Eurozone: Polit-Spitze missachtet Analysen aus eigenem Haus (08.05.2011

“Wenn allerdings aus Angst vor sich abzeichnender Inflation der kräftige fiskalische Stimulus vorschnell zurückgenommen und die Geldpolitik zu früh angezogen werden, verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation dramatisch. Selbst eine schnelle Rücknahme dieser falschen geld- und fiskalpolitischen Entscheidungen kann dann eine Verlängerung der Wirtschaftskrise nicht verhindern.”

Dass diese Einsicht, von irgendeinem dahergelaufenen “linken” Ökonomen verbreitet, in Deutschland in der Regel allenfalls hochgezogene Augenbrauen und ein bedauerndes Kopfschütteln hervorruft ist bekannt – und eigentlich bedauernswert. Dass entsprechende Warnungen der jedes linken Gedankenguts unverdächtigen Generaldirektion der EU-Kommission für Ökonomische und Finanzielle Angelegenheiten ebenfalls missachtet werden, darauf lohnt es sich doch einmal hinzuweisen.

Die zuletzt von der Polit-Spitze der Eurozone getroffenen wirtschafts- und geldpolitischen Entscheidungen gehen in zwei Richtungen: Zum einen werden von Krisenländern wie Griechenland und Portugal massive Sparmaßnahmen eingefordert. Zum anderen erhöht die Europäische Zentralbank – die zwar “unabhängig”, selbstverständlich aber politisch agiert, wie es das Wort Geldpolitik ja auch treffend ausdrückt – die Leitzinsen und begründet dies mit gestiegenen Inflationsgefahren. Diese knappe Gegenüberstellung müsste allein schon Fragen aufwerfen: Droht der erste Schritt doch das Wachstum nicht nur in den Krisenländern massiv zu schwächen bzw. der mit den Sparanstrengungen drohende Wirtschaftseinbruch eine deflationäre Entwicklung hervorzurufen, während die Zinserhöhung der EZB, die schon wieder Inflation wittert, das Wirtschaftswachstum zusätzlich dämpft. Lassen wir das aber hier – wie die Mehrheit der berichtenden Wirtschaftsjournalisten – für einen Augenblick einmal dahingestellt und wenden uns dem eingangs zitierten Sachverhalt zu.

 

Das Zitat ist gefälscht, allerdings nur insoweit, als dass ich es übersetzt und in die Gegenwart geholt habe; unverfälscht wiedergegeben ist der inhaltliche Zusammenhang. Hier das Originalzitat des Directorate-General for Economic and Financial Affairs der European Commission: “However, when a large fiscal stimulus introduced in 1936 was withdrawn in 1937 and monetary policy was tightened for fear of looming inflation, the economic situation worsened dramatically. These policies were soon reversed but this early recourse to restrictive monetary and fiscal policies added two years to the Great Depression in the US.” ()

 

In der hier zitierten, umfangreichen Studie wurde der Versuch unternommen, aus der schweren Wirtschaftskrise der 1930er Jahre Lehren für die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zu ziehen. Unter anderem heißt es dort: “Die Gesamtnachfrage aufrechterhalten – Deflation vermeiden” (“Maintain aggregate demand – avoid deflation”). In diesem Zusammenhang weist die Studie darauf hin: “Ein zu früher Ausstieg, bevor die Erholung gesichert ist, geht mit dem Risiko einher, die Krise zu verlängern und das Szenario eines zweifachen Wirtschaftseinbruchs Wirklichkeit werden zu lassen, wie in den USA in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre.” (“Exit timely is crucial: too early exit before the underlying recovery sets in, would create a risk of extending the crisis, causing a double dip scenario as in the US in the second half of the 1930s.”)

 

Die Studie ist im Juli 2009 erschienen. Die damals eingeleiteten Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur und der Finanzmärkte stimmten die Verfasser optimistisch: Es seien die richtigen Lehren aus den 30er Jahren gezogen worden: “Die Regierungen der meisten Länder haben die Finanzsektoren umfassend gestützt, die Gesamtnachfrage ist aufrechterhalten worden durch expansive Geld- und Fiskalpolitik, Protektionismus wurde bisher vermieden…” (“The financial sectors in most countries are given strong government support, aggregate demand is maintained through expansionary monetary and fiscal policies, protectionism is so far kept at bay…”)

 

Es wäre in der Tat interessant, wie die Autoren die jetzt von der Politi-Spitze eingeleiteten geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen bewerten, schreiben sie doch in ihrer Zusammenfassung abschließend: “Auch wenn sich das Wirtschafts- und Politiksystem wie auch das politische Denken der ökonomischen Profession mit der Zeit entwickeln, die fundamentalen Mechanismen, die die Krise verursachen und übertragen, scheinen doch die gleichen zu bleiben und erlauben daher die Zuversicht in die Einsichten, die die Vergangenheit uns lehrt.” (“Although , the economic and political system as well as the policy thinking of the economics profession evolves over time, the fundamental mechanisms causing and transmitting crisis appears to remain the same, allowing confidence in the policy lessons learnt from the past.”)

 

Dass diese Einschätzung bei weitem zu optimistisch ist, dafür sprechen nicht nur die eingangs aufgezeigten politischen Maßnahmen der Gegenwart. Im Januar 2010 ist eine weitere Publikation derselben Institution erschienen. Der Titel: Die Beobachtung der Wettbewerbsfähigkeit und der Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone (“Surveillance of Intra-Euro-Area Competitiveness and Imbalances”) ().

Die Studie hat unter anderem errechnet, dass der reale effektive Wechselkurs (REER) Deutschlands seit dem Jahr 2000 gegenüber dem Rest der Eurozone um 30 Prozent abgewertet hat (“However, the corresponding REER for the remainder of the euro area countries started to appreciate in 2000 and a 30 % gap in the REER has opened up since then between Germany and the rest of the euro area.”) Weiter heißt es dort, dass aufgrund von Rationalisierung und “moderaten” Lohnvereinbarungen die nominalen Lohnstückkosten in Deutschland seit 1995 um rund 20 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der deutschen Haupthandelspartner gefallen sind. (“Rationalisation measures, together with moderate settlements in wage negotiations, allowed nominal unit labour cost to fall by around 20% since 1995 against the average of Germany´s major trading partners.”)

 

Auch in diesem, die Wettbewerbsfähigkeit nicht nur der Krisenländer maßgeblich beeinträchtigenden Punkt ist festzuhalten, dass die politischen Entscheidungsträger bisher wenig unternommen haben, eine Lösung herbeizuführen. Unter großen Mühen und gegen den massiven Widerstand der Bundesregierung ist eine “Tragfähigkeitsprüfung außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte” vereinbart worden. Ihre Umsetzung aber steht weiterhin aus, ganz zu schweigen davon, dass der wesentlichen Größe für ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht, die Einhaltung der Lohnregel bzw. der Anstieg der Lohnstückkosten entsprechend des Inflationsziels, dann immer noch nicht die formale Bedeutung beigemessen wird wie bspw. dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank selbst.

 

Dass die hier ins Gedächtnis gerufenen, von der breiten Öffentlichkeit bisher fern gehaltenen Studien aus der Europäischen Kommission von den politisch Verantwortlichen so missachtet werden, ist umso gravierender, als dass die bisher von ihnen getroffenen Maßnahmen keinerlei Erfolge zeitigen. So sehen sich die von den bisherigen “Rettungsmaßnahmen” betroffenen Staaten mit Einbrüchen beim Wirtschaftswachstum konfrontiert, die ihre Staatshaushalte weiter schwächen und ihre Fähigkeit zum Schuldendienst weiter erschweren müssen. Ihre Refinanzierungskosten über Staatsanleihen sind auch nach den zuletzt getroffenen Entscheidungen des Europäischen Rates, ja, auch nach dem Rettungspaket für Portugal, weiter gestiegen (vgl. dazu die Graphik hier).

 

Die Polit-Spitze verweigert sich aber nicht nur den Ergebnissen der Analysen aus ihrem eigenen Haus, der Europäischen Kommission, sie verweigert sich bisher auch einer europäischen Lösung. Hierfür spricht nicht nur der bisher eingeschlagene Kurs, sondern auch die Ursachenanalyse vieler verantwortlicher Politiker – in der Regierung wie in der Opposition. Besonders deutlich wurde dies auf einer noch nicht weit zurückliegenden Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Eurokrise. Die ihrer Funktion nach hochkarätigen Podiumsteilnehmer, der griechische Außenminister Droutsas, sein Kollege aus Luxemburg, Asselborn, und der ehemalige Außenminister und jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende Steinmeier, waren einhellig der Auffassung, dass die Eurokrise eine Haushaltskrise sei. Asselborn wörtlich: “Wir haben keine Eurokrise, sondern eine Schuldenkrise.” Diese Schuldenkrise baue auf einer falschen Haushaltspolitik auf, so Asselborn. Ebenso einhellig wurde daher auch die Verschärfung des Stabilitätspaktes begrüßt. Anstatt das deutsche Lohndumping zu kritisieren und eine diesbezügliche europäische Lösung anzumahnen, äußerte sich der griechische Außenminister dann auch zufrieden, ja stolz über die bisher umgesetzten Sparanstrengungen in seinem Land und sagte dann wörtlich: “Ich glaube, wir dürfen Wettbewerbsfähigkeit nicht mit den Lohnkosten gleichsetzen. Europa muss einen anderen Weg gehen, um international wettbewerbsfähig zu werden; wir brauchen Investitionen…” Dass Griechenland in den Vorkrisenjahren geradezu vorbildhaft investiert hat blendete er dabei ebenso aus, wie die Frage danach, wie sich denn die Investitionen unter dem Spardiktat, das er ausdrücklich befürwortete, positiv entwickeln sollen.

Als ich die hohen Herren im Rahmen der anschließenden Diskussion mit dem Publikum daraufhin fragte, ob sie nicht Wirkung und Ursache verwechseln würden, wenn sie die unterschiedlichen Lohnstückkostenentwicklungen, und die damit einhergehenden Wettbewerbsverzerrungen, Leistungsbilanzungleichgewichte und entsprechende Schuldenanstiege in den Ländern mit wachsenden außenwirtschaftlichen Defiziten komplett ausblendeten und stattdessen das Ergebnis – die Krise der Staatshaushalte, die ja zudem durch umfangreiche staatliche Rettungsmaßnahmen für die Privatwirtschaft, insbesondere des Bankensektors, erst entstanden – in den Vordergrund stellten, da wurde ich von den Beteiligten nur ungläubig angeguckt; ich ergänzte noch, dass wir es offensichtlich nicht nur mit einer Eurokrise, sondern auch mit einer “Symptomkrise” zu tun hätten. Fast überflüssig zu erwähnen, dass auf diesen Punkt in den Antworten nicht mit einem Satz eingegangen wurde. Am Ende der Veranstaltung sprach mich immerhin ein altgedienter Repräsentant der Weltbank an und bemerkte, dass es ja richtig ist, was ich angemerkt hätte, und er selbst erstaunt gewesen sei über die Richtung der Analyse. Dass vom SPD-Fraktionsvorsitzenden dabei auch Analysen zu dem Problemschwerpunkt außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte aus der Friedrich Ebert Stiftung selbst offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen werden, ist traurig genug (3).

 

Es steht nicht gut um Europa. An Erkenntnissen mangelt es jedoch nicht, wohl aber an Einsicht. Die Folgen mag man sich gar nicht ausmalen, und so klammer auch ich mich weiterhin daran, dass die Hoffnung doch zuletzt stirbt.

(1)

(2) (3) Sebastian Dullien, Ungleichgewichte im Euroraum, Akuter Handlungsbedarf auch für Deutschland, Friedrich Ebert Stiftung, Dezember 2010


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