Der Kolumnist Wolfgang Münchau schreibt in der Financial Times Deutschland über das unterdurchschnittliche Wirtschaftswachstum in Deutschland, führt dies auf die sinkenden Realeinkommen zurück und fordert eine “Politik, die eine Perspektive auf höhere Einkommen schafft.” Seine erstaunliche Schlussfolgerung, die wohl nur ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler nachvollziehen kann: “Natürlich geht es nicht darum, bei bestehender gesamtwirtschaftlicher Produktivität die Löhne und Gehälter zu erhöhen, das würde nur zur mehr Arbeitslosigkeit führen und die Zukunftsängste eher verschlimmern.” Hierzu ein Kommentar:
Nachdem der Autor treffend aufgezeigt hat, dass es aufgrund sinkender Reallöhne der deutschen Wirtschaft nicht gelingt, wieder auf die Füße zu fallen und er bemerkt, dass die Lohn- hinter die Produktivitätsentwicklung zurückgefallen ist (sinkende Lohnstückkosten), kommt er zu dem Schluss, dass wir eine Politik brauchen, „die eine Perspektive auf höhere Einkommen schafft.“ So weit so gut. Geradezu erfrischend, diese klare Sicht der Dinge. Die Kapriole, die dann aber folgt, ist umso weniger nachvollziehbar. Man ist fast geneigt, an einen Druckfehler zu glauben. Denn nach Meinung des Autors kann es natürlich gerade nicht darum gehen, „bei bestehender Produktivität die Löhne und Gehälter zu erhöhen, das würde nur zur mehr Arbeitslosigkeit führen…“ Zunächst einmal ist es falsch von einer „bestehenden“ Produktivität auszugehen, denn diese hat sich – im Gegensatz zu den Löhnen und Gehältern – Jahr für Jahr verbessert. Sie tut dies auch weiterhin, in Deutschland um durchschnittlich rund 1,5% bis 2%. Das Einzige, was der Autor an der gegenwärtigen Politik der großen Koalition positiv bewertet, ist schließlich „der Versuch, mit höheren Steuern das Defizit zu drücken.“ Um dies zu unterfüttern, geht der Autor wiederum von einer Annahme aus, die zwar in den Lehrbüchern steht, in der Realität, wie bspw. durch die Entwicklung in den USA und England, längst widerlegt ist, nämlich, dass die Bürger in hohen Defiziten zukünftige Steuern sehen und deswegen ihre Einkommenserwartungen und damit auch ihren Konsum weiter zurücknehmen. Auch dass die höheren Steuern – namentlich die geplante Mehrwertsteuererhöhung – den zu Beginn aufgezeigten schwachen Konsum hier und jetzt weiter dämpfen werden, soweit sie zur Konsolidierung des Haushalts verwendet werden, berücksichtigt er nicht. Die wichtigste Maßnahme wäre seiner Ansicht nach dann „eine weitgehende Liberalisierung der Faktormärkte – also des Arbeits- und des Kapitalmarktes. Dass die in den vergangenen Jahren durchaus umfangreichen Liberalisierungen des Arbeits- und Kapitalmarktes sich nicht positiv auf Wachstum und Beschäftigung ausgewirkt haben, wird nicht zur Kenntnis genommen. Wenn der Autor es schließlich als „atemberaubenden Missstand“ beschreibt, „dass Deutschlands Finanzsektor überwiegend nicht privatwirtschaftlich organisiert ist“, scheint er zu übersehen, dass die deutsche Wirtschaft insgesamt überwiegend privatwirtschaftlich organisiert ist, und dass, trotz der Privatisierungswelle der vergangenen Jahre, das Wirtschaftswachstum wie er selbst attestiert unterdurchschnittlich war und ist. Fazit: Die vom Autor richtig vorangestellte wirtschaftliche Wirklichkeit lässt sich nicht mit vorgefertigten aber längst widerlegten angebotsorientierten Denkschablonen richtig interpretieren. Folglich weisen auch die daraus hervorgehenden wirtschaftspolitischen Rezepte in die völlig verkehrte Richtung.
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