Während Regierung und Opposition auf den Schuldenstand starren wie das Kaninchen auf die Schlange, bleibt die Entwicklung der Löhne ein wesentlicher Krisenfaktor.
Die Wettbewerbsfähigkeit läuft weiter auseinander
So haben sich die Lohnstückkosten in Deutschland im Verlauf dieses Jahres weiter unterhalb der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (EZB) entwickelt.
Weil die Lohnstückkosten der wesentliche Bestimmungsfaktor für die Preisentwicklung in einer Volkswirtschaft sind, hat Deutschland auch erneut gegen das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent verstoßen.
Nur Finnland, Frankreich, Belgien und die Niederlande haben sich an die Vorgabe der EZB gehalten.
Portugal, Spanien und Griechenland haben sich in großer Geschwindigkeit wieder auf das Inflationsziel zu bewegt. Das ist Ausdruck der drakonischen Sparmaßnahmen und der eingebrochenen Wirtschaftsleistung und spiegelt sich auch darin wieder, dass in Griechenland und Spanien die Preisentwicklung (noch) nicht den politisch organisierten, sinkenden Lohnstückkosten in der gleichen Geschwindigkeit folgt. Dadurch sinken die Reallöhne und die Inlandsnachfrage geht zurück. Während die Binnenwirtschaften dieser Länder so die Ausgaben- und Lohnkürzungen zeitnah zu spüren bekommen, verlieren sie zunächst außenwirtschaftlich weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Denn selbst wenn die Preise schließlich den Lohnstückkosten auch dort weiter folgen, behalten jene Länder noch so lange einen absoluten Wettbewerbsnachteil gegenüber Deutschland, solange deren Lohnstückkostenkurve die deutsche nicht schneidet. Die Entwicklung zeigt auch, dass die Sparmaßnahmen Griechenland in die Deflation treiben.
Die auffallend nach unten weisenden Lohnstückkosten- und Preisverläufe in Irland zeigen wiederum die deflationäre Entwicklung in dem Land. In Irland liegen die Exporte über dem Bruttoinlandsprodukt. Eine Exportquote von über 100 Prozent ist offensichtlich kein Rezept für die Rettung der Eurozone – wahrscheinlich nicht einmal für Irland selbst. Denn auch wenn erst vor kurzem eine neue Erde im All entdeckt wurde und sich dort außer Wasser auch noch Bewohner mit Kaufkraft finden sollten: Diese Lösung liegt buchstäblich Lichtjahre entfernt.
Dramatisch über dem von der EZB vorgegebenen Pfad bewegt sich die Lohnstückkostenkurve weiterhin in Estland, Slowenien und der Slowakei, ja selbst in Luxemburg, was aufgrund des hohen Entwicklungsstandes Luxemburgs nicht die Folgen nach sich ziehen dürfte wie in Estland, der Slowakei und Slowenien.
Die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Eurozone läuft damit weiter auseinander. Und während sich Länder wie Portugal, Spanien und Griechenland unter größter wirtschaftlicher und sozialer Not und von der EU und dem IWF getrieben notgedrungen wieder deutlich auf das Inflationsziel der EZB zu bewegen, verharrt Deutschland stur darunter. Auch die Länder, die sich wie Frankreich, die Niederlande, Belgien und Finnland an die Regeln halten, verlieren gegenüber Deutschland so weiter an Wettbewerbsfähigkeit.
Auseinanderlaufende Wettbewerbsfähigkeit erzwingt höhere Verschuldung und wirtschaftlichen Stillstand
Damit aber bleibt das zentrale Problem der Eurozone akut. Die sinkende Wettbewerbsfähigkeit zwingt die betroffenen Länder, sich weiter zu verschulden, also Defizite in der Leistungsbilanz hinzunehmen, oder, sollte ihnen diese Entwicklung nicht länger offen stehen, entsprechend weniger Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland zu beziehen. Hängen an den dann ausbleibenden Einfuhren – wie beispielsweise Maschinen und andere Ausrüstungsgüter aus Deutschland – Investitionen, werden diese Länder weiter in ihrer Entwicklung zurückgeworfen. Deutschland aber wird diese Entwicklung dann auch über sinkende Exporte zu spüren bekommen.
Leistungsbilanzdefizite bedeuten aber eine weiter ansteigende Gesamtverschuldung. Diese kann auch nicht durch noch so große Sparanstrengungen bei den öffentlichen Haushalten ausgeglichen werden. Im Gegenteil, die Kürzungsorgien werfen die betroffenen Staaten immer weiter zurück.
Auch die Gewerkschaften müssten die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung stärker berücksichtigen, wollen sie an Einfluss gewinnen
Die Entwicklung weist aber auch den Weg aus der Krise. Ohne Lohnerhöhungen in Deutschland, die so kräftig ausfallen müssten, dass sich die Lohnstückkostenkurve wieder in Richtung zwei Prozent bewegt, bzw. für den notwendigen Angleichungszeitraum auch darüber hinaus, kann dieser Weg aber nicht beschritten werden.
Dafür, dass dieser Weg doch noch eingeschlagen wird, spricht allerdings derzeit nichts. Weder die Regierung noch die Opposition haben einen entsprechenden Kompass. Im Gegenteil, sie verlieren sich immer weiter in ihrem Schuldenwahn, und es besteht wenig Aussicht, dass sie noch rechtzeitig auf den Pfad der ökonomischen Tugend zurückfinden.
Vor diesem Hintergrund müssten zumindest die Gewerkschaften ihre Strategie ändern: Es bringt – möchte man den Euro retten – überhaupt nichts, die Lohnentwicklung verengt auf die Arbeitskosten und Tariflöhne zu beobachten und zu diskutieren. Um ihre politische Einflussnahme zu stärken, müssten die Gewerkschaften die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung ins Zentrum ihrer Argumentation rücken und Lohnveränderungen an den aufgezeigten Kriterien messen. Eine stärkere politische Einflussnahme erscheint dabei auch deswegen geboten, weil die miserable Lohnentwicklung selbst nun einmal seit langem durch die Gesetzgebungen seit Verabschiedung der Agenda 2010 politisch bestimmt ist.
Eines droht der Eurozone insgesamt derzeit jedenfalls nicht, wie die Entwicklung der Lohnstückkosten zeigt: Inflation.
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