SPD-Führung geht Schuldenabbau über alles (05.09.2011)

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Was soll man dazu noch sagen: Die Wahlverlierer von gestern – Steinmeier vorneweg – erklären sich zu Siegern von morgen und wollen im Kern doch nichts anderes machen, als die jetzige Regierung aus CDU/CSU und FDP und deren Vorgängerregierung: die SPD.

Großspurig heißt es in der Pressemitteilung zum “Nationalen Pakt für Bildung und Entschuldung”, den SPD-Fraktionschef Steinmeier und SPD-Parteichef Gabriel am 5. September präsentierten:

“Anders als andere Parteien, die den gegebenen Herausforderungen ausweichten, habe sich die SPD ´entschlossen, Antworten zu geben´, sagte Steinmeier…´´.Wie halten intelligente Sozialdemokraten dieses Geschwätz bloß aus?

Schuldenabbau über alles

Schuldenabbau hat für die SPD ”1. Priorität”. Die Pressemitteilung posaunt: ”Die Erfahrungen aus der europäischen Schuldenkrise zeigten, dass auch in Deutschland die öffentlichen Haushalte so schnell wie möglich konsolidiert werden müssten, heißt es in dem zehnseitigen Papier, das Parteichef Sigmar Gabriel gemeinsam mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier im Berliner Willy-Brandt-Haus vorstellte.”

SPD kann sogar in den Abbau von Schulden ”investieren”

Köstlich – wenn es nicht so traurig wäre – auch dies:

“Insgesamt will die SPD durch Mehreinnahmen aus wirtschaftlichem Wachstum und durch Steuererhöhungen über fünf Milliarden Euro zusätzlich in den Abbau von Schulden investieren.”

Jetzt kann man also schon in den Abbau von Schulden “investieren”. Gibt es noch Ökonomen in der SPD-Fraktion, die sich – ihrem Gewissen und Wissen verpflichtet – an dieser Stelle kritisch zu Wort melden?

Nicht nur, dass man in den Abbau von Schulden nicht “investieren” kann; es verhält sich geradezu umgekehrt: Jeder Euro, der heute zur Schuldentilgung verwendet wird, steht heute nicht für öffentliche Investitionen in die Zukunft zur Verfügung.

Und wenn es “1. Priorität” ist, die Schulden abzubauen, hilft dies in aller Regel auch nicht dem wirtschaftlichen Wachstum, aus dem sich die SPD zuallererst ihre Mehreinnahmen verspricht, wie oben zu lesen ist.

Kein angemessener Spitzensteuersatz

Den Spitzensteuersatz ab 100.000 Euro auf 49 Prozent zu erhöhen, ist wiederum nicht besonders ehrgeizig, wenn man bedenkt, dass sich die Einkommens- und Vermögenskonzentration seit der Kohl-Ära dramatisch erhöht hat, zu Kohls Zeiten der Spitzensteuersatz aber immerhin noch 53 Prozent betrug.

Bildungsausgaben bleiben weiter hinter OECD-Durchschnitt zurück

Weiter heißt es:

“Investiert werden soll das Geld vor allem in den Abbau der Neuverschuldung, aber auch in die Zukunft des Landes. Für kostenfreie Kinderbetreuung und Bildung bis zum Studium soll der Bund rund 10 Milliarden Euro den Ländern zur Verfügung stellen.”Seit Jahren liegen allein die Ausgaben für Bildung in Deutschland, gemessen am Sozialprodukt, um 25 Milliarden Euro unter dem Durchschnitt der unter dem Dach der OECD versammelten Industriestaaten. Vor diesem Hintergrund klingt es geradezu lächerlich, dass die SPD meint: “Damit, so das Ziel, könne das international beste Bildungssystem geschaffen werden.”

Vermögens- und Erbschaftssteuer haben keine Priorität

Am Ende werden schließlich noch “die Wiedereinführung der Vermögenssteuer” und “die Reform der Erbschaftssteuer” genannt. Wie ehrgeizig die SPD hier vorgehen will, lässt sie allerdings in der Pressemitteilung nicht verlauten. Aber die haben explizit ja auch keine Priorität.

Aber vielleicht verrät das Papierselbst ja mehr. “Nationaler Pakt für Bildung” ist es überschrieben, und darunter steht mit einem Ausrufezeichen versehen: “Wir denken an morgen!”Was aber ist mit heute, neigt der geplagte SPD-Wähler da vielleicht schon einmal zu fragen.

Kein Unterschied zu Merkel, Schäuble und Rösler in der Eurokrise

Der erste Teil des Konzeptes widmet sich der aktuellen Lage in Deutschland und Europa. Und was da drin steht, könnte eins zu eins von Merkel und Schäuble, ja sogar von Rösler stammen:

“Dabei ist klar: Euro-Länder, die ihre öffentliche Verschuldung nicht mehr im Griff haben, müssen konsequente Konsolidierungsprogramme beschließen und durchsetzen, um so ihren Teil zur Lösung der Staatsverschuldungskrise zu leisten. Auch in Deutschland müssen die öffentlichen Haushalte gemäß der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse so schnell wie möglich konsolidiert werden.”

Gut, die SPD schiebt dann noch nach:
“Die internationale Staatengemeinschaft hat allerdings auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass aus der Finanzkrise von 2008/2009 und der nachfolgenden Schuldenkrise seit 2010 keine länderübergreifende Wirtschafts- und Sozialkrise und damit eine politische Demokratiekrise in Europa werden.”
Wie beides - ”konsequente Konsolidierungsprogramme” und “keine länderübergreifende Wirtschafts- und Sozialkrise” – in Einklang zu bringen ist, bleibt das Geheimnis der SPD. Vielleicht hat sie deswegen ja “keine länderübergreifende Wirtschafts- und Sozialkrise” geschrieben: in Griechenland, Portugal und Spanien ihretwegen schon - diese aber bitte nicht “länderübergreifend” nach Deutschland tragen.
Die SPD will “mehr internationale Abstimmung und mehr gemeinsames Handeln”. Alles im Dienste der von ihr vorgegebenen “konsequenten Konsolidierungsprogramme”. Das wollen Merkel, Schäuble und Rösler auch.Unvereinbare Zielsetzungen

Alles, aber auch Alles, wird von der SPD in den Dienst des Schuldenabbaus und der “Rückführung der Neuverschuldung” gestellt, auch “qualitatives Wachstum”:”Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bekennen uns zu einer wachstumsorientierten Konsolidierungspolitik: Wir wollen gezielt Investitionen fördern, aktive Konjunkturpolitik betreiben, den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland ausbauen und die Binnennachfrage insbesondere durch die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde steigern. Denn gezieltes, nachhaltiges Wachstum ist immer noch der beste Garant für solide Finanzen!”

Wie die SPD mit ihrer “1.Priorität”, Schulden abzubauen, “aktive Konjunkturpolitik betreiben” möchte und “den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland ausbauen und die Binnennachfrage” steigern will, verrät sie uns nicht. Zur Stärkung der Binnennachfrage fällt ihr nicht mehr ein, als für die angestrebte Regierungsübernahme in 2013 immer noch den Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zu fordern, wo Länder mit einer vergleichbaren Produktivität wie Luxemburg und Frankreich schon jetzt Mindestlöhne von über 10 bzw. 9 Euro zahlen.
Im 2. Kapitel des ersten Teils widmet sich die SPD der “Situation der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland”
Darin hält die SPD unter anderem fest:”Mit mittelmäßigen Bildungsausgaben ist kein erstklassiges Bildungssystem zu finanzieren.
Daher wollen wir für Bildung so viel Geld bereit stellen wie die Spitze der erfolgreichen
Staaten.”
Das aber ist mit den oben erwähnten 10 Milliarden Euro mehr nicht zu leisten.
Nachdem die SPD dann ein realistisches Bild der prekären Situation in den Kommunen zeichnet, fordert sie außerdem:
“Der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft darf keinen weiteren Schaden nehmen. Die soziale Gesellschaft beginnt aber in einer sozialen Stadt! Daher brauchen wir handlungsfähige,
solide finanzierte Kommunen. Deutschland hat einen enormen Investitionsbedarf. Die
öffentlichen und privaten Investitionsquoten sind unterdurchschnittlich, die Energiewende
verlangt nach neuen Zukunftsinvestitionen. Hierfür müssen wir die notwendigen Mittel
bereitstellen.”
Wie aber will die SPD das leisten, wenn sie nicht hierauf, sondern auf den Schuldenabbau ihr Hauptaugenmerk richtet und nicht eben ehrgeizige Steuererhöhungen für Spitzenverdiener und Vermögende vorsieht?
In einem 3. Kapitel widmet sich die SPD schließlich den Arbeitseinkommen und Vermögen in Deutschland

Die SPD zeichnet darin ein realistisches Bild von der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft und schließt:  “Diese Entwicklung begreift die SPD als ernste Herausforderung für Politik und Gesellschaft.”

Nach dieser Bestandsaufnahme folgt unter II. der ”Nationale Pakt für Bildung und Entschuldung: Wir denken an morgen!”
Die SPD will Deutschland in einem Zeitraum von fünf Jahren zukunftsfähiger machen. Dagegen ist ja nun wirklich nichts einzuwenden.
Avancen an die Schröder-Ära

Die SPD will dies wie folgt leisten:

“Das Konzept umfasst Vorschläge zum weiteren wirtschafts- und sozialverträglichen Abbau von Subventionen, die Modernisierung der Verwaltung sowie eine moderate Erhöhung der Steuerbelastung für sehr hohe Einkommen und Vermögen. Neben Mitteln für Zukunftsinvestitionen wirken wir so der wachsenden Ungleichheit in Deutschland entgegen.”

Das alles riecht förmlich nach einer Neuauflage der Schröder-Ära, etwas kaschiert mit einer “moderaten” Erhöhung der Steuerbelastung für sehr hohe Einkommen und Vermögen. Allein das Tarnwort “Modernisierung” wirkt schon wie eine Drohung, hieß dies doch in der Vergangenheit nichts anderes als Kostensenkungen und Verkleinerung der Verwaltung. Mit so einem Schmalspurprogramm der “wachsenden Ungleichheit in Deutschland” etwas entgegensetzen zu wollen, ist völlig unglaubwürdig.
Und dann schiebt die SPD noch hinterher:

“Alle Vorschläge, die wir machen, sind gegenfinanziert und stehen unter dem Vorbehalt,

dass die Einnahmesituation sich nicht wesentlich ändert. Für Sozialdemokraten gilt aber in jedem Fall: Wir machen keine Steuersenkungen und keine Politik auf Pump! Fest steht: Eine gut funktionierende Infrastruktur, gute Schulen und ein hohes Maß an öffentlicher Sicherheit setzen eine angemessene und solide Einnahmebasis in den öffentlichen Haushalten voraus. Daneben benötigen wir eine Ausgabenpolitik, welche Steuermehreinnahmen zum Abbau der Neuverschuldung nutzt.”

Expliziter Anspruch der SPD: radikaler beim Schuldenabbau zu sein als CDU/CSU und FDP

Deutlicher kann man doch nicht herumeiern. Es ähnelt alles an den Witz: Das Kleingedruckte hebt das Großgedruckte wieder auf. Nur, dass die SPD das klein zu Druckende schon einmal ganz fett druckt, um ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wenn man denn erst einmal gewählt ist. Alles Zukünftige ordnet die SPD dem Abbau der Neuverschuldung unter. Radikaler sind CDU/CSU und FDP auch nicht. Im Gegenteil, die SPD gibt sich in diesem Punkt selbst radikaler als CDU/CSU und FDP, indem sie festhält:
“Solide Finanzpolitik heißt für uns konkret:
1. Wir bauen in wirtschaftlich guten Zeiten konsequent Schulden ab. Im Gegensatz
zu CDU/CSU und FDP werden wir die Schuldenbremse sicher einhalten!”
Und weiter heißt es:
“Dafür nutzen wir alle konjunkturbedingten Steuermehreinnahmen.
Darüber hinaus nutzen wir auch die Einnahmen aus Steuererhöhungen in Höhe
von 5,4 Mrd. Euro pro Jahr komplett für das Ziel der konsequenten Einhaltung der
Schuldenbremse und eines ausgeglichenen Bundeshaushalts. (Ca. 1,7 Mrd.
Euro sowie ca. 1,8 Mrd. Euro Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ab
100.000 Euro Jahresverdienst für Alleinverdiener sowie 1,7 Mrd. Euro aus der
Erhöhung der Brennelementesteuer)”
Erst danach heißt es unter 2.

“Wir investieren in die Zukunft unseres Landes: 27 Mrd. Euro für Bildung und Kommunen – finanziert aus Einsparungen, dem Abbau von überflüssigen Subventionen und der Wiedereinführung der Vermögensteuer für die Länder.

Auf dem Weg zum “weltweit besten Bildungs- und Betreuungsangebot” mit zusätzlichen 10 Milliarden – ab 2016

“Der Bund muss jährlich aufsteigend deutlich mehr in den Aufbau des weltweit besten Bildungs- und Betreuungsangebots in Deutschland investieren, um 2016 zusätzlich 10 Mrd. Euro an Bundesmitteln bereit zu stellen.”
Die 10 Milliarden Euro mehr sollen also sogar erst 2016 bereit gestellt werden. Und damit will die SPD “den Aufbau des weltweit besten Bildungs- und Betreuungsangebots” erreichen, obwohl der Durchschnitt der OECD-Staaten jetzt schon an der deutschen Wirtschaftsleistung gemessen 25 Milliarden Euro mehr allein für Bildung ausgibt. Hat da in der Fraktion und der Partei kein Bildungspolitiker aufgeschrien?
Am Ende des Kapitels hält die SPD noch einmal den vordringlichen Schuldenabbau fest:

“Fazit: Neben dem vordringlichen Schuldenabbau sind Investitionen in Bildung und

Betreuung und die Wiederherstellung der sozialen und kulturellen Handlungsfähigkeit unserer Städte, Gemeinden und Landkreise durch sozialdemokratische Politik in den kommenden Jahren notwendig. Diese Modernisierung unserer öffentlichen Institutionen sollen finanziert werden vor allem durch Subventionsabbau und die Wiedereinführung der Vermögensteuer.”

In einem 3. Kapitel heißt es dann “Wir sorgen dafür, dass Arbeit und Fleiß wieder mehr wert sind: statt Subventionen für Billigjobs mehr Sicherheit bei Gesundheit und Rente!”

Ordentliche Freibeträge bei Vermögenssteuer und kein Wort über Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenzen

Ich kann hier getrost abbrechen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die SPD ordentliche Freibeträge vorsieht, bevor die Vermögenssteuer greifen soll, und dass von einer Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenzen in den Sozialversicherungen für deren sozial ausgewogenere Finanzierung keine Rede ist.Wie für Steinbrück gemacht
Ach ja, eines noch: Mit diesem Programm kann Kanzlerkandidat in spe, Peer Steinbrück, sicher getrost regieren; es scheint mir wie geschaffen für diesen neoliberalen Geist.Gefragt ist ein sozialdemokratischer Gegenentwurf

Es fehlt ein sozialdemokratischer Gegenentwurf, der die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zum Ausgangspunkt wählt, die Eurokrise als Eurokkrise und nicht als selbstverschuldete Schuldenkrise einzelner Staaten begreift und der Investitionen und eine gerechtere Einkommens- und Vermögensentwicklung an den Anfang stellt. Der Schuldenabbau erledigt sich dann fast wie von selbst. Wenn dann noch deutlich gemacht wird, dass dies auch ökologisch nachhaltig geschieht, wäre vielleicht nur noch aufzuzeigen, wie eine Außenpolitik aussehen könnte, die sich wieder für Verhandlungen stark macht und Krieg nicht länger als Mittel der Politik ansieht.
Nachtrag vom 09.09.2011: Siehe zur SPD-Priorität des Schuldenabbaus jetzt auch hier im Rahmen der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag: “Gleichwohl werfen SPD und Grüne der Bundesregierung vor, sie verletzte die Regelung, da konjunkturbedingte Steuermehreinnahmen für den Abbau der Neuverschuldung zu verwenden seien. Um rund sieben Milliarden Euro könne die Neuverschuldung 2012 daher geringer ausfallen als von Schäuble veranschlagt, glaubt SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider.” (Quelle: Mitteldeutsche Zeitung)


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