In der FAZ ist zu lesen, dass der SPD-Parteivorsitzende Gabriel “bereit sei, zugunsten Steinbrücks auf die Kandidatur zu verzichten, wenn seine Beliebtheitswerte weiterhin so schlecht blieben. Gabriel, berichten Vertraute, sei nur über den Umstand unglücklich, dass Steinbrück öffentlich über die Verabredung des Trios gesprochen habe.”
Das erinnert fatal an das “Duo” Schröder-Lafontaine. Auch damals wurde nicht nach sozialdemokratischen Inhalten, nach der politischen Ausrichtung entschieden, sonder nach Beliebtheitswerten. Lafontaine dazu im März 2011 in einem Interview mit der :
“Lafontaine: Ich habe erkannt, dass ich einen schweren Fehler gemacht hatte, weil ich Gerhard Schröder die Kanzlerkandidatur überlassen habe. Das hat die deutsche Politik entscheidend verändert.
taz: Sie hätten Schröder als Kanzler verhindern können?
Lafontaine Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass der SPD-Vorsitzende Kanzlerkandidat wird, wenn er will. Ich war die Nummer eins in der Partei. Schröder sieht das auch so. Er hat auch nie verstanden, warum ich ihm den Vortritt gelassen habe. Schröder hatte damals die besseren Chancen, die Unterstützung von Bild bis Spiegel, darum habe ich ihm die Kanzlerkandidatur überlassen.”
Wenn das kein déjà-vu ist.
Auch damals haben die Medien ordentlich Stimmung gemacht – gegen eine sozialdemokratische Grundausrichtung, verkörpert durch Lafontaine, und für das Sprachrohr der Wirtschaft, verkörpert in Schröder und getarnt durch das Schlagwort “Modernisierer”. So schrieb der Spiegel 1997: “Das Image des Modernisierers hat Oskar Lafontaine an Gerhard Schröder verloren. Nun will sich der SPD-Chef vom Makel des Verweigerers befreien.”
Freilich wurde damals mit härteren Bandagen gegen Lafontaine gestänkert, als bisher gegen Gabriel. Das ist aber gerade seinem klaren politischen Profil geschuldet gewesen, das für einen sozialdemokratischen Wechsel stand – und das die wirtschaftsfreundlichen Redakteure der Leitmedien gegen Lafontaine aufbrachte.
Sollte Gabriel das Profil der SPD in eine ähnliche Richtung zu schärfen beginnen, die Abwege der Sozialdemokratie auf neoliberales Terrain rückblickend offen hinterfragen und aus inhaltlicher Überzeugung sozialdemokratischen Boden wieder gut machen, würden die Medien ihren Ton auch gegen ihn verschärfen.
Und doch ist dies der einzig gangbare Weg, die SPD wieder zu einer starken Volkspartei zu machen. Nicht Umfragen, nicht persönliche Beliebtheitswerte, nein, nur ein selbständiger Kurs, der Alternativen überzeugend zu begründen weiß und das am Boden liegende Gemeinwohl wieder fest in den Blick nimmt und es wieder zur Priorität staatlichen Handelns erhebt, kann die SPD voranbringen. Ist sie hierin glaubwürdig, und erlangt sie hierüber Geschlossenheit, dann werden die Wählerinnen und Wähler der Sozialdemokratie zufliegen – Umfragen und Medienschelte hin oder her.
Peer Steinbrück steht für den entgegengesetzten Kurs. Sein Vorteil: Er hat wenigstens einen Kurs. Und: Die Medien schreiben ihm mehrheitlich die Kompetenz zu, die er zwar nicht hat, aber die von ihnen hofiert wird: Wirtschaftskompetenz.
Das Ergebnis ist offen. Aber vieles spricht derzeit dafür, dass Steinbrück seine Mitspieler vorerst weiter vor sich hertreiben wird. Ein Indiz hierfür und aus sozialdemokratischer Sicht beschämend in diesem Zusammenhang ist beispielsweise, dass einer der wenigen – wenn nicht der einzige – richtungsweisende Grundsatzartikel einer Sozialdemokratin offensichtlich in den eigenen Reihen völlig untergegangen, übersehen bzw. nicht diskutiert worden ist:
Kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun.
Die inhaltliche Auseinandersetzung scheint vorerst gegenüber persönlichen Beliebtheitsskalen auf der Strecke zu bleiben. Die Voraussetzung für eine Kanzlerkandidatur – die Wiederauferstehung der SPD als Volkspartei – ist damit aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu erreichen. Die SPD sollte ihren Fehler von 1998 nicht wiederholen. Die sozialdemokratischen Inhalte sollten diesmal die Kür des Kandidaten bestimmen, der sie am überzeugendsten vertritt – nicht gegenüber der Wirtschaft, sondern gegenüber den Mitgliedern und Wählerinnen und Wählern. Die Zeit für einen Wechsel ist reif – wie damals, 1998. Die SPD muss ihre Chance nur nutzen.
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