(07.06.2011: Jetzt auch erschienen und lebhaft diskutiert auf spiegelfechter.com.)
Es gibt zwei Geschmäcker, was das Alter anbelangt: Die einen finden die Falten schön, die die alte Haut wirft. Auch, weil die Haut so unverfälscht das Leben widerspiegelt. Sie verzichten darauf, diese alte Landkarte, die das Leben gezeichnet hat, mit Crème zu verwischen und unlesbar zu machen. Die anderen schämen sich der Falten und greifen zu jeder erdenklichen Kosmetik, um sie schön glatt zu ziehen. Einigen gelingt diese Verjüngungskur so gut, dass sie über das Alter noch einmal so reden, wie über etwas, das gar nichts mit ihnen zu tun hat.
Ein bisschen so geht es vielleicht auch innerhalb der SPD und ihrer Wählerschaft zu: Die einen wünschen sich “die alte Tante” ungeschminkt zurück, wollen ihr endlich die Crème aus dem Gesicht waschen und sie so wieder für die Menschen erkennbar machen. Die anderen tragen lieber um so dicker auf, bestrebt, den Menschen ein möglichst faltenloses Antlitz bieten zu können und so die Gunst der Wähler und Mitglieder zu gewinnen.
Der frisch gewählte Hamburger Bürgermeister, Olaf Scholz, trägt, so verstanden, in seinem Interview mit dem Tagesspiegel am Sonntag dick auf. Auf die bundesweiten Zustimmungswerte der SPD angesprochen antwortet er: “Niemand will die Ergebnisse schönreden”. “Aber?”, fragt der Tagesspiegel. Und da wird auch schon die erste Schicht auf die Haut gerieben.
Olaf Scholz: “Wir sind deshalb nicht aufgeregt. Es war ein langer Prozess, der dazu geführt hat, dass wir bei der letzten Bundestagswahl ein schlechtes Ergebnis erzielt haben.”
Was sich hinter jenem “langen Prozess” verbirgt, verrät Olaf Scholz freilich nicht. Diese Falte ist schon einmal glatt gezogen. Und schnell noch etwas Crème darüber: “Wir müssen ordentliche Politik machen und den Bürgerinnen und Bürgern eine bessere Alternative bieten.” Was “ordentliche Politik” ist und was “eine bessere Alternative” lässt Olaf Scholz gekonnt unter einer dicken Schicht Crème verschwinden. Schon kommen mir als Leser die ersten Sorgenfalten.
Aber Olaf Scholz cremt munter weiter, er kann sie ja auch nicht sehen, meine Sorgenfalten, oder ahnt er sie beim Leser und hofft, sie mit dieser erneuten Ladung Kosmetik gekonnt zu überdecken.
Olaf Scholz: “Die SPD ist gut beraten, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Am Anfang muss ein sehr klares Bekenntnis zur pragmatischen Ausrichtung sozialdemokratischer Politik stehen.”
Aber ach, welche “Kernkompetenzen” sind es denn, und was ist eine “pragmatische Ausrichtung sozialdemokratischer Politik”? Die Agenda 2010 vielleicht, die er als Generalsekretär von Schröder so automatenhaft mit durchgeboxt hat? Doch solch unschöne politische Altersflecke sind bei dem Interviewten nicht zu erkennen. Sie stehen wohl nur den Hartz-IV-Empfängern und anderen von der Agenda 2010 Gezeichneten ins Gesicht geschrieben. Die können sich allerdings, selbst wenn sie wollten, solch teure Crèmes gar nicht leisten, die Olaf Scholz hier so verschwenderisch aufträgt. Und selbst die kostspieligsten ihrer Art würden bei ihnen wahrscheinlich auch die Wirkung verfehlen. Sorgt deren Alltag doch täglich für neue Falten.
Olaf Scholz cremt unverdrossen weiter: “Wenn wir eine pragmatische, geerdete Politik mit Zukunftsperspektive anbieten, werden uns Bürgerinnen und Bürger auch im Bund zahlreich unterstützen. Außerdem muss sich die SPD offensiv zum Konzept der Volkspartei bekennen.”
Volkspartei als “Konzept”! War Scholz nicht auch der Name einer Hamburger Werbeagentur? Ach nein, die hießen ja Scholz & Friends. Viele Freunde wird sich der Olaf damit über Hamburg hinaus aber nicht machen, denke ich unwillkürlich, und meine Stirn runzelt sich. Schon beginne ich mich um mein Aussehen zu sorgen. Ein wenig eitel sind wir doch schließlich alle. Und ich mag nun einmal keine Crèmes.
Was verbirgt sich blos hinter dem Angebot einer “pragmatisch, geerdeten Politik mit Zukunftsperspektive” ? Und glaubt Olaf Scholz etwa an das Saysche Theorem, nach dem sich jedes Angebot auch seine Nachfrage schafft? Wenn er sich da mal nicht irrt. Crème drüber.
Aber halt! Jetzt legt Olaf Scholz doch noch eine sozialdemokratische Falte frei, und der Tagesspiegel hilft ihm redlich dabei: “Rührt die schwindende Bindungskraft der Volksparteien nicht auch daher, dass der Pragmatismus in beiden Lagern längst regiert und die weltanschaulichen Unterschiede zwischen Union und SPD kaum noch wahrnehmbar sind?”, fragt der Tagesspiegel, sichtlich bemüht, unter der zugecremten SPD doch noch ein Stück freie Haut zu finden.
Olaf Scholz: “Ich rede von Pragmatismus, nicht von Opportunismus. Pragmatismus heißt nicht, dass wir keine Visionen für eine bessere Zukunft entwickeln sollen. Aber anders als bei den Grünen und der Partei Die Linke müssen die Vorschläge der SPD auch funktionieren. Im Übrigen gibt es sehr wohl große weltanschauliche Unterschiede zwischen SPD und Union.”
“Weltanschauliche Unterschiede”! Jetzt wird es spannend, denke ich. Dem Tagesspiegel scheint es genauso zu gehen. Er fragt: “Nämlich?”
Olaf Scholz: “Uns unterscheidet von allen anderen Parteien unsere ganz spezielle Sicht auf die Arbeit und ihre Bedeutung für das Zusammenleben. Wir sind als Partei von Handwerkern und lesenden Arbeitern gegründet worden. Mit dieser Wertschätzung der Arbeit stehen wir in einer Grundkonstante der deutschen Kultur. Wir bekennen uns dazu, dass man arbeiten soll. Aber wir bekennen uns auch dazu, dass diejenigen, die arbeiten, dies auch zu ordentlichen Bedingungen tun können. Die SPD ist die Partei der fleißigen Leute, die Partei der Arbeit. Daraus folgt zwingend auch eine sehr pragmatische Wirtschaftpolitik.”
Da lässt der Olaf Scholz doch tatsächlich mal ein Stück alte sozialdemokratische Haut unter der Crème durchblicken. Oh Gott, mag er in diesem Augenblick gedacht haben, vielleicht über sich selbst erschrocken, und beginnt prompt das ungeschützte Stück wieder zuzuschminken: “Grundkonstante der deutschen Kultur”. Was ist das jetzt schon wieder? Ich fühle mich bereits um Jahre gealtert. Und dann noch das: “Aber wir bekennen uns auch dazu, dass diejenigen, die arbeiten, dies auch zu ordentlichen Bedingungen tun können.”
Olaf Scholz hat mal eben den ganzen Niedriglohnsektor, den die SPD mit Hartz IV, Ein-Euro-Jobs und was noch alles für Gesetzen geschaffen hat, unter einer dicken Crèmeschicht verschwinden lassen. Das gibt es doch nicht, grunze ich über die Zeitung gebeugt und bringe dieser unbeherrscht auch einige Falten bei. Soll die Zeitung doch auch etwas altern.
Nachdem ich die Seite wieder geglättet habe, lese ich, dass der Tagesspiegel nicht locker lässt: “Was dürfen wir uns unter einer pragmatischen SPD-Wirtschaftspolitik vorstellen?”
Olaf Scholz: “Grundsätzlich muss die SPD mit ihrer Wirtschaftspolitik immer beweisen, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen erhalten und stärken kann. Und dass die Arbeitsplätze sicher bleiben und die Arbeitnehmer ordentlich bezahlt werden.”
Ist das jetzt die Crème oder war das bei der Sozialdemokratie schon immer so, dass die Arbeitnehmer zuletzt genannt werden und die Unternehmen zuerst?
Olaf Scholz trägt schließlich noch ein bisschen Haushaltskonsolidierung auf und greift zur weiteren Verschönerung auch ins Töpfchen mit der Schuldenbremse. Beide sind ihm besonders teuer. Dann noch etwas Make-up mit politischem Lokalkolorit aus Hamburg. Schön, schön.
Aber wie sieht die SPD denn nun wirklich aus?
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