Facebook – die Fressmaschine (23.07.2011)


An Kritik an dem weltweiten Netzwerk Nr.1 mangelt es zwar nicht: Persönliche Daten werden nicht genügend geschützt; ist man als Nutzer facebook einmal ins Netz(werk) gegangen, ist es unmöglich sein Profil wieder vollständig zu löschen; als Nutzer wird man über die immer weiter gehende Datenfreizügigkeit des Unternehmens nicht rechtzeitig und umfassend informiert. Um nur drei weit verbreitete und sicherlich berechtigte Kritikpunkte an diesem mittlerweile milliardenschweren Unternehmen zu nennen.

Ein Fall für die Datenschützer. Was soll man sich da als Ökonom einmischen? Viele Köche verderben doch nur den Datenbrei. Einverstanden.

Facebook frisst Zeit



Eine Dimension aber bleibt beim verengten Blick auf den Datenschutz völlig im Dunkeln. Und sie hat es in sich: Facebook frisst Zeit – ungeheuerlich viel Zeit. Und Zeit ist nun einmal seit jeher ein Gegenstand der Ökonomie. Das einzige Maß für den Wert ist die Zeit, stellte schon der englische Ökonom David Ricardo (1772-1823) fest, ein Klassiker der Volkswirtschaftslehre. Was er damit meinte? Ganz einfach ausgedrückt: Eine Ware ist so viel wert, wie die Arbeitszeit, die in ihr steckt. Was hat das mit facebook zu tun, werden Sie fragen? Nun, lassen Sie mich Ihnen eine Brücke vom Vor-facebook-Zeitalter zu uns bauen: Die Zeit, die wir in facebook stecken, macht das Unternehmen zu einer sprudelnden Gewinnquelle für seinen Erfinder und bestimmt damit auch den milliardenschweren Wert, der facebook heute schon für einen etwaigen Börsengang zugeschrieben wird.

Während zu Ricardos Zeiten Ware und Unternehmen entsprechend der dort beschäftigten und entlohnten Arbeit Wert erhielten, schenken wir heute als Nutzer – rund 18 Millionen allein in Deutschland – facebook seinen Wert, indem wir in das Unternehmen unsere Zeit stecken. Umsonst. So verstanden, ist facebook nichts wert.

Von wegen – um einen weiteren Fundamentalsatz der Ökonomie aufzugreifen – „there is no free lunch.“ Für facebook-Chef Zuckerberg schon. Denn würden wir das nicht tun, könnte facebook auch keine Werbeeinnahmen erzielen, die Haupteinnahmequelle des Unternehmens. So stiehlt uns facebook buchstäblich unsere Zeit. Gut, auch facebook muss etwas produzieren, programmieren, Speicherkapazitäten aufbauen usw. Das müssen andere Unternehmen auch – aber das erklärt weder den Unternehmenswert noch den Wert des Produktes facebook.

Was könnten wir nicht alles unternehmen, sei es, dass wir einer vergüteten Arbeitszeit nachgingen oder unseren Freizeitwert erhöhten, wenn wir uns unsere Zeit nicht länger von facebook stehlen ließen bzw. ihm unsere wertvolle Zeit nicht länger schenken würden!

Facebook geht auf den Geist

Nun, dagegen ließe sich freilich einwenden, dass facebook ja gerade unseren Freizeitwert erhöht. Dann lassen Sie mich aber noch eine zweite Dimension ins Spiel bringen: Sinn. Nun erschrecken Sie bitte nicht gleich. Ich rede hier nicht von dem deutschen “Starökonomen” Hans Werner Sinn, dessen Aussagen ja für jeden aufgeklärten Ökonomen schon gar keinen Sinn machen. Ich meine den Sinn, im Sinne von Inhalt, Bedeutung; anders ausgedrückt: Facebook geht auf den Geist.

Ganz konkret: Waren Sie heute schon auf facebook? Und, was haben Sie dort gelesen oder gar selbst geschrieben? Sie haben nur den „Gefällt-mir“-Button gedrückt? Ja, unter was denn, was war denn die Botschaft, die Ihnen so gefallen hat? Vielleicht die „Aussage“ einer Ihrer „Freunde“, wie: „Ich bin jetzt auf Sitzung xy.“ Gefällt mir! Oder: „Ich bin grad aufgestanden.“ Gefällt mir! Sehen Sie, das meine ich: Facebook lebt größtenteils im buchstäblichen Sinn von diesen sinnfreien Botschaften. Und plötzlich schauen Sie auf die Uhr, und es sind wieder drei Stunden vergangen, in denen Sie, wie das Kaninchen auf die Schlange, als Nutzer auf facebook geschaut haben. Und jetzt sagen Sie mir bloß nicht, dass Kaninchen zu spielen Ihren Freizeitwert erhöht! Kurzum: Höchste Zeit die sozioökonomische Dimension von facebook der des Datenschutzes an die Seite zu stellen.

Revolution!


Wenn jetzt schon Revolutionen in ganzen Weltregionen facebook zugeschrieben werden – auch dies durchaus sinndefizitär – warum nicht facebook mit seinen eigenen Waffen schlagen: Revolution – facebook alle auf einen Schlag verlassen? Na ja, wie das bei Revolutionen nun einmal so ist, würde auch bei dieser das Kind dann ja evtl. gleich mit dem Bade ausgeschüttet: Welcher Schreiberling – wie ich – sieht es zum Beispiel nicht gern, wenn seine Beiträge auf facebook „geteilt“ werden?  Auch wenn er dann verdrossen ist, weil wieder ein Eintrag wie „Ich bin jetzt auf Sitzung xy“ mehr Kommentare und „Gefällt-mir“-Einträge bekommt als sein Erdachtes. Und ist es etwa nicht informativ und kommunikativ, wenn sich zum Beispiel alle Literaturmagazine dort präsentieren, man informiert wird, wo und welche Veranstaltungen stattfinden; Dinge, die für eine einfache Website schwer zu erreichen sind?

Aber wie so oft liegt das Gute vielleicht in der Mitte (“Mitte” hier nicht im geistig verhunzten Sinne bzw. im Sinnlosen des Lobbyverbandes FDP, sondern im Sinne von dazwischen): Alternative Nachrichtenmedien, Kulturseiten bleiben, die Privaten verlassen das dann sicherlich zumindest im Wert sinkende Schiff.

Vielleicht ließe sich Zuckerberg darauf ein, sich zum Zeitpunkt dieser Revolution filmen zu lassen, ein Event, das seiner Seite sicherlich viele Leser und damit Werbeeinnahmen bescheren würde. Den Verbliebenen kann facebook dann ein Angebot unterbreiten, mit ihnen aushandeln, welchen Betrag facebook diesen Nutzern denn zahlen darf, damit sie ihre Inhalte dort weiter präsentieren – und damit dann ja Leser auf der Seite halten – die sich dort fortan mit einer gewöhnlichen Registrierung informieren und äußern dürfen.


Wir aber nutzen die gewonnene Zeit, um unseren Geist mal wieder richtig zu beschäftigten. Hier einige Vorschläge: Lesen, musizieren, schreiben, hinaus in die Natur, Lesung, Konzert, Theater, Oper, Freunde treffen (diesmal richtig), ihnen sagen, dass er oder sie ihm gefällt (diesmal richtig), Demos gegen Sozialabbau organisieren, mal wieder wählen gehen, Leserbriefe an die neoliberalen Mainstreammedien schreiben (als Brief, mal sehen, ob die damit noch etwas anfangen können – und ob Sie noch Briefe schreiben können); Briefe, am besten Sammelpost, an den Bundestag schreiben, wenn er mal wieder mehrheitlich für Krieg und Soziallabbau gestimmt hat usw.

Ein Nebeneffekt: Wir werden sehr schnell feststellen, wie teuer das wirkliche Leben geworden ist, und dass die gerade wieder aufs Neue durch eine belegten realen Einkommensverluste keine bloße Statistik sind. Ist facebook vielleicht nicht auch ein Instrument uns diesen Blick zu versperren? Kost ja nichts (ok, die Stromkosten: noch ein Grund, facebook zu verlassen; jetzt, in Zeiten der Energiewende.) Würde also einer Revolution bei facebook unmittelbar eine Revolution im wirklichen Leben folgen? Nicht auszudenken!

Ich habe facebook jedenfalls seit einigen Wochen verlassen, meine Daten, die sich nicht vollständig dort entfernen lassen, liegen dort zwar noch begraben, aber meine Zeit, die schenke ich jetzt anderen und anderem. Sonst könnten Sie auch diesen Beitrag gar nicht lesen, weil ich nicht die Zeit gefunden hätte, ihn zu schreiben. Vielleicht ziehen Sie es ja aber auch vor, Kaninchen zu spielen. Dann  entschuldigen Sie bitte die Störung. Ach ja, eine allerletzte Bitte: Wenn Sie facebook schon nicht verlassen, bzw. dort nicht die Revolution im oben angedeuteten Sinne organisieren: Bitte „teilen“ Sie doch wenigstens diesen Beitrag. Vielleicht nimmt es dann jemand anderes in die Hand. In Wahrheit möchte er ja nur gelesen werden, werden Sie einwenden? Stimmt auch wieder! Wie heißt es so schön altbacken: Vielen Dank im Voraus! (Ja, und ich, werden Sie jetzt vielleicht auch noch fragen: Ich gebe zu, ich habe mich dort einfach davon geschlichen. Nicht jeder eignet sich nun einmal zum Revolutionär!)


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