der “Anwalt”, dessen sich die Zeitungsverleger bedienen, der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio. 2005 hat er den von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) vergebenen Preis “Reformer des Jahres” erhalten. Die INSM wird von Arbeitgeberverbänden getragen und betreibt unter dem Deckmantel der “Freiheit” knallharte, antisoziale Propaganda. Die Arbeitgeberverbände und die INSM schaden damit im übrigen nicht nur den Arbeitnehmern und dem Gemeinwohl, sondern auch der Mehrzahl der kleinen und mittelständischen Betriebe, indem sie ihnen die notwendige Kaufkraft entziehen und sie einer zerstörerischen Lohnkonkurrenz aussetzen.

“Die freie Presse ist privatwirtschaftlich organisiert, und das ist eine wesentliche Voraussetzung für kritische Meinungsbildung”, zitiert das Handelsblatt di Fabio. “Deshalb”, so di Fabio weiter, “darf es dem Gesetzgeber nicht gleichgültig sein, wie sich seine Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die wirtschaftlichen Grundlagen der Pressefreiheit auswirkt.” Müsste sich ein seriöser Verfassungsjurist aber angesichts der unübersehbar einseitigen Ausrichtung der Medien bei wirtschafts- und sozialpolitischen Themen nicht viel eher fragen, wie es um die Pressefreiheit in den Redaktionen bestellt ist, und wie sich das auf die Politik auswirkt? Dass di Fabio und die Zeitungsverleger stattdessen die Pressefreiheit vergewaltigen, indem sie sie als Freiheit zur Ausbeutung ihrer Mitarbeiter auslegen und in Stellung bringen, ist nun wirklich abscheulich.

Der wenigstens in dieser Frage sicherlich unverdächtige Giovanni di Lorenzo schrieb im November 2012: “Bis zum vorigen Jahr brachten viele Titel allerdings Renditen, von denen Dax-Unternehmen nur träumen können und die wohlweislich nicht öffentlich gemacht wurden.” (2) Und im Mai vergangenen Jahres war erneut von “traumhaften Renditen für Zeitungsverlage” die Rede. Der Medienökonom Frank Lobigs äußerte sich gegenüber Deutschlandradio Kultur hierzu mit folgenden Angaben:

“Der ´Spiegel´-Verlag bedauerte, dass er nur 15 Prozent statt wie im Vorjahr 20 Prozent Umsatzrendite gemacht hat. Das sind enorme Zahlen. Da wird eine Krise draus gemacht. Die ´Braunschweiger Zeitung´ liegt bekanntlich bei 20 Prozent Rendite, eine ganz normale Regionalzeitung. Das sind Renditen, da können andere Unternehmen nur von träumen! Wenn Sie normale Großunternehmen nehmen, dann haben die eine Durchschnittsrendite von vier Prozent. Die Verlage liegen beim Dreifachen oder Vierfachen davon.”

(1) Siehe dazu aktuell auch hier.

(2) Siehe auch unsere Serie zur “Zeitungskrise” hier.

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