Der Gralshüther – eine Replik auf Michael Hüthers “Schuldenbremse für alle!”(14.08.2011)

Zur Hochzeit der Finanz- und Wirtschaftskrise – oder sprechen wir in Anbetracht der gegenwärtigen Ereignisse besser von der vorherigen Finanz- und Wirtschaftskrise – war es still um ihn geworden. Fast hatten wir ihn schon vergessen, immerhin einen der bekanntesten Gralshüter der deutschen Volkswirtschaftsleere (kein Schreibfehler!). Jetzt meldet er sich zurück: Michael Hüther, seines Zeichens Direktor des arbeitgebernahen Instituts bzw. Lobbyvereins der deutschen Wirtschaft in Köln und Honorarprofessor an der European Business School in Oestrich-Winkel. Das Schwert, mit dem sich dieser – um im Bild zu bleiben – schwarze Ritter deutscher Ökonomenzunft gleichsam schützend vor die ganze Welt stellt: Die Schuldenbremse. Sein Schlachtruf: “Schuldenbremse für Alle!” Sein Anspruch: “Eine genaue Analyse der Ursachen.” Nichts Geringeres als eine “grundsätzliche Neubewertung der Staatsverschuldung” verlangt Hüther und sagt einen “Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik” voraus. Sein Paradigma klingt allerdings ziemlich altbacken, und sein Schlachtruf, der seinem Gastbeitrag auf Spiegel-online als Überschrift dient, hat ihn ja auch bereits verraten.

Kein Paradigmenwechsel erkennbar

So schreibt Hüther, “dass im Normalfall auf Konjunkturpolitik zu verzichten ist” und verlangt den ”prinzipiellen Verzicht auf Neuverschuldung”. Was ist daran neu fragt nicht nur der geschulte Volkswirt, sondern sicher auch der in dieser und nicht nur in dieser Hinsicht von nachrichtenarmen Nachrichten geplagte “Normalbürger”. Hüther orakelt: “Die Investoren treiben die Politik zu einer fundamentalen Neubewertung der Staatsverschuldung.” Er meint mit “Investoren” natürlich Spekulanten, Hasardeure an den Aktien-, Kapital- und Rohstoffmärkten. Wirkliche Investoren, die also, die ihr Geld in Maschinen, Anlagen, neue Produktionsprozesse und Produkte stecken, treiben die Politik nirgendwo hin; sie sind selbst Getriebene – nicht zu letzt von der Politik, die per Gesetz die Finanzmärkte soweit dereguliert hat, dass der ganze Wahnsinn, dem wir uns nun schon seit Jahren ausgeliefert sehen, überhaupt erst wie ein Flächenbrand auf die ganze Weltwirtschaft übergreifen konnte.

Wenn das ökonomische Geschehen der vergangenen 20 Jahre in ein Wort gekleidet werden kann, dann heißt dies: Deregulierung. Ein Paradigmenwechsel kann daher nur Regulierung bzw. Reregulierung heißen. Das Wirtschaftsgeschehen, vor allem aber das Gebaren an den Finanzmärkten muss wieder in kontrollierte Bahnen geleitet werden. Genau diese Lehre hat die Politik weltweit – und Deutschland vorneweg – aber nicht aus der letzten Finanzkrise gezogen. Nichts, quasi nichts ist in dieser Hinsicht geschehen bzw. konkret in Gesetze gegossen worden.

Schuldenbremse ist ökonomischer Unfug
Von alledem will Hüther aber nichts wissen. Hüther bleibt seinem – und leider nicht nur seinem, denn sonst müsste man sich mit seinem spleenigen Artikel gar nicht herumschlagen - alten Paradigma treu, wenn er schreibt: “Relative Gewinner im finanzpolitischen Standortwettbewerb werden jene Staaten sein, die wie Deutschland früh gehandelt und bereits Schuldenbremsen eingeführt haben.” Was aber passiert wohl, wenn alle Staaten so rücksichtslos Standortwettbewerb betreiben, alle auf Teufel komm raus ihre Ausgaben gegenüber den Einnahmen zurückfahren wie Deutschland? Im Extremfall stünde die Weltwirtschaft still, denn wenn alle versuchen weniger auszugeben, als einzunehmen, gibt es am Ende nichts mehr einzunehmen: die Ausgaben des Einen sind immer die Einnahmen des Anderen. Mit einem “Volkswirt”, der sich dieser grundsätzlichen Logik verschließt, lohnt es im Grunde genommen gar nicht zu diskutieren. Es ist dennoch notwendig, weil der ökonomische Unfug, wie ihn Hüther verbreitet, keine Einzelmeinung ist, sondern bestimmend in der deutschen Wirtschaftswissenschaft. Das wäre immer noch zu verkraften, wenn sich nicht auch die Politik seit langem gegenüber dieser Auffassung buchstäblich ergeben hätte. Nicht umsonst spricht Hüther von einer “institutionellen Selbstbindung der Politik”. Er meint die jetzt im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Das reicht ihm jedoch nicht: Wenn es nach Hüther geht, soll am deutschen Finanzwesen die ganze Welt genesen. “Insofern hat die Schuldenkrise in jedem Fall ihr Gutes”, so Hüther abschließend. Das aber ist – gemessen an der aufgezeigten Logik von Einnahmen und Ausgaben – ökonomischer Irrsinn und kann nie funktionieren.

Wo ein Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik ansetzen müsste
Es ist in der Tat Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre, wieder die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen – – von Einnahmen und Ausgaben zu bedenken. Hierzu muss sich die Politik zunächst einmal von ihrer gedankenlosen “Selbstbindung” an längst widerlegte Ratgeber befreien. Sie sollte dabei auch nicht davor zurückschrecken, die Schuldenbremse neu zu hinterfragen – sie muss dies früher oder später sowieso tun, wenn die ökonomische Logik sie dazu zwingt. “Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie”, wusste schon David Ricardo, der große englische Ökonom, der, einmal selbst in der Politik, auch nicht davor zurückschreckte, gegen mächtige Interessen zu argumentieren. Das ist allerdings fast 200 Jahre her.

Anmerkung : Am 10. August hat Spiegel online den Gastbeitrag von Michael Hüther “Schuldenbremse für Alle” gebracht. Noch in derselben Nacht habe ich eine Replik an die Redaktion von Spiegel online gesendet, mit der Bitte, diese zu veröffentlichen, habe aber bis heute, 14. August, keine Antwort erhalten. Ich gehe daher davon aus, dass Spiegel online den Beitrag von Michael Hüther lieber nicht hinterfragt haben möchte.


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