Eigentlich wollte ich nur meine Wohnung aufräumen. Papier, viel zu viel Papier. Vollgeschriebenes Papier. Ich muss es sortieren. Sehr weit bin ich nicht gekommen damit. Ich habe eine alte CD von David Gray herausgefischt: The EP´s 92-94. 2001 erschienen. Und die räumt auch auf. Ganz grundsätzlich geht sie dabei vor. Beherzt greift David Gray nicht nur in die Saiten seiner akustischen Gitarre, und wird dabei, wenn überhaupt, nur äußerst sparsam durch ein Klavier, etwas Bass und Schlagzeug begleitet. Beherzt greift er auch in unsere Gedanken:
“…Angry sun burn down
Judging us all
Guilty of neglect and disrespect
And thinking small…”
Wie von selbst keimt in mir der Wunsch auf: So sollten einmal die aktuellen Nachrichten gelesen und kommentiert werden.
“Well across the fractured landscape
I see the same things
Tired ideas broken values
Many with the notion
That to share is to lose
A hollow people bound by a lack
Of imagination and too much looking back
Without the courage
To give a new thing a chance
Grounded by this ignorance
(and the cat comes)
We’re just,
Birds without wings”
Gray schreit es raus, als hätte er schon damals geahnt, dass noch schlimme Zeiten kommen würden:
“And death by greed
If we can’t stop taking
More than we need ”
Und was ist es anderes als hilfloses Flügelschlagen, das wir heute beobachten. Die Kanzlerin, ein Vogel ohne Flügel, ohne Mut, einer neuen Sache eine Chance zu geben; unfähig aufzusteigen, am Boden gehalten von Ignoranz und mangelnder Vorstellungskraft. Die Opposition hockt neben ihr, flattert bestenfalls mit gestutzten Flügeln um die Kanzlerin herum, immer in Angst, abzustürzen. Und wir: A hollow people? Was braucht es noch, um uns zu beflügeln, gegen die Ignoranz und Ungerechtigkeit der – um es mit dem Occupy-Slogan auszudrücken – 1 % gegenüber den 99 %? Zu viele Katzen halten uns flügellose Vögel doch schon in Schach.
Birds without wings, ein kraftvoller und gleichzeitig musikalischen Song mit einer Lyrik, die politisch wachrüttelt und dabei ohne jeden flach moralisierenden Agitprop auskommt.
Und auch wenn Gray die Liebe besingt, bleibt das gesellschaftliche Umfeld nicht unberührt (Shine):
“For all that we struggle
For all we pretend
It don’t come down to nothing
Except love in the end”
Wer zu den Wurzeln des heutigen Multi-Platinum-Künstlers vordringen oder einfach nur hochwertige, handgemachte Lieder hören möchte, der sollte in dieser CD suchen. Schlichtes, feinfühliges, fast naives Songwriting. Und wenn wir beginnen sollten, etwas zu globalisieren, dann ist es vielleicht doch Naivität. Lernen, unbefangen und vorbehaltlos an die Menschen und die Dinge, die da harren, heranzutreten und uns ihnen anzunehmen.
Musik, wie geschaffen für die Vorweihnachtszeit, die uns doch Ruhe und Besinnlichkeit geben soll – und das auch tut. Wenn wir es nur zulassen.
Jetzt aber werde ich wirklich aufräumen.
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