Wenn eine Inflation in Europa greifbar ist, dann ist es die der Kürzel und der durch sie bezeichneten Rettungs- und Kontrollmaßnahmen für die Eurozone: EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität), ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus), EWF (Europäischer Währungsfonds), EDP (excessive deficit procedure, Tragfähigkeitsprüfung der Verschuldung), EIP (execessive imbalance procedure, Tragfähigkeitsprüfung außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte); schließlich gibt es noch Maßnahmen, für die anscheinend keine Abkürzungen gefunden wurden: Pakt für den Euro, Euro-Plus-Pakt, Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, Hair-cuts (Umschuldungen).
Inflation entsteht, wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt; bei der hier zu beobachtenden Begriffs- und Maßnahmeninflation ist daher zu vermuten, dass die Nachfrage nach Lösungen stärker ist, als das Angebot an Lösungen: Die ungeachtet aller oben angebotenen Werkzeuge fortbestehende Krise in der Eurozone zieht eine erneute Nachfrage nach Lösungen nach sich. In der Folge haben wir es hier gewissermaßen mit einer Hyperbegriffsinflation zu tun.
Ein Lösungsvorschlag allerdings ist der reinste Ladenhüter: Eurobonds. Zwar ist er im Rahmen der Eurokrise immer wieder sporadisch nachgefragt und von einer Minderheit auch ins Angebot aufgenommen worden, letzten Endes ist er aber doch wieder aus den mit Rettungsmaßnahmen prall gefüllten Regalen in den Amtsstuben der nationalen und supranationalen Entscheidungsträger verschwunden.
Wahrscheinlich aber ist: Eurobonds, gemeinsame europäische Anleihen, werden kommen – und alle bisherigen Maßnahmen überleben. Warum?
Nach der Sitzung des Europäischen Rates am 24./25. März 2011 betrug die Renditedifferenz zehnjähriger Staatsanleihen gegenüber Deutschland in Griechenland 9,37 Prozentpunkte, in Portugal 4,73 und in Spanien 1,89. Die Entwicklung seitdem zeigt, dass das Vertrauen in die Krisenländer durch die bisherigen Maßnahmen nicht gestärkt worden ist; „die Märkte“ fordern weiter erhöhte Risikoaufschläge und belasten damit die Erholung der ins Trudeln geratenen Volkswirtschaften. Die Einschätzung des gestern erschienenen Monatsberichtes der Europäischen Zentralbank (EZB) scheint, verglichen mit den gestern ausgewiesenen Renditen für Staatsanleihen, schon wieder veraltet (1).
Graphik: Rendite und Renditedifferenz zehnjähriger Staatsanleihen zum Zeitpunkt der zuletzt vom Europäischen Rat beschlossenen Maßnahmen und danach
Interessant auch, dass Deutschland zumindest auf dieser Zahlenbasis nicht davon profitiert, dass es sich bisher der Forderung von Eurobonds verweigert: auch die Rendite für deutsche Staatsanleihen ist gestiegen. Das Argument der Deutschen für die Ablehnung von Eurobonds: Die deutschen Refinanzierungskosten würden steigen, würde Deutschland mit den anderen Ländern der Eurozone einen Markt für gemeinsame Anleihen schaffen und damit die Refinanzierung der Schulden in der Eurozone mit gewährleisten.
Die öffentliche Verschuldung in den Euro-Ländern wird in den kommenden zwei Jahren im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nicht nur in den Krisenländern, sondern auch in der Eurozone insgesamt weiter ansteigen. Das prognostiziert die EZB in ihrem aktuellen Monatsbericht.
Die Sparanstrengungen der Krisenländer wie auch der Eurozone insgesamt, über deren Gesamthöhe nicht einmal die EZB informiert zu sein scheint (2), bedeutet einen riesigen Nachfrageausfall, der vor allem das Wachstum der ohnehin schon gebeutelten Staaten nach unten ziehen wird. Die griechische Wirtschaftsleistung, die bereits im vergangenen Jahr einen Einbruch von 4,5 Prozent verzeichnete, wird dieses Jahr laut Projektion des IWF noch einmal um 3 Prozent schrumpfen, Portugal um 1,5; Spanien und Irland werden stagnieren. Dadurch wird es jenen Ländern erschwert, ihre Schulden zu begleichen, die Schuldenlast im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung steigt weiter an. Das schürt erneut Erwartungen von Zahlungsausfällen; die Renditen für Staatsanleihen werden sich unter diesen Voraussetzungen weiter erhöhen.
Was liegt da näher und was ist nachhaltiger als eine gemeinsame europäische Anleihe, der Eurobond? Das Vertrauen wäre augenblicklich wieder hergestellt, denn wer – außer vielleicht einige Haushälter im Deutschen Bundestag – glaubt ernsthaft daran, der deutsche Staat könne Pleite gehen, oder die gesamte Eurozone? Und warum eigentlich, sollten die Refinanzierungskosten für die deutschen Staatsschulden durch die Einführung von Eurobonds steigen, ist es nicht durchaus wahrscheinlich, dass ein Markt für Eurobonds so viele Anleger, die nach einem sicheren Hafen für ihr Vermögen Ausschau halten, anzieht, dass die Liquidität die Rendite für Eurobonds auf dem jetzigen Niveau deutscher Staatspapiere hält? Ja, verhindern Eurobonds nicht vielleicht sogar einen mittelfristigen Anstieg der deutschen Refinanzierungskosten, berücksichtigt man, dass weitere Staatskrisen und eine damit verbundene Schwächung der Eurozone am Ende auch die deutsche Wirtschaft treffen werden? Schließlich: Spätestens, wenn die deutschen Banken und Exporteure registrieren, dass mit einer Umschuldung massive Verluste und Unsicherheiten einhergehen, wird die Kanzlerin einknicken – wie immer spät, aber (hoffentlich) nicht zu spät. Mitgehangen, mitgefangen heißt es schon jetzt. Natürlich lösen Eurobonds nicht das der Eurokrise zugrundeliegende Problem außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte. Aber sie nehmen die Spekulation aus dem Geschehen und geben den politisch Verantwortlichen einen stabileren Rahmen, das schon auf dem Tisch liegenden Instrumentarium, wie die Tragfähigkeitsprüfung außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte, anzuwenden. Auch hier werden die Deutschen einlenken müssen und ihr über Jahre ausgeübtes Lohndumping zugunsten einer stärkeren Binnenmarktentwicklung aufgeben.
Eurobonds werden kommen.
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(1) „Die EZB schreibt in ihrem am 14.04.2011 erschienenen Monatsbericht: „Die Spannungen
im Zusammenhang mit der Unsicherheit der Marktteilnehmer hinsichtlich des Rahmens und Volumens der europäischen Finanzstabilitätsfazilität (EFSF) ließen nach, nachdem die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder Mitte März beschlossen hatten, die effektive Darlehenskapazität des EFSF von 250 Mrd € auf 440 Mrd € auszuweiten und die effektive Kreditvergabekapazität des künftigen Europäischen Stabilitätsmechanismus auf 500 Mrd € festzusetzen. Im Zuge dieser Entscheidung verringerten sich die Renditedifferenzen aller Euro-Länder mit Ausnahme Portugals und Griechenlands gegenüber deutschen Staatstiteln. Der Spread spanischer gegenüber deutschen
Staatsanleihen war im März rückläufig, obwohl die Kreditwürdigkeit des Landes von einer Ratingagentur herabgestuft wurde.“ (S. 33)
(2) Die EZB schreibt in ihrem am 14.04.2011 erschienenen Monatsbericht: „Zudem würde die Bekanntgabe genau spezifizierter Konsolidierungsmaßnahmen für 2012 und darüber hinaus dazu beitragen, die breite Öffentlichkeit und die Marktteilnehmer von der Nachhaltigkeit der Korrekturmaßnahmen zu überzeugen. Ein gestärktes Vertrauen in die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen ist von entscheidender Bedeutung, da so die in den Zinssätzen enthaltenen Risikoprämien reduziert und bessere Voraussetzungen für ein solides und nachhaltiges Wachstum geschaffen werden.“ (S.
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