Immerhin: In der SPD wird diskutiert. Jedenfalls in der Parlamentarischen Linken, einer Gruppierung der SPD-Bundestagsfraktion, und der DL 21, Die Linke in der SPD, wie sich dieses Partei-Forum selbst begreift. Beide veranstalteten am 20. Oktober eine Diskussionsveranstaltung zum „SPD-Konzept Bürgerversicherung“ im Deutschen Bundestag.
Es gibt nicht „das“ Konzept
Dass es „das SPD-Konzept Bürgerversicherung“ so gar nicht gibt, wie die Einladung suggerierte, wurde dabei sehr schnell deutlich. Schnelligkeit war auch geboten. Denn einer der Hauptreferenten, der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, hatte sich sage und schreibe nur eine halbe Stunde Zeit genommen. Ein Großteil der Fragen und Kritikpunkte, die sein Vortrag aufwarf, mussten daher unbeantwortet bleiben, bzw. konnten sie gar nicht mehr an ihn gerichtet werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Jedenfalls löste dies nicht nur ungläubiges Erstaunen, sondern auch deutlichen Unmut bei den Beteiligten aus.
Tatsächlich stehen sich mindestens zwei konträre Positionen innerhalb der SPD gegenüber. Der SPD-Parteivorstand hat am 26. September dieses Jahres einen Beschluss über eine „Solidarische Gesundheitspolitik für alle Bürgerinnen und Bürger“ verabschiedet. Hilde Mattheis, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Forums DL 21, hat hierzu „Argumente für eine solidarische Reform der Bürgerversicherung“ vorgelegt. Schließlich gibt es noch ein Konzept der Reformkommission „Für ein solidarisches Gesundheitssystem der Zukunft“ beim DGB-Bundesvorstand, zu dem an diesem Abend Annelie Buntenbach, Mitglied im DGB-Bundesvorstand, referierte.
Finanzierung ist Knackpunkt
Der Streit innerhalb der SPD richtet sich weniger auf die Ausrichtung der Gesundheitspolitik, als auf die Finanzierung. Auf letztere konzentrierten sich dann auch die Vortragenden und die Kritiker. Der Kern der Diskussion liegt in der Ausgestaltung der Parität und der Beitragsbemessungsgrenze.
Beitragsbemessungsgrenze anheben oder beibehalten
Während der Beschluss des Parteivorstands vorsieht, die Beitragsbemessungsgrenze entsprechend dem heutigen Niveau beizubehalten und entsprechend dem heutigen Niveau fortzuschreiben, verlangt Mattheis, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben. Nach dem Beschluss des SPD-Parteivorstands würden auch künftig höhere Einkommen, die die heutige Beitragsbemessungsgrenze von monatlich 3712 Euro überschreiten, nicht in die solidarische Finanzierung einbezogen werden.
Mattheis verweist in ihrem Papier darauf, dass die SPD seit 2003 eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze fordert, „um das Solidaritätsprinzip in der Krankenversicherung zu stärken. Diejenigen, die mehr leisten können, sollen sich auch einkommensabhängig geringfügig stärker beteiligen. Deshalb wollen wir die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der heutigen Rentenversicherung (5500 Euro monatlich) anheben.“ Vor diesem Hintergrund wurde dem Konzept des Parteivorstandes auch aus dem Publikum „totale Unglaubwürdigkeit“ bescheinigt.
Nach den Angaben Mattheis, würde die von ihr geforderte höhere Beitragsbemessungsgrenze die oberen 30 Prozent aller Einkommen betreffen und mindestens 25 Milliarden Euro Mehreinnahmen ins System bringen. „Dadurch kann der Beitragssatz für alle sinken“, schreibt Mattheis.
Die „Krankenhausinsassen“ oder diejenigen, die mit dem Alltag und der Versorgung in den Krankenhäusern vertraut sind, hätten sich hier vielleicht auch gewünscht, dass statt Beitragssenkungen eine bessere Versorgung für alle ins Auge gefasst worden wäre.
Auch das Konzept des DGB spricht sich für eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze aus. Einer Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenzen stünden hingegen „verfassungsrechtliche Bedenken“ entgegen.
Kapitaleinkünfte „verbeitragen“ oder nur zur allgemeinen Finanzierung heranziehen
Gestritten wurde in diesem Zusammenhang auch über die Einbeziehung von Kapitaleinkünften. Während Lauterbach auf die Erhöhung der Kapitalertragssteuer zur Finanzierung eines „dynamisierten Steuerbeitrages“ zur Finanzierung der Krankenversicherung sprach, forderten Mattheis und Buntenbach direkt alle Einkommen, also auch die aus Kapitalerträgen, zu verbeitragen. Ein SPD-Mitglied kritisierte Lauterbachs Position auch damit, dass eine Anhebung der Kapitalertragssteuer doch schließlich ganz unabhängig von der Finanzierungsfrage des Gesundheitssystems eine Forderung der SPD sei.
Parität ja, aber welche?
Ein weiterer Streitpunkt ergibt sich aus den unterschiedlichen Vorstellungen über eine paritätische Finanzierung des Gesundheitswesens. Lauterbach, der die Position des Parteivorstands vertrat, sprach von einer „tatsächlichen Parität“; Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden zu 50 Prozent herangezogen; dadurch würde die Belastung der Arbeitgeber um fünf Milliarden steigen.
Buntenbach verwies dagegen darauf, dass das Konzept des SPD-Parteivorstands keineswegs eine „tatsächliche“ oder „reale“ Parität gewährleiste, und warf die Frage auf, was denn beispielsweise mit den zehn Milliarden Zusatzkosten sei, die allein die Beschäftigten tragen. Durch die Praxisgebühr, Krankenhaustagegeld, Medikamenten- und andere Zusatzkosten zahlten die Arbeitnehmer derzeit 0,9 Prozent mehr als die Arbeitgeber. Was dabei noch gar nicht berücksichtigt wurde: Der Abbau der Leistungen beispielsweise bei der Zahnbehandlung hat auch – zumindest für diejenigen, die sich das leisten können – erheblich Kosten für Zusatzversicherungen mit sich gebracht.
Allerdings hatte Lauterbach zuvor darauf hingewiesen, dass das Konzept des SPD-Parteivorstands explizit die Abschaffung der Sonder- und Zusatzbeiträge vorsehe. Das umfasst ja aber evtl. nicht die von Buntenbach angesprochenen tatsächlichen Zusatzkosten, die allein die Beschäftigten zu tragen haben. Aufgrund des fluchtartigen Aufbruchs von Lauterbach, konnte unter anderem diese Frage nicht geklärt werden.
Mattheis verwies darauf, dass das Konzept vom Parteivorstand lediglich eine „nominale Parität“ vorsehe und spricht von einer „Neuerfindung“. Weil zwar bei den Arbeitgebern die Beitragsbemessungsgrenze aufgehoben werde, sich aber bei den Arbeitnehmern nichts verändern soll, entstündenfür die Beschäftigten höhere Beitragssätze als für die Arbeitgeber, so Mattheis.
Lauterbach argumentierte hiergegen mit „Ackermann“, für den aufgrund der Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze für die Arbeitgeber die Deutsche Bank dann doch gehörig mehr einbezahlen müsse. Dass Ackermann in erster Linie ein Arbeitnehmer mit Spitzeneinkommen ist, kam ihm dabei gar nicht in den Sinn. Er unterstrich damit also nur die Einwände von Mattheis und Buntenbach.
Gabriel fürchtet Wahlniederlage bei Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze
Die an diesem Abend geführte Diskussion hat nicht nur einen guten Einblick über die unterschiedlichen Vorstellungen innerhalb der SPD zu einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen gegeben; sie hat auch Fragen aufgeworfen. Diese Art der Streitkultur kann der SPD wie dem Politikbetrieb insgesamt nur gut tun. Ist aus der SPD mit der neu ins Leben gerufenen „Troika“ aus Steinmeier, Steinbrück und Gabriel zuletzt doch nur wieder der neoliberale Flügel lautstark in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten.
Der Parteivorsitzende Gabriel kam in dieser Runde schließlich auch noch zu Wort: Lauterbach ließ nach einer Anspielung aus dem Publikum verlauten, dass Gabriel sich tatsächlich gegen eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ausgesprochen habe. Sein „Argument“: Damit habe er schon eine Wahl verloren! Fazit ist: In der SPD atmet – wenn auch bisher noch versteckt in Diskussionsrunden – noch oder wieder eine andere Sozialdemokratie. Ob diese sich auch nach außen stärkeres Gehör verschafft, bleibt abzuwarten. Noch ist es ja etwas Zeit bis zum Parteitag im Dezember.
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