Warum nicht Peer? (14.05.2011)
Wenn die SPD nicht aufpasst, wird auch sie noch “ihr Guttenberg” erleben. Der Guttenberg der Sozialdemokratie heißt Peer Steinbrück. Freilich braucht man bei der SPD keinen Doktor- und schon gar keinen Adelstitel, um sich ins rechte Licht zu setzen. Ein bisschen Eloquenz und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein reichen, um “die alte Tante” in Entzücken zu versetzen. Die ist stolz auf ihren “Enkel”, dem schließlich vom Vorsitzenden bis hin zu den führenden Zeitungen der Republik Bewunderung gezollt wird – auch wenn er mit seinen Sticheleien gegen die eigene Partei eher den Ekel als den Enkel gibt. Waren die größten Lausbuben aber nicht schon immer Tantes und Omas Lieblinge?
Da stört auch nicht, dass Steinbrück der SPD als Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 2005 ihr schlechtestes Ergebnis seit 1954 bescherte. Schließlich wurde er wenig später zur Belohnung als Bundesminister der Finanzen berufen. Da kann er ja wohl so schlecht nicht gewesen sein. Ok, er hat dann in seiner Funktion als Bundesfinanzminister, gemeinsam mit dem Kanzlerkandidaten und jetzigem Fraktionsvorsitzenden der SPD Frank Steinmeier, für ein weiteres Rekordergebnis gesorgt: Die SPD landete 2009 bei 23 Prozent, ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Sei´s drum. So macht man in der SPD Karriere: Je größer die Niederlage vor den Wählern, desto größer das Ansehen in der Partei-Spitze - und bei den Medien. Einzige Voraussetzung: Eine große Klappe.
Da ist es doch nur selbstverständlich, dass Peer Steinbrück als ehemaliger Finanzminister der Bundeskanzlerin auf ihre Regierungserklärung zum Europäischen Rat antworten darf und dafür auch gleich die gesamte Redezeit der SPD eingeräumt bekommt – wer sollte dem großen Peer auch das Wasser reichen? Und hat er der Kanzlerin etwa nicht die Leviten gelesen? Hat er, aber er hätte seine Kritikpunkte genauso gut seinem Spiegelbild entgegen schleudern können. Hat er als Finanzminister doch die gleiche Politik betrieben wie die Kanzlerin und ihr Finanzminister heute: zögern, zögern und noch einmal zögern. Auch deswegen hat ihm der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugmann  “Holzköpfigkeit” (boneheadedness) vorgeworfen.
Und wie ein Cowboy in einem schlechten Western, der seinen Kontrahenten erst niederballert, um ihm dann mit den Worten wieder aufzuhelfen, dass er das nicht so gemeint habe, stimmte Steinbrück  in seiner Rede der Kanzlerin dann auch noch im Grundsatz zu. Der Beifall sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter war ihm dennoch sicher, und nicht nur der: “Heiterkeit” und “Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN” protokollierte der Stenographische Bericht des Deutschen Bundestages zur Anwort Peer Steinbrücks auf die Bundeskanzlerin – hat blos gefehlt, dass die auch noch klatscht.

Nun also macht sich Peer Steinbrück daran, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen. Und das “mit voller Kraft” und “mit mehr als 100 Prozent”, “mit jeder Faser seines Körpers”. Olala! Und all überall ist dies zu lesen, alle Medien greifen gierig nach ihm. Fast sarrazinisch, dieses Mediengewitter. ”Wer, wenn nicht Peer?”, fragte der Cicero schon Anfang Mai. Exakt zwei Jahre zuvor, im Mai 2009, zierte ein Bild Guttenbergs das Cover des Magazins. Der Titel: “Der Darling“. Jetzt also Steinbrück, martialisch in schmissiger, traditioneller Marine-Uniform, mit dem einen Arm den Weg weisend, im anderen lässig ein Fernrohr haltend, hinter ihm die stürmische See und dennoch zuversichtlich lächelnd. Ein Held, der uns alle ans rettende Ufer trägt.
“Eine gute Figur abgegeben” hat er als Finanzminister während der weltweiten Finanzkrise, schreibt dann auch Stern-Autor Frank Thomsen – genauer: entblödet sich Stern-Autor Frank Thomsen. Denn wer, wenn nicht Peer, hat die Finanzkrise bis zuletzt nicht wahrhaben wollen, ja, hat sie mit seinem Adlatus, Finanzstaatssekretär Asmussen, der heute unter der Kanzlerin dient, mit vorbereitet, indem er den Handel mit Schrottpapieren per Gesetz erst richtig hoffähig machte (nachzulesen  und hier)?
Aber wen schert es? Den SPD-Parteivorsitzenden jedenfalls nicht. Der war gleichauf mit dem Cicero zur Stelle: “Steinbrück habe als Finanzminister gezeigt, wie man in schwierigen Situationen Führung zeige. ´Er ist ein Mensch und Politiker, auf den die SPD besonders stolz ist´, sagte Gabriel. ´Und ich füge hinzu: dem ich jedes politische Amt in Deutschland sofort zutraue.” Die Euphorie macht auch vor ehemals kritischen, der SPD nahe stehenden Kulturschaffenden nicht halt: Peter Schneiders sozialdemokratische Hoffnung “gründet sich auf die unabhängigen Köpfe in dieser ältesten und anständigsten Partei Deutschlands. Einer dieser wunderbaren Querköpfe ist der Ex-Finanzminister Peer Steinbrück.”

Was Peer Steinbrück bisher von keinem Journalisten gefragt wurde – zumindest ist es nirgends in der gesamten Berichterstattung über die Kanzlerkandidatur Steinbrücks zu lesen: Wohin will er denn unser Land steuern, der Kapitän? Will er nahtlos an seine Regierungszeit als Finanzminister anknüpfen (Steuersenkungen für Spitzenverdiener und Unternehmen, Anhebung der Mehrwertsteuer, , Schuldenbremse auf Gedeih und Verderb, Liberalisierung der Finanzmärkte und Finanzprodukte, keine Börsenumsatzsteuer, keine Vermögenssteuer)? Bleibt es bei der Agenda 2010, Hartz IV, der Rente mit 67, Afghanistan?
Vielleicht steht Steinbrück so eindeutig für diese Politik, dass diese Fragen den Journalisten als überflüssig erscheinen. Manchmal helfen aber auch rhetorische Fragen, die Leser und die Wähler wachzurütteln und aufzuklären. Vielleicht sogar die Sozialdemokraten selbst. Die Basis ist wahrscheinlich schon alarmiert, aber die Führung? Ganz nebenbei könnten die Leitmedien damit ein wenig dem Verdacht entgegentreten, dass sie dabei sind, als “vierte Gewalt” zum willfährigen Sprachrohr eines – an seinen Ergebnissen gemessen – gescheiterten Politikers herabzusinken.


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