Welcher Teufel mag den Mit-Herausgeber und Feuilleton-Chef, Frank Schirrmacher, geritten haben, Thilo Sarrazin eine Seite in der Weihnachtsausgabe der FAZ einzuräumen?
Sollte Schirrmacher tatsächlich Humor besitzen, englischen sogar, und wollte er seinen Lesern hinter Sarrazins Rücken eine weitere Neuauflage des Dickensschen Weihnachtsmärchens präsentieren, sich immer noch einbildend, dass hinter seiner Zeitung immer ein kluger Kopf stecke, der schon verstünde, dass sich da einer erneut zum Narren macht? Schaut man sich die putzigen Fotos an, die den Artikel zieren - Sarrazin mit Weihnachtsmütze auf einem Kinderkarrussel eines Berliner Weihnachtsmarktes -, könnte man fast geneigt sein, dies zu glauben.
Sarrazin als Scrooge wäre zugegeben eine Idealbesetzung, selbst geeignet, Michael Caine aus dem Feld zu schlagen. Die einzigen, die einem dabei hätten leid tun können, wären die Dickenschen Weihnachtsgeister gewesen, die den in seiner Selbstbezogenheit und Verbohrtheit noch weit über das Original hinausschießenden Sarrazin zu mehr Menschlichkeit hätten anleiten und ihm die “Kinder” namens “Unwissenheit” und “Mangel” hätten austreiben sollen. Wäre dem so gewesen, hätte das “Stück” als literarische Gattung glatt zu recht das Feuilleton geziert.
So sind die Dickenschen Weihnachtsgeister aber noch einmal davon gekommen, denn so weit hat Frank Schirrmacher sicherlich nicht gedacht; und wissen wir nicht alle längst, dass nicht nur hinter dieser Zeitung keineswegs immer ein kluger Kopf steckt, sondern auch immer seltener kluge Köpfe darin schreiben?
Wenn der Beitrag Sarrazins auch nur ein weiteres Mal bestätigt, dass dieser Autor mit einer schon fast bemitleidenswerten Blasiertheit die Wirklichkeit ausblendet, und eine weitere Auseinandersetzung von daher sinnlos erscheinen muss, so gilt doch immer noch die Devise, bis zum letzten Wort um die Wahrheit zu ringen.
Der Reihe nach: Sarrazin schreibt von “Hass aus der politischen Klasse und einem Teil der Medien”, der ihm aufgrund seines Buches entgegengeschlagen sei. Wo denn? Die so genannten Leitmedien haben den Millionenerfolg seiner kruden Schrift doch erst ermöglicht! Auch wenn es einige kritische Stellungnahmen gab, protegierten die durchschlagenden Medien wie BILD, SPIEGEL und auch die FAZ Sarrazin doch geradezu. Vorneweg Frank Schirrmacher, dessen Beitrag zu Sarrazins Buch zwar eine kritische Überschrift trug (“Ein fataler Irrweg“), in dem er ihn aber als Bildungsbürger hofierte: “Sarrazin ist ohne Zweifel ein Bildungsbürger. Das ist die Grundhaltung seines Buches…” Hätte er dies wenigstens dazu genutzt, sich einmal kritisch mit dem Begriff des Bildungsbürgers auseinanderzusetzen! Doch Schirrmacher hebt Sarrazin noch auf ein ganz anderes Podest: Sarrazins “Thesen laufen auf eine vollständige Neudefinition unseres Begriffs von Kultur hinaus…” Oho!Und was ist mit der “politischen Klasse”? Hat sie sich tatsächlich so lautstark von Sarrazin distanziert, sich gar mit “Hass” gegen ihn gewendet, wie Sarrazin behauptet? Wurde – auch als Reaktion auf Sarrazin – nicht im Gegenteil auch hier allenthalben eine “härtere Gangart” gefordert (vergleiche zum Beispiel hier: “Merkel kündigt Härte gegen Integrationsunwillige an”, der bayerische Innenminister Herrmann: “Wer den deutschen Pass will, kann nicht im Herzen Türke bleiben wollen“, “Seehofer fordert Zuwanderungsstopp: Multi-Kulti ist tot”, “Merkel erklärt Multikulti für gescheitert”).
Spricht hieraus etwa “Hass” gegen Sarrazin, wie Sarrazin in seiner “Weihnachtsgeschichte” in der FAZ selbstmitleidig schreibt, oder versucht Sarrazin sich hier als Opfer zu stilisieren, um von dem Hass, den er selbst so erfolgreich gesät hat, abzulenken (vergleiche hierzu Ulrich Jörges, “Ihr Applaus, Herr Sarrazin!”)?
Sarrazin behauptet in seinem “Weihnachtsmärchen” darüber hinaus erneut: “Die von mir genannten Statistiken und Fakten hat keiner bestritten.” Die Psycholgin Elsbeth Stern, auf die sich Sarrazin in seinem Buch bezieht, hat ihm aber – immerhin auch in der FAZ – vehement widersprochen (vergleiche auch “Forscher haben den Streit längst entschieden”). Im Interview mit der FAZ benennt Stern die aus ihrer Sicht entscheidende Ursache für eine “Verdummung” der Gesellschaft: ”Die größte Gefahr für eine gesellschaftliche Verdummung besteht darin, dass soziale Herkunft für Schul- und Berufserfolg wichtiger ist als Intelligenz und Begabung.” Damit spricht Stern – anders als Sarrazin – ein wirkliches Problem in Deutschland an, dem die politisch Verantwortlichen seit Jahren versuchen auszuweichen, indem sie an der Dreigliedrigkeit des Schulsystems festhalten und – auch im Vergleich mit anderen Industrieländern – zu wenig in die personelle und materielle Infrastruktur von vorschulischer, schulischer und universitärer Ausbildung investieren. Elsbeth Stern an anderer Stelle: “Sarrazin hat nicht verstanden, wie die Vererbung die Entwicklung von Intelligenz beeinflusst.” Sarrazin ficht diese vernichtende Kritik nicht an, und er behauptet weiterhin tapfer, niemand hätte seinen Statistiken und Fakten widersprochen. Es mutet fast schon komisch an, wenn er schreibt: “Natürlich ließ mich die feindliche Aufnahme meines Buches in Politik und vielen Medien nicht unberührt. Immer wieder ging ich Passagen im Buch daraufhin durch, ob Fakten tendenziös dargestellt waren oder die Sprache kränkend war. Ich fand aber nichts.”
Anstatt sich mit den offensichtlichen Fehlern seiner bisherigen “Analyse” auseinanderzusetzen, greift Sarrazin lieber gleich zur nächsten Quelle und meint jetzt auch noch Goethes “West-östlichen Divan” mal ebenso nebenher richtig verstanden zu haben. Andere, wie Katharina Mommsen, Professor emerita für Literatur der Stanford University in Kalifornien, benötigten hierfür Jahre intensiver Forschung. Klar, dass die so lange braucht, wird einer wie Sarrazin dem entgegenhalten, hat ja auch Migrationshintergrund, Frau Katharina Mommsen in Kalifornien!In Mommsens Werk “Goethe und der Islam” heißt es vorab:”Seit Jahrzehnten hat sich Katharina Mommsen mit dem Einfluss des Islam auf Goethes Leben und Werk auseinandergesetzt und ist dabei oft zu überraschenden Ergebnissen gelangt, die dem Leser neue Perspektiven eröffnen.” Mommsens Gesamtdarstellung “Goethe und die arabische Welt” ist zu einem Standardwerk der Goethe-Forschung geworden.
Mommsen leitet ihr Werk “Goethe und der Islam” mit folgenden Worten ein:
“Das Verhältnis Goethes zum Islam und zu seinem Begründer Mohammed (569-632) gehört zu den erstaunlichsten Phänomenen in des Dichters Leben. Es lässt sich zeigen, dass er eine ganz besondere innere Anteilnahme für die Religion der Muslime entwickelte und dass der Koran nach der Bibel die religiöse Urkunde gewesen ist, mit der Goethe am vertrautesten war. Seine Anteilnahme am Islam bekundete sich zu den verschiedensten Zeiten seines Lebens. Als 23jähriger dichtete Goethe ein wundervolles Preislied auf den Propheten Mohammed, und noch der 70jährige Dichter bekennt in aller Öffentlichkeit, dass er sich mit dem Gedanken trage, ´ehrfurchtsvoll jene heilige Nacht zu feiern, wo der Koran vollständig dem Propheten von obenher gebracht ward´(in: Noten und Abhandlungen zum West-östlichen Divan, Kapitel ´Künftiger Divan´, Abschnitt Buch des Paradieses).”
Vergleichen Sie diese einführenden Zeilen, die eine ganz neue Welt eröffnen, mit denen des Migrations-Religions-Mephistos Sarrazin!
Bleibt die eingangs gestellte Frage, was Schirrmacher sich wohl dabei gedacht hat, diesem Scharlatan noch einmal die Bühne zu geben, noch dazu zu Weihnachten, dem Fest der Liebe? Vielleicht wollte Schirrmacher einfach selbst einmal den Scrooge geben: Humbug!
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