Die mit der Rettung Griechenlands befasste ökonomische und politische „Elite“ ähnelt mehr und mehr dem sich noch am Totenbett unverstanden wähnenden Philosophen Hegel: Keiner hat mich verstanden, nur einer, und der hat mich auch nicht verstanden, soll dieser dort laut Heine geklagt haben. So sehr Heine sich über die damaligen deutschen Philosophen kenntnis- und gedankenreich lustig machte, so sehr verdiente es die heutige, vor allem die besonders einseitige und wirklichkeitsfremde deutsche Ökonomen- und Politikerzunft.
Nicht die Operation – der Griechenland auferlegte drakonische Sparkurs – ist ihrer Ansicht nach daran schuld, dass zuerst das griechische Wirtschaftswachstum stärker eingebrochen und jetzt das Haushaltsdefizit höher ausgefallen ist als erwartet, nein: Wir haben unsere „Elite“ nur immer noch nicht richtig verstanden. Die Operation war und ist richtig – auch wenn der Patient tot ist.
In der nüchternen Sprache der Nachrichten des Deutschlandfunks klingt das dann so:
„Griechisches Defizit höher als geplant – Die griechische Regierung dürfte ihr Sparziel für das laufende Jahr verpassen. Das Finanzministerium in Athen teilte mit, die Neuverschuldung werde voraussichtlich bei 8,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen, weil der wirtschaftliche Einbruch stärker sei als erwartet. Damit verfehle man die Vorgabe einer Defizitquote von höchstens 7,8 Prozent. Dieses Ziel war Griechenland von der EU, dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Zentralbank gesetzt worden, deren Vertreter gerade über die Auszahlung einer weiteren Kreditrate in Höhe von acht Milliarden Euro entscheiden. Die griechische Regierung beschloss gestern Abend die Beurlaubung von 28.000 Staatsbediensteten bei reduzierten Bezügen. Dadurch sollen im kommenden Jahr 300 Millionen Euro eingespart werden.“
Wie kann man etwas „vorgeben“ und „erwarten“, was jeder ökonomischen Logik widerspricht? Diese Frage kümmert weder die politisch Verantwortlichen, noch die überwiegende Mehrheit der Medien. Nur so ist es zu erklären, dass noch am selben Abend weitere Einsparungen von 300 Millionen Euro beschlossen wurden. Die Ausgabenkürzung von 300 Millionen Euro entspricht natürlich einer Einnahmekürzung der davon betroffenen Haushalte in selbiger Höhe. Wollen die sich nicht in gleicher Höhe verschulden – was wohl allein deswegen ausgeschlossen ist, weil die Einsparungen auf Entlassungen und Gehaltskürzungen beruhen, und daher deren Kreditwürdigkeit bei den Banken gleich Null sein dürfte –, bedeutet dies entsprechende Einnahmeverluste für die Betriebe, bei denen die Haushalte aufgrund ihrer gekürzten Einkommen jetzt weniger einkaufen. Weitere Entlassungen in der Privatwirtschaft und weitere staatliche Steuereinnahmeverluste aufgrund geringerer Wirtschaftsaktivität sind die zu erwartenden Folgen. Kein mit gesundem Menschenverstand ausgestatteter Politiker oder Ökonom kann daher „überrascht“ sein von den tödlichen Folgen der von ihnen ins Werk gesetzten Sparoperationen.
Aber als Ökonom mit gesundem Menschenverstand darf man sich in Deutschland schon einmal wie Heine im französischen Exil fühlen, in dem er oben aufgegriffene Zeilen niederschrieb. Wie Heine dazumal in Deutschland nicht oder nur zensiert veröffentlicht wurde, so ergeht es auch schon einmal deutschen Ökonomen, die dem Mainstream der veröffentlichten Meinung widersprechen. Wer aber spricht heute noch von denen, die Heine damals den Mund verbaten? Niemand. Und ist Heine etwa nicht noch immer lesenswert? In der Tat. Das macht doch immerhin Mut, und diente das Wort auch nur als das berühmte Pfeifen im Walde. Ist dieser Wald aus realitätsferner Politik und monotoner Berichterstattung doch ein besonders dunkler und furchteinflößender.
Dass wir unter der von den einschlägigen Medien ins rechte Licht gerückten „SPD Troika“ – Frank Steinmeier, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel – aller Wahrscheinlichkeit nicht besser regiert würden als unter unserer derzeitigen Kanzlerin und der ihr im Geiste nahestehenden „Troika“ aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) sowie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), darauf ließ am Wochenende nicht zum ersten und sicherlich auch nicht zum letzten Mal der Fraktionschef der SPD, Frank Steinmeier, schließen. Sein Vorschlag bzw. seine Befürwortung, eine „EU-Treuhand“ für Griechenland einzurichten, geht letztlich vom gleichen Verständnis der Krise aus wie die jetzige Regierung, nämlich, dass die Eurokrise vornehmlich eine Staatsschuldenkrise sei. Anstatt den Verkauf griechischen Vermögens zur Bewältigung der Schuldenkrise grundsätzlich in Frage zu stellen, geht es Steinmeier nur darum, dass dieses Vermögen nicht „verramscht“ wird. Welches Vermögen Griechenland verkaufen soll, benennt der SPD-Fraktionschef allerdings nicht. Was ein etwaiger, einmaliger Verkauf von Staatsvermögen bringen soll, verrät er ebenfalls nicht. Sein positiver Verweis auf die deutsche Treuhandanstalt lässt den nicht ganz so geschichtsvergessenen Leser seines Interviews ob der zahlreichen, auch rechtskräftig verurteilten Betrugsfälle dieser Institution erschauern.Ein einmaliger Verkauf von Vermögen aber wird generell die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit Griechenlands in noch weitere Ferne rücken lassen, als dies der bisherige ökonomische Sparkurs bereits getan hat.
Die SPD greift die jetzige Regierung an. Schaut man aber etwas genauer auf ihre potenziellen „Thronfolger“, stellt man unzweifelhaft fest, dass auch diese Kaiser keine Kleider tragen. Seit Monaten wird aus diesen Kreisen mal dies, mal das verlautbart. Im Kern hat auch die SPD kein überzeugendes und stringentes, nachlesbares Konzept zur Bewältigung der Euro-Krise.
Eine tragfähige Lösung der Eurokrise und damit eine Rettung der Eurozone und des Euros wird es nur geben, wenn die politischen Entscheider stärker herausgefordert werden, ihre Lösungsvorschläge schlüssig darzulegen, und diese Lösungsvorschläge dann gründlich hinterfragt werden. Das aber genau leisten die meisten einflussreichen Politiker, „Sachverständigen“ und viele Medien nicht bzw. nicht mutig und deutlich genug. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere die „vierte Gewalt“ gefordert, einer größeren Meinungsvielfalt und mehr Lösungsansätzen Raum zu geben. Leistet sie dies nicht, wird sie ihrer Rolle im demokratischen Meinungsbildungsprozess nicht gerecht.
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