Wie der Ochs vor dem Berg (14.05.2009)

Die Regierung Merkel hat am Steuerloch kräftig mitgeschaufelt – nicht, weil sie zuviel, sondern weil sie zuwenig ausgegeben hat, um die Wirtschaftskrise zu bekämpfen

Mit der Überschrift „Steuerschätzer vermessen das schwarze Loch“ stimmte Spiegel Online in seiner Rubrik „Wirtschaft“ seine Leserschaft schon Tage vor der jetzt bekannt gegebenen Prognose des Arbeitskreises Steuerschätzungen auf das zu erwartende Grauen bei der Entwicklung der Steuereinnahmen ein.
Anders als Naturwissenschaftler, die zu der Materie der schwarzen Löcher forschen, hielt sich der Spiegel-Autor aber gar nicht erst mit der Frage auf, wie und wo schwarze Löcher denn entstehen, sondern machte lieber gleich klar, was aus ihrer schieren Existenz im Staatshaushalt denn politisch zu folgern sei: „Sind Wahlgeschenke für die Bürger finanzierbar oder nicht? Alles hängt von der Prognose der Steuerschätzer ab.“
Man stelle sich einmal einen Astronomen vor, der sich damit begnügte festzustellen: „Sind Galaxien überlebensfähig, oder nicht? Alles hängt von der Prognose der Astronomen ab.“ Und tatsächlich findet sich nach kurzer Suche bei Spiegel Online in der Rubrik „Wissenschaft/Weltall“ ein Autor, der unter der Überschrift „Am Anfang war das Loch“ zur „Galaxien-Entstehung“ gänzlich anders berichtet: „Den Ursprung einer Galaxie bildet ein riesiges Schwarzes Loch – das folgern Astronomen aus der Beobachtung junger Sternhaufen. Die verblüffende Erkenntnis wirft jedoch gleich eine neue Frage auf: Wie entstanden dann die ersten supermassiven Schwarzen Löcher des Universums?“

 

Offensichtlich wird – sicherlich nicht nur beim Spiegel – für den Abdruck naturwissenschaftlicher Beiträge ein höheres Niveau vorausgesetzt als für Artikel, die in der Rubrik Wirtschaft veröffentlicht werden.

 

Da aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise alle mit einem erheblichen Rückgang der Steuereinnahmen rechnen, kann der ökonomische und journalistische Mainstream in Deutschland mit den ihm selbst auferlegten Scheuklappen dann auch nur schlussfolgern, dass für „Wahlgeschenke“ jetzt nicht die Zeit sei. Und wie wir es von Bundesfinanzminister Steinbrück nicht anders kennen, reiht er sich da nahtlos ein. Er verbannte Steuersenkungsversprechungen seines Koalitionspartners dann auch bereits vorab ins Reich der Illusionen und gab den wirtschaftspolitischen Kurs vor: Nach der Krise gehe es in der nächsten Legislaturperiode um den Kampf, von den hohen Schulden wieder herunterzukommen, berichtet die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf Steinbrück.

 

Leider nur macht es wenig Sinn, über die Politik nach der Krise zu philosophieren, wenn man noch mitten drin steckt, es also erst einmal darum geht, Wirtschaft und Gesellschaft aus der Krise herauszuführen. Und genau hier hat die Bundesregierung bisher bemerkenswert wenig geleistet. Wegen seiner zögerlichen und kleinlichen Haltung gegenüber Konjunkturpaketen, musste sich der Bundesfinanzminister deswegen schon vom amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman „Holzköpfigkeit“ vorwerfen lassen. Das ist deswegen im Zusammenhang mit der Bewertung des Einbruchs bei den Steuereinnahmen von Bedeutung, weil nun einmal die Ausgaben auch die Einnahmen bestimmen. Wenn das Sozialprodukt in diesem Jahr um sechs Prozent einbricht, wie es jetzt auch die Bundesregierung prognostiziert, dann auch deswegen, weil die große Koalition aus CDU/CSU und SPD sich nicht dazu hat bewegen lassen, mit höheren öffentlichen Ausgaben stärker die Nachfrage zu stützen. Hätte sie das getan, wäre das Minus bei der Wirtschaftsleistung entsprechend niedriger ausgefallen. Es würden nicht so viele Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. Der jetzt ausgeübte Druck auf die Löhne wäre geringer. Weil die Steuereinnahmen von all diesen Bedingungen abhängen, wirkt sich das politische Handeln unmittelbar und mittelbar auf ihre Höhe aus. Kurzum: Die Steuereinnahmen stehen und fallen gerade in der Wirtschaftskrise mit dem Volumen öffentlicher Ausgaben. Umso stärker der wirtschaftliche Impuls durch höhere staatliche Ausgaben ausfällt, umso schneller und stärker sprudeln auch wieder die Steuerquellen. Gleichzeitig gilt: Umso stärker der wirtschaftliche Impuls durch höhere staatliche Ausgaben ausfällt, umso geringer die staatlichen Ausgaben, die für die sozialen Sicherungssysteme sonst wegen steigender Arbeitslosigkeit aufgewendet werden müssen.

 

Wer diese zwei zentralen Zusammenhänge bei der Bewertung der Steuerschätzung nicht berücksichtigt, kann auch nicht die richtigen Schlussfolgerungen aus ihr ziehen, sondern steht wie der Ochs vor dem Berg, in diesem Fall vor dem Schuldenberg. Denn auch die Staatsschulden, die ja gerade in Deutschland als ständige Bedrohung an die Wand gemalt werden, sind ja nur das Ergebnis der Steuerung von Staatseinnahmen und -ausgaben. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang leider auch, dass die SPD gar nicht erst versucht, ihren Koalitionspartner davon zu überzeugen, die Steuereinnahmen durch die Einführung einer Börsenumsatzsteuer oder die Anhebung des Spitzensteuersatzes zu erhöhen. Das bleiben vorerst Wahlversprechen der Sozialdemokraten für die nächste Legislatur. Allerdings weckt dies auch Erinnerungen an den 2006 von Müntefering ausgestoßenen Seufzer: “Wir werden an den Wahlversprechen gemessen – das ist unfair.”

Das Debakel auf der Einnahmeseite ist, das gilt gerade in der Wirtschaftskrise, die ja für einen Rückgang der insgesamt von allen wirtschaftlichen Akteuren getätigten Ausgaben steht, die Folge politischer Untätigkeit. Denn wenn die Unternehmen und die privaten Haushalte ihre Ausgaben senken, kann nur noch der Staat in die Bresche springen. Sobald er mit seinen Ausgaben der wirtschaftlichen Aktivität dann wieder auf die Beine geholfen hat, die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft hat und die Steuerquellen wieder entsprechend die Staatskasse füllen, kann er sich gelassen an die Schuldentilgung machen – und zwar ohne die zukünftigen Generationen zu belasten, indem er sich schon jetzt mit Investitionen in Bildung und Wissenschaft zurückhält, wie es die „Haushaltsexperten“ und vorneweg der Bundesfinanzminister seit Jahren in verantwortungslos kurzsichtiger Art und Weise praktizieren.


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