Die Schlussfolgerung vorweg: Ohne eine grundlegende Neuausrichtung in der Wirtschaftspolitik hin zu einer gesamtwirtschaftlich orientierten Denkweise wird die SPD nicht die Kurve kriegen, weder in der Haushaltspolitik, weder in der Sozialpolitik, weder in der Bildungsgpolitik, noch in der Europapolitik. Die SPD-Spitze muss neu denken lernen, um wieder zur alten Macht und Größe zurückzufinden und gesellschaftspolitischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen. Das setzt auch eine immer noch ausstehende, wirklich überzeugende Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik der SPD voraus, wie sie sie seit der Kanzlerschaft Schröders bis zur letzten Bundestagswahl bestimmt hat.
“Ich glaube ja, dass das eigentliche Problem dieses Haushaltes ist, dass 60 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen, die wir aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums haben, für 60 Milliarden weniger Schulden eingesetzt werden müssen…60 Milliarden Euro Mehreinnahmen muss heißen 60 Milliarden Euro weniger Schulden. Das wäre eine vernünftige Politik.”
Auch der einfache Sachverhalt, dass jedem Euro Schulden ein Euro Vermögen gegenübersteht, wird in jener Sicht immer wieder unterschlagen bzw. nicht verstanden. Einer der Wenigen in der SPD und in der Parteienlandschaft generell, die das thematisiert haben, ist Ottmar Schreiner: “Der deutschen Staatsverschuldung steht ein Vielfaches an Vermögen – Geld- und Sachvermögen – gegenüber, das sich in immer weniger Händen konzentriert.” Erst dieses Verständnis ermöglicht es politische Handlungsalternativen zu denken.
“Beim Thema ´Eurobonds´ (europäische Staatsanleihen) wirft der Oppositionspolitiker der Regierung vor, den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben – und zwar als die Zinsunterschiede der Staatsanleihen der Euroländer noch nicht so weit auseinander lagen. ´Jetzt sehe ich keine Chance mehr dafür´, so Steinmeier.”
Es ist ja richtig, dass die Regierung schon längst hätte auf Eurobonds drängen müssen (was sie unter Steinbrück und Steinmeier, als sie noch in Regierungsverantwortung waren, ja aber auch nicht getan hat). Aufgrund der gestiegenen Zinsunterschiede, die Steinmeier anführt, müsste die Botschaft aber doch gerade heißen: Jetzt erst recht Eurobonds. Denn die Eurobonds sollen ja gerade dazu dienen, die hohen Zinsunterschiede zwischen einzelnen Eurostaaten einzudämmen, indem sich starke und schwache Euroländer gemeinsam mit einem einheitlichen Wertpapier gegen die Spekulation der Märkte, die sich auf einzelne Länder mit hoher Verschuldung richtet, zu Wehr setzen. (Siehe jetzt, 15.12.2010, zu Steinmeiers Kehrtwende , Nachtrag am Ende des Textes.)
Noch einmal: Die SPD muss neu denken lernen. Nicht Umfragen, nicht das Instrumentalisieren der über Jahre durch Politik und Medien den Bundesbürgern eingetrichterten Angst vor Staatsschulden, nicht europäische Wankelmütigkeit, nein, nur ein selbständiger Kurs, der Alternativen überzeugend zu begründen weiß und das am Boden liegende Gemeinwohl wieder fest in den Blick nimmt und es wieder zur Priorität staatlichen Handelns erhebt, kann die SPD voranbringen. Ist sie hierin glaubwürdig, und erlangt sie hierüber Geschlossenheit, dann werden die Wählerinnen und Wähler der Sozialdemokratie zufliegen – Umfragen und Medienschelte hin oder her. Ansonsten geht es weiter so.
Nachtrag, 15.12.2010: Mal Hü, mal Hott, aber immerhin: Heute hat sich Steinmeier für Eurobonds ausgesprochen:
“Steinmeier warb für gemeinsame Euro-Anleihen. Die Frage nach Eurobonds spaltet die deutschen Parteien – und auch Europa: Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatten in einem Beitrag für die “Financial Times” gemeinsame Anleihen gefordert und damit der Meinung von Kanzlerin Merkel widersprochen. “Euro- Bonds würden die Botschaft vermitteln, dass Europa stark und geeint ist und bereit, gemeinsam aufzutreten – egal, welche kritische Situation an den Märkten auftritt.” Die Finanzmärkte erwarteten ein “unmissverständliches Signal der Unumkehrbarkeit der Wirtschafts- und Währungsunion”, so die beiden SPD-Politiker. Bedingung für solche Bonds müssten allerdings gemeinsame Mindeststandards in der Steuerpolitik sein.”
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