Wie die SPD vorwärts kommt – und wie nicht (12.12.2010)
Nichts wäre hilfreicher und chancenreicher als eine SPD, die die Kraft aufbrächte, den sozial- und wirtschaftspolitischen Amoklauf von CDU/CSU und FDP zu stoppen. Hierzu müsste sich die SPD aber selbst neu aufstellen.

Wie weit sie davon entfernt ist, sei anhand der beiden aktuellsten Aussagen von Sigmar Gabriel und Frank Steinmeier aufgezeigt; der eine an der Spitze der Partei, der andere an der Spitze der SPD-Bundestagsfraktion stehend.

Die Schlussfolgerung vorweg: Ohne eine grundlegende Neuausrichtung in der Wirtschaftspolitik hin zu einer gesamtwirtschaftlich orientierten Denkweise wird die SPD nicht die Kurve kriegen, weder in der Haushaltspolitik, weder in der Sozialpolitik, weder in der Bildungsgpolitik, noch in der Europapolitik. Die SPD-Spitze muss neu denken lernen, um wieder zur alten Macht und Größe zurückzufinden und gesellschaftspolitischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen. Das setzt auch eine immer noch ausstehende, wirklich überzeugende Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik der SPD voraus, wie sie sie seit der Kanzlerschaft Schröders bis zur letzten Bundestagswahl bestimmt hat.

 

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk hat der SPD-Parteivorsitzende Gabriel einen Satz wiederholt, den er im selben Sender vor wenigen Tagen erst vertreten hatte, erstaunlicherweise um sich von der Bundeskanzlerin abzugrenzen, die im Kern nichts anderes vertritt (vgl. hierzu auch hier):

“Ich glaube ja, dass das eigentliche Problem dieses Haushaltes ist, dass 60 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen, die wir aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums haben, für 60 Milliarden weniger Schulden eingesetzt werden müssen…60 Milliarden Euro Mehreinnahmen muss heißen 60 Milliarden Euro weniger Schulden. Das wäre eine vernünftige Politik.”

 

Wer bei den angestauten Problemen im Bildunsgbereich, bei der Integration, der verzweifelten Lage der Kommunen und Länder bei der Daseinsvorsorge und öffentlichen Infrastruktur nichts dringlicher findet als den Schuldenabbau, hat die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Selbst verengt auf den Schuldenabbau ist diesem in der Zukunft nichts abträglicher als heutige Mehreinnahmen ausschließlich für den Schuldenabbau zu verwenden und damit dringend notwendige Investitionen in den genannten Bereichen zu verhindern. Denn nur letztere werden die Gesellschaft in die Lage versetzen, die Zukunft besser zu gestalten und damit auch die Schuldenlast zu stemmen, sollte diese dann überhaupt noch ein Problem darstellen.

Auch der einfache Sachverhalt, dass jedem Euro Schulden ein Euro Vermögen gegenübersteht, wird in jener Sicht immer wieder unterschlagen bzw. nicht verstanden. Einer der Wenigen in der SPD und in der Parteienlandschaft generell, die das thematisiert haben, ist Ottmar Schreiner: “Der deutschen Staatsverschuldung steht ein Vielfaches an Vermögen – Geld- und Sachvermögen – gegenüber, das sich in immer weniger Händen konzentriert.” Erst dieses Verständnis ermöglicht es politische Handlungsalternativen zu denken.

 

Wie weit Gabriel von dieser Einsicht entfernt ist, wird auch dadurch deutlich, dass er im selben Interview auch noch die von der SPD verantwortete Steuerbefreiung auf Veräußerungsgewinne verteidigt und sie als ursächlich für einen ausgeglichenen Haushalt anführt.

 

Der SPD-Fraktionsvorsitzende, Frank Steinmeier, wiederum hat sich zu Europa geäußert. Seine kurze, auf der SPD-Internetseite zitierte Ausführung zu den diskutierten, von allen Euroländern getragenen Staatsanleihen (Eurobonds) ist bar jeder ökonomischen Logik:

“Beim Thema ´Eurobonds´ (europäische Staatsanleihen) wirft der Oppositionspolitiker der Regierung vor, den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben – und zwar als die Zinsunterschiede der Staatsanleihen der Euroländer noch nicht so weit auseinander lagen. ´Jetzt sehe ich keine Chance mehr dafür´, so Steinmeier.”

Es ist ja richtig, dass die Regierung schon längst hätte auf Eurobonds drängen müssen (was sie unter Steinbrück und Steinmeier, als sie noch in Regierungsverantwortung waren, ja aber auch nicht getan hat). Aufgrund der gestiegenen Zinsunterschiede, die Steinmeier anführt, müsste die Botschaft aber doch gerade heißen: Jetzt erst recht Eurobonds. Denn die Eurobonds sollen ja gerade dazu dienen, die hohen Zinsunterschiede zwischen einzelnen Eurostaaten einzudämmen, indem sich starke und schwache Euroländer gemeinsam mit einem einheitlichen Wertpapier gegen die Spekulation der Märkte, die sich auf einzelne Länder mit hoher Verschuldung richtet, zu Wehr setzen. (Siehe jetzt, 15.12.2010, zu Steinmeiers Kehrtwende , Nachtrag am Ende des Textes.)

Noch einmal: Die SPD muss neu denken lernen. Nicht Umfragen, nicht das Instrumentalisieren der über Jahre durch Politik und Medien den Bundesbürgern eingetrichterten Angst vor Staatsschulden, nicht europäische Wankelmütigkeit, nein, nur ein selbständiger Kurs, der Alternativen überzeugend zu begründen weiß und das am Boden liegende Gemeinwohl wieder fest in den Blick nimmt und es wieder zur Priorität staatlichen Handelns erhebt, kann die SPD voranbringen. Ist sie hierin glaubwürdig, und erlangt sie hierüber Geschlossenheit, dann werden die Wählerinnen und Wähler der Sozialdemokratie zufliegen – Umfragen und Medienschelte hin oder her. Ansonsten geht es weiter so.

Nachtrag, 15.12.2010: Mal Hü, mal Hott, aber immerhin: Heute hat sich Steinmeier für Eurobonds ausgesprochen:

“Steinmeier warb für gemeinsame Euro-Anleihen. Die Frage nach Eurobonds spaltet die deutschen Parteien – und auch Europa: Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatten in einem Beitrag für die “Financial Times” gemeinsame Anleihen gefordert und damit der Meinung von Kanzlerin Merkel widersprochen. “Euro- Bonds würden die Botschaft vermitteln, dass Europa stark und geeint ist und bereit, gemeinsam aufzutreten – egal, welche kritische Situation an den Märkten auftritt.” Die Finanzmärkte erwarteten ein “unmissverständliches Signal der Unumkehrbarkeit der Wirtschafts- und Währungsunion”, so die beiden SPD-Politiker. Bedingung für solche Bonds müssten allerdings gemeinsame Mindeststandards in der Steuerpolitik sein.”


Dieser Text ist mir etwas wert


Verwandte Artikel: