Das Geld vermehrt sich, wenn man es den Reichen wegnimmt (28.08.2011)

Eine Replik auf Harald Martensteins Kolumne “Das Geld der Reichen reicht nicht ewig”

„Sorry, ich habe damit ein logisches Problem“, entschuldigt sich Harald Martenstein auf der ersten Seite der Sonntagsausgabe des Berliner Tagesspiegels. In der Überschrift seiner Kolumne warnt er: „Das Geld der Reichen reicht nicht ewig“. Die beginnt mit einer absatzlangen Aufreihung vorurteilsbeladener Plattitüden über „die linken Parteien“. „Geld ist genug da“, würden die immer sagen und „man muss die Reichen quetschen, bis sie quietschen.“

Hab ich da etwas verpasst, denke ich und schrecke auf. Eine kurze Internet-Recherche beruhigt mich aber. Weder beherrschen „linke Parteien“ die Politik- und Medienlandschaft in Deutschland, noch finde ich auch nur bei einer der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien die Forderung „man muss die Reichen quetschen, bis sie quietschen.“ Das hätte mich auch gewundert. Da sind Martenstein wohl die ideologischen Pferde durchgegangen. Oder gilt es jetzt schon als schick, sich als Neoliberaler zu outen, nur weil einige Konservative beginnen, den Linken Recht zu geben?

Martenstein formuliert sein „logisches Problem“ so: „Wenn man den Reichen ihr Geld wegnimmt, kann man für eine gewisse Weile auf die gewohnte Weise weiterwirtschaften, gewiss. Aber was tut man, wenn das Geld der Reichen aufgebraucht ist? Neue Reiche dürften ja wohl kaum nachwachsen, in dem total gerechten System des Sozialismus. Es hat keiner mehr Lust, reich zu werden, wenn man ihm sofort alles wieder wegnimmt. Also, nach drei oder meinetwegen 20 Jahren ist das Geld der Reichen aufgebraucht – und dann? Was tut man dann? Diese Frage hätte ich gern beantwortet?“

Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Diese Frage stellt sich gar nicht, sobald man den Wirtschaftskreislauf ohne ideologische Scheuklappen nachvollzieht. Die Ausführungen von Martenstein, sein Verständnis von Ökonomie, verlangen aber allein schon nach einer Antwort bzw. Richtigstellung. Hier ein Versuch:

Wenn man Geld, wie Martenstein befürchtet, „den Reichen wegnimmt“ – und also gerade nicht „auf die gewohnte Weise weiterwirtschaftet“ –, indem man beispielsweise den Spitzensteuersatz von derzeit 42 Prozent wieder auf die unter Altkanzler Kohl geltenden 53 Prozent anhebt und die schon einmal erhobene, dann aber ausgesetzte Vermögenssteuer wieder erhebt, würde dieses Geld nicht von irgendjemandem „aufgebraucht“, sondern – im Gegenteil – vermehrt: So könnte der Staat – Bund, Länder und Kommunen – die dann höheren Steuereinnahmen zum Beispiel für dringend benötigte Infrastrukturvorhaben, Bildung und Forschung ausgeben. Die damit verbundenen Aufträge an private Unternehmen und öffentliche Einrichtungen sorgen für zusätzliche Produktion, Beschäftigung und Einkommen.

Dieser in der Volkswirtschaftslehre als Multiplikatoreffekt geläufige Zusammenhang sorgt durch die darüber gesteigerte gesamtwirtschaftliche Aktivität wiederum beim Staat selbst für weiter wachsende Steuereinnahmen – und sinkende Ausgaben für Arbeitslosigkeit und andere soziale Leistungen, die damit in Verbindung stehen.

Aufgrund der höheren wirtschaftlichen Aktivität ist es, anders als Martenstein mutmaßt, auch durchaus wahrscheinlich, dass „neue Reiche nachwachsen“ – ob sie wollen oder nicht. Und wer bitte glaubt schon allen Ernstes daran, dass in unserer Welt, in der Reichtum so viel zählt, ja, das Geld die Welt regiert, plötzlich keiner mehr Lust hat, reich zu werden, nur weil dann etwas höhere Steuern zu zahlen sind, wie Martenstein mault. Lächerlich.

Da „die Reichen“ weniger aus ihrem Einkommen konsumieren als „die Armen“, gilt außerdem, dass jener Multiplikatoreffekt umso stärker seine Wirkung entfaltet, je kräftiger die niedrigen und mittleren Einkommen profitieren.

Für Martenstein beweist die Finanz- und Wirtschaftskrise lediglich, „dass auch ein Staat nicht jahrzehntelang mehr Geld ausgeben kann, als er einnimmt.“ „Die Schulden sind das Problem, nicht die Geldverleiher. Und weil man die Einnahmen nicht beliebig erhöhen kann, führt an einem noch sparsameren Staat kein Weg vorbei“, meint Martenstein.

„Die Geldverleiher“, damit können doch wohl nur die Banken gemeint sein. Dass deren Misswirtschaft in vielen Ländern erst zu der hohen öffentlichen Verschuldung beigetragen hat, weil Finanzminister, die so viel von Wirtschaft verstehen wie Harald Martenstein, meinten, diese für viel Geld retten zu müssen, nur um sie danach gleich wieder „auf die gewohnte Art und Weise weiterwirtschaften“ zu lassen, das ist Martenstein offensichtlich entgangen. Interessant auch, dass Martenstein meint, man könne die Einnahmen nicht beliebig erhöhen, wohl aber die Ausgaben beliebig senken.So ideologisch aufgeladen, wirkt es schon fast komisch, wenn Martenstein nun auch noch die DDR bemüht, um sich zu bestätigen.Martensen schreibt: „Ich glaube, die Geschichte der DDR bietet wertvolle Hinweise auf das, was passiert, wenn man den Reichen ihr Geld wegnimmt und einfach mal eine Weile nur von der historischen Substanz lebt.“Einmal abgesehen davon, dass es, soweit ich weiß, um die ”historische Substanz” in der DDR nicht allzu gut bestellt war: Wer würde bestreiten – nicht nach einem Blick in die offizielle Statistik jedenfalls –, dass es sich im wiedervereinigten Deutschland gerade umgekehrt verhält: Weil die Bundesregierungen spätestens seit rot-grün unter Schröder den Reichen hemmungslos das Geld hinterherwerfen, lebt Deutschland tatsächlich nunmehr seit langem schon von seiner historischen Substanz. Von der historischen Substanz lebt nämlich der, dessen Abschreibungen die Nettoinvestitionen übersteigen. Dies ist in Deutschland bei den Investitionen des Staates seit 2003 der Fall. Hierauf weist ganz aktuell selbst eine Studie des jedes Sozialismus unverdächtigen Instituts der Deutschen Wirtschaft hin, die von dem ebenfalls bisher nicht durch linkes Gedankengut aufgefallenen Bundesverband der Deutschen Industrie und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und Unternehmensberatung PwC herausgegeben wurde. Darin heißt es:

“Die öffentlichen Abschreibungen liegen seit 2003 Jahr für Jahr über den Nettoinvestitionen. Der öffentliche Kapitalstock schwindet sichtlich. Nirgendwo sonst in der EU ist die Investitionstätigkeit der Gebietskörperschaften bezogen auf das BIP so gering wie in Deutschland. Auch in den USA und Japan liegt der Anteil am BIP deutlich höher. Die Unterschiede zu anderen vergleichbaren Ländern sind dabei nicht nur graduell, sondern fundamental.” Noch Fragen?

Da ist es nur konsequent, wenn Martenstein in Sachen Europa und der Frage von Eurobonds „Solidarität“ abschätzig mit „Feigheit“ übersetzt. Er meint damit die Angst davor – andere, mich eingeschlossen, würden von Verantwortung sprechen –, Krisenländer mit harten Sparmaßnahmen zu sanieren, und vergleicht diese mit einer „Pleitefirma“. Dass die bisherigen Sparmaßnahmen den betroffenen Ländern neue Wachstumseinbrüche und – anders als beabsichtigt, aber vorhersehbar – höhere Schulden beschert haben, kümmert Martenstein nicht.

Martenstein selbst ängstigt sich schließlich, „dass am Ende dieses ganzen Schlamassels ein autoritäres System steht oder ein Kampf von allen gegen alle.“ Führt aber der von Martenstein favorisierte Weg zu einem “noch sparsameren Staat” nicht geradewegs dorthin?

Gleichzeitig beklagt er aber, „wie schwierig es ist, in einer Demokratie Dinge zu tun, die notwendig sind, die aber allen wehtun und deswegen möglicherweise keine Wählerstimmen bringen.“ Ist das von Martenstein aber nicht gerade sehr autoritär gedacht? Das ist es! Einmal abgesehen davon, dass sich die Regierungen spätestens seit Schröder einen Teufel um die Stimmung der Bevölkerungsmehrheit geschert haben.

Und schlimm genug: Schon diese kurze Auseinandersetzung mit Martensteins Behauptungen zeigt, dass vieles, wenn nicht alles, was Martenstein in dieser Kolumne schreibt, falsch oder zumindest widersprüchlich ist. Ob dies der Tagesspiegel wohl druckt? Es muss ja nicht gleich die Seite Eins sein.


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