Erschienen am 20.07.2011 in der Freitag:
Das Erbe von Hartz IV
„Gehälter sinken im Aufschwung“, überschreibt die Berliner Zeitung einen Bericht über bisher unveröffentlichte Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zur Lohnentwicklung seit der Jahrtausendwende. Besonders betroffen: die unteren Einkommensgruppen. Sie hatten im Jahr 2000 noch 16 bis 22 Prozent mehr in der Tasche als 2010. Auf den Punkt gebracht: Bei einem Nettoeinkommen von 1000 Euro wäre dies bereits ein monatlicher Verlust von 160 bzw. 220 Euro! Die realen Nettoeinkommen der Besserverdienenden seien hingegen leicht gestiegen, Einkommen- und Vermögenseinkommen sogar kräftig.Woran liegt´s? Und vorweg die Frage: Kann es überhaupt einen Aufschwung bei sinkenden Löhnen und Gehältern geben?Aufschwung bei sinkenden Löhnen – geht das?Die Arbeitnehmerentgelte belaufen sich mit rund 1.260 Mrd. Euro auf rund 66 Prozent des deutschen Volkseinkommens. Keiner anderen Größe unserer Volkswirtschaft kommt eine vergleichbare Bedeutung zu. Zum Vergleich: Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen haben mit 642 Mrd. Euro nur halb so viel Gewicht. Während aber die Arbeitnehmerentgelte im vergangenen Jahr lediglich um 2,8 Prozent gewachsen sind, griffen die Unternehmen und Vermögenden beherzter zu: Ihre Einkommen stiegen um über 13 Prozent.
„Die Wirtschaft ist seit der Jahrtausendwende ordentlich gewachsen“, zitiert die Berliner Zeitung nun den DIW-Verteilungsforscher Markus Grabka. Das kann aber „theoretisch“ schwerlich sein, legt man die oben aufgezeigte Bedeutung der Arbeitnehmerentgelte und die von Grabka selbst problematisierte Lohnentwicklung zugrunde. „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“, soll schon der alte David Ricardo, Klassiker der Volkswirtschaftslehre, gesagt haben. Das Statistische Bundesamt weist dann auch in einer seiner aktuellsten Veröffentlichungen zum „Bruttoinlandsprodukt 2010 für Deutschland“ nur ein mageres Durchschnittswachstum von 0,9 Prozent pro Jahr für den Zeitraum 1999 bis 2009 aus und relativiert gleichzeitig das Wachstum von über 3,6 Prozent im vergangenen Jahr: Ist die Wirtschaft im Jahr zuvor doch um 4,7 Prozent eingebrochen.
Hartz IV schlägt zurück
Doch nun zu den Ursachen: „Das Imperium schlägt zurück“, heißt der vielleicht
berühmteste Teil einer amerikanischen Science Fiction Serie. Keine Fiktion, aber durchaus ein gegen die Arbeitnehmer gerichtetes „Imperium“ ist die unter rot-grüner Regierungsverantwortung entstandene Hartz-IV-Gesetzgebung. Deren entscheidende Wirkung: Angst. Angst, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit jeden Job annehmen zu müssen. Angst, sein mühsam Erspartes offen legen zu müssen. Das ist nicht neu – aber eben immer noch virulent.
Eine zweite Ursache: Schwache Gewerkschaften. Eine durch Hartz IV unter Druck geratene Arbeitnehmerschaft ist natürlich keine gute Basis für selbstbewusste Lohnverhandlungen. Das allein wäre aber zu kurz gegriffen. Die Gewerkschaften selbst haben bis zuletzt zu wenig unternommen, um dieses „Imperium der Angst“
zurückzuschlagen. Zunächst sind sie selbst auf die „Logik“ von Hartz IV hereingefallen: Auch sie meinten „Löhne für Beschäftigung reservieren“ zu können. Mit anderen Worten: Auch sie hofften, dass Lohnsteigerungen unterhalb des Produktivitätszuwachses Arbeitsplätze sichern bzw. schaffen können. Diese Position wurde zwar mittlerweile aufgegeben, freilich ohne entsprechende Erfolge bei Lohnverhandlungen. Wer aber noch, wie DGB-Chef Sommer, im Jahr 2011 gemeinsam mit SPD-Chef Gabriel zum 1. Mai einen Beitrag in der FAZ unter der Überschrift „Der Arbeit ihren Wert zurückgeben“ verfasst, ohne Hartz IV grundsätzlich in Frage zu stellen und seinen Ko-Autor auf dessen Verantwortung für die Misere im Niedriglohnbereich hinzuweisen, hat die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt.
Sommer betreibt nicht nur Schönfärberei; er verweist auch auf eine dritte Ursache: Die ungesunde Symbiose zwischen Gewerkschaften und SPD, die sich bis heute nicht zu einer Aufarbeitung und Neujustierung ihrer Politik durchringen konnte.
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