“Die Schlussfolgerungen des ECOFIN-Rats vom 8. November 2011 unterstreichen, dass Mitgliedstaaten wegen ihrer Leistungsbilanzüberschüsse nicht Gegenstand eines Verfahrens bei übermäßigem Ungleichgewicht (korrektiver Arm) werden und es gegen sie keine Sanktionen geben wird”, hält das Bundesministerium für Finanzen in seinem gestern erschienenen Monatsbericht fest.
Man sieht die Schreiberlinge förmlich schadenfroh ihre Hände reiben. Aber Schadenfreude ist nun einmal grundsätzlich ein Ausdruck fehlender Reife.
Und mit ihrem Bericht über “Das neue EU-Verfahren zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte” hat die Bundesregierung tatsächlich nur noch einmal bestätigt, dass es ihr an ökonomischer Weitsicht mangelt.
Der Ehrliche ist immer der Dumme, heißt es im Volksmund. Der Dumme ist immerhin ehrlich, muss man dem Finanzministerium zugestehen. In aller Offenheit stellt der Monatsbericht das Verfahren über außenwirtschaftliche Ungleichgewichte als wirkungslos bloß:
“Die Indikatoren Lohnstückkosten und Exportanteile weisen nur einseitige Schwellen aus, während der Schwellenwert für Leistungsbilanzdefizite mit 4 % des BIP deutlich geringer ist als der Wert für Leistungsbilanzüberschüsse mit 6 % des BIP.”
Und:
“Am 4. November 2011 richtete EU-Kommissar Olli Rehn ein Schreiben an die Finanzminister, in dem festgehalten wird, dass Leistungsbilanzüberschüsse gerechtfertigt sind, wenn sie – wie in Deutschland – das Ergebnis hoher Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen in funktionierenden Märkten sind. Das Schreiben betont nachdrücklich, dass der Fokus des Verfahrens auf Mitgliedstaaten mit Leistungsbilanzdefiziten und Wettbewerbsschwächen liegt.”
Damit ist Deutschland fein raus – meint das Finanzministerium und weiß sich in diesem Punkt einmal im Einvernehmen mit der ganzen schwarz-gelben Koalition.
Fein raus? Mit Sicherheit nicht. Denn mit der einseitigen Ausrichtung auf die wirtschaftlich am Boden liegenden Defizitländer ist klar: Die Eurozone wird nicht überleben. Sollte es bei dieser Regelung bleiben. Denn niemals werden sich die in der Wettbewerbsfähigkeit zurückgefallenen Länder in der Eurozone wirtschaftlich erholen und daher auch nicht von ihrem Schuldenstand herunterkommen, solange das ökonomische Schwergewicht der Eurozone, Deutschland, weiter mit den Löhnen auf den Rest der Eurozone Druck ausübt.
Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit basiert eben nicht auf hohen Produktivitätssteigerungen, sondern auf einer seit Jahren unter der Produktivitäts- und Preisentwicklung liegenden Lohnentwicklung. Deswegen haben wir es auch nicht länger mit “funktionierenden Märkten” zu tun. Vielmehr hat das deutsche Lohndumping jeden funktionierenden Markt längst außer Kraft gesetzt. Ein Markt funktioniert nämlich nur, wenn sich alle Marktteilnehmer an die Regeln halten.
Die zentrale Regel innerhalb einer Währungsunion mit einem gemeinsamen Inflationsziel ist, dass die Löhne in jedem Land mit der Produktivität plus dem gemeinsamen Inflationsziel steigen müssen. Sind die Löhne über Jahre nach oben oder nach unten von dieser Regel abgewichen, muss von beiden Seiten Ausgleich geschaffen werden. Erfolgt dieser Ausgleich ausschließlich von den Ländern, in denen der Lohn nach oben abgewichen ist, muss dies in den betroffenen Staaten zwangsweise zu einer deflationären Entwicklung führen, die diese Länder immer weiter in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zurückwirft. Eine Währungsunion kann so nicht überleben.
Die Kurzsichtigkeit, die aus jedem Satz des Textes im Monatsbericht des Finanzministeriums spricht, ist vor diesem Hintergrund gleichermaßen erschreckend wie selbstzerstörerisch.
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