“Enttäuschte” Volkswirte sollten ihren Beruf an den Nagel hängen (16.08.2011)

Erst trunken, jetzt ernüchtert

“Das ist eine herbe Enttäuschung.” Und: “Überraschend sei der Rückgang des privaten Konsums.” Mit diesen Worten reagierte Jörg Lüschow von der WestLB laut Spiegel online auf die “Abkühlung” der deutschen Konjunktur. Er sollte seinen Beruf an den Nagel hängen. Peinlich auch die fast wortgetreue Einschätzung des Ökonomen Gustav Horn von “der anderen”, der gewerkschaftsnahen Seite: “Ich bin überrascht´, sagt Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), ´und natürlich enttäuscht: Alle Indikatoren haben auf ein höheres Wachstum hingedeutet.”

Vielleicht ist es ganz zutreffend, wenn der Spiegel vorweg zusammenfasst: “Ökonomen sind ernüchtert:” Denn wie trunken müssen diejenigen gewesen sein, die ungeachtet auch der jüngsten Studien zur Lohnentwicklung, noch an einen dauerhaften Konjunkturaufschwung glaubten. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Bei uns entsprechen die Arbeitnehmerentgelte mit rund 1260 Milliarden Euro rund 66 Prozent des Volkseinkommens. Wenn sich dieses volkswirtschaftliche Aggregat nicht vernünftig, das heißt entsprechend der Produktivität plus der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank entwickelt, muss die Binnenwirtschaft in die Knie gehen. Und wie soll auf Dauer auch die Außenwirtschaft florieren, wenn Deutschland, eben aufgrund seines Lohndumpings, anderen Ländern die Wettbewerbsfähigkeit nimmt und sie dadurch schließlich auch als Abnehmer für deutsche Exporte verliert?

Unzulässige Verallgemeinerung

Ungenau, wenn nicht ungerecht, ist es nur, wenn der Spiegel alle Ökonomen über einen Kamm schert, nicht aber darauf hinweist, dass einige wenige doch vor dieser Entwicklung seit langem warnen. Ich nenne hier nur Heiner Flassbeck und verweise auf die , die – anders als der Spiegel – jene vom Aussterben bedrohte ökonomische Minderheit, die man in Deutschland unter Artenschutz stellen sollte, zu Wort kommen lassen. Und ist – um im Bild zu bleiben – der Spiegel nicht selbst der größte Trunkenbold, der noch jede Aufschwungstimmung nicht nur nicht hinterfragte, sondern hochjubelte?

Schönfärberei par excellence

Der Selbsttäuschung gibt sich auch Andreas Scheuerle von der DekaBank hin, wenn er darauf hinweist, dass die Exporte erneut gestiegen seien, aber nicht über das Verhältnis von Exporten und Importen spricht und jetzt, wo es innerhalb Europas wohl auch für Deutschland nicht mehr so rund läuft, den Blick auf den Rest der Welt richtet. Er gleicht damit einem Alkoholkranken, der, wenn die eine Flasche geleert ist, zur nächsten greift und dabei denkt, das könne immer so weiter gehen.  “Wesentliche Impulse kamen wohl von außerhalb Europas”, zitiert ihn der Spiegel. Der rückläufige Konsum passe “zwar zu den Einzelhandelsumsätzen, nicht aber zu den Rahmenbedingungen: Arbeitsmarkt im Plus, höhere Lohnabschlüsse. Einziger Belastungsfaktor waren Inflation und gefühlte Inflation.”

Wer so lange schön gefärbt hat, kann wohl nicht so schnell damit aufhören. Vielleicht sollte in Deutschland doch endlich das Fach “Ökonomische Theologie” etabliert werden, um diese Heilsbringer und deren Botschaften besser von rationalen Volkswirten unterscheiden zu können. Hätte Scheuerle in seiner Terminologie – rückläufiger Konsum passe zu den Einzelhandelsumsätzen – denn etwa nicht weiter fragen müssen, wie zu rückläufigem Konsum und Einzelhandelsumsätzen denn “höhere Lohnabschlüsse” “passen”?

Die Masseneinkommen, die die Deutsche Bundesbank in ihrem Monatsbericht ausweist, sind im ersten Vierteljahr um 1,3 Prozent gegenüber Vorjahr gestiegen. Die Masseneinkommen, das sind die Nettolöhne- und Gehälter zuzüglich der monetären Sozialleistungen. “Die tariflichen Monatsverdienste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sind von April 2010 bis April 2011 insgesamt um 1,5 % gestiegen”, berichtet wiederum das Statistische Bundesamt – und lässt sich, wohl ebenfalls nicht mehr ganz nüchtern, dazu hinreißen, von einer Trendwende zu sprechen:

“Damit zeichnet sich nach Mitteilung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) eine Trendwende bei den Tarifverdiensten ab. Seit Oktober 2009 (+ 3,0 %) war die Steigerungsrate beständig zurückgegangen und hatte im Januar 2011 nur noch + 0,9 % betragen.”

Bei dieser überschaubaren Zunahme der Löhne und Gehälter die Inflation oder gar noch die gefühlte Inflation als Belastungsfaktor heranzuziehen, wie Scheuerle es unternimmt, ist, mit Verlaub, ökonomischer Unsinn. Die Preissteigerung lag laut Statistischem Bundesamt im Juli 2011 gegenüber Vorjahr mit 2,4 Prozent 0,4 Prozent über der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank.

Auf die Enttäuschung folgt die nächste Täuschung

“Ent-täuscht” über die deutsche Dümpelwirtschaft können vor diesem Hintergrund nur diejenigen “Ökonomen” sein, die sich – und andere – eben zuvor getäuscht haben. Dass sie sich enttäuscht geben, zeigt aber nur, dass sie sich und uns auch weiterhin täuschen werden. Eine wunderbare Bestätigung hierfür: “Sorge bereitet Experten der schwache Konsum in vielen Ländern: Trotz steigender Beschäftigung geben die Menschen ihr Geld nicht aus.” Was hilft steigende Beschäftigung, wenn sie nicht vernünftig bezahlt wird und nicht für einen insgesamt ordentlichen Anstieg der Arbeitnehmerentgelte sorgt? Nichts. Ganz zu schweigen davon, dass gleichzeitig die öffentliche Hand allüberall ihre Ausgaben zurückfahren soll und dies in vielen Ländern bereits tut. Damit aber wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiter geschwächt. Auch diesen Satz kann man in diesem Zusammenhang nicht oft genug wiederholen: Die Ausgaben des Einen sind immer die Einnahmen des anderen. Wenn der Staat weniger Geld ausgibt, bedeutet dies nun einmal weniger Aufträge für Unternehmen. Dies geht in der Regel mit einer sinkenden Beschäftigung und einem steigenden Druck auf die Löhne einher.

Wenn sich die so genannten “Experten” tatsächlich sorgen, sollten sie diesen Zusammenhang endlich auch einmal schlüssig thematisieren.


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