Karl Doemens über “Fundi-Linke”, “wilde Oppositionsträume” und “pragmatische Regierungsfähigkeit”
Karl Doemens ist Leitartikler bei der Frankfurter Rundschau. Und er fühlt sich seit langem für die SPD zuständig.
Am 16. September 2010 kommt Doemens dabei zu folgender Schlussfolgerung:
“Wenn die Partei halbwegs bei Sinnen ist, wird sie ihn nicht nur zähneknirschend ertragen, sondern sich mit ihm produktiv auseinandersetzen und mit ihm werben. Ansonsten kann sie sich den Anspruch, eine Volkspartei zu sein, endgültig an den Hut stecken.”
Die Rede ist von Peer Steinbrück. Wer so neben der Wirklichkeit her läuft wie Karl Doemens, darf natürlich vor einer sich neuerdings wieder verstärkt zu Wort meldenden SPD-Linken nicht halt machen. So ist es nur konsequent, wenn Doemens in seinem jüngsten Leitartikel die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis als “Fundi-Linke” brandmarkt. Hilde Mattheis ist frisch gewählte Vorsitzende des Forums “DL 21 – die Linke in der SPD” und sitzt seit 2005 auch im Parteivorstand der SPD.
Ähnlich wie die alte dualistische Aufteilung der Welt in Gut und Böse, teilt Doemens die Welt der Politik auf der einen Seite in die, denen er “ganz reale und pragmatische Regierungsfähigkeit” bescheinigt, und die, die “wilde Oppositionsträume” haben. Letztere sind für Doemens “Fundis”.
Zu denen mit “ganz realer und pragmatischer Regierungsfähigkeit” rechnet Doemens dann wohl auch Steinbrück als Kanzlerkandidat der SPD. Über dessen Rede auf dem gerade zurückliegenden Bundesparteitag schreibt er: “Steinbrück hielt im Berliner Postbahnhof eine lupenreine Bewerbungsrede.” Wahrscheinlich hat Doemens die Lupe so nah an Steinbrück rangehalten, dass er das Publikum im Saal gar nicht mehr wahrgenommen hat. Die äußerst müden und gezwungen Reaktionen – von Beifall würde ich hier nicht sprechen wollen -, lassen den Schluss Doemens jedenfalls nicht zu.
Pragmatisch aber heißt “auf Tatsachen beruhend” – fast immer lohnt es sich, noch dazu als Journalist, die ideologisch noch unverfälschte Bedeutung eines Wortes einmal nachzuschlagen. Zu den Tatsachen aber komme ich gleich noch.
“Blindlinks” gefeuert
Die Frankfurter Rundschau reiht sich mit Doemens Vokabular nahtlos in den Zeitungsreigen von BILD bis “Bild am Montag”, wie Herbert Wehner den Spiegel schon zu seiner Zeit nannte, ein. Wie Wehner wohl erst über Spiegel Online urteilen würde? Gönnen wir ihm ruhig, dass er das nicht mehr erleben muss.
Doemens Beitrag ist insofern nur ein weiterer Beleg für folgenden Sachverhalt: Sobald sich in der SPD auch nur ein bisschen sozialer Anstand wieder zu regen beginnt, wird der ideologische Boulevard aus dem journalistischen Waffenarsenal gezogen und blindlings, genauer blindlinks, drauflos gefeuert.
Umgekehrt wird bei genehmen Kandidaten die Wirklichkeit nicht minder auf den Kopf gestellt. Wie sonst könnte Doemens Steinbrück mit dem “Anspruch” der SPD in Verbindung bringen, “eine Volkspartei zu sein”? Steinbrück zeichnete in führender Funktion für die herbesten Niederlagen der Sozialdemokratie maßgeblich verantwortlich. Erinnert sei hier an die verlorene Landtagswahl in NRW 2005, bei der er das schlechteste Wahlergebnis seit 50 Jahren erzielte, und erinnert sei auch an die verlorene Bundestagswahl 2009, bei der die SPD ihr schlechtestes Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik einfuhr. Steinbrück stand als damaliger Finanzminister neben dem Kanzlerkandidaten und Federführer der Agenda 2010, Frank Steinmeier, im Mittelpunkt des Wahlkampfes. Beide haben den Niedergang der SPD von einer wirklichen Volkspartei hin zu einer Zwanzig-Prozent-Partei tatkräftig mit herbeigeführt.
Was ist ein “Fundi”?
Wenn eine Ausrichtung in der SPD es verdient, “Fundi” genannt zu werden, dann sind es unverbesserliche Parteifunktionäre wie Steinbrück und Steinmeier. Trotz ihrer Wahlniederlagen, scheuten sie, wie übrigens auch Gabriel, sich nicht, auf dem gerade erst zurückliegenden Bundesparteitag erneut lobend auf die Agenda-Politik der Schröder-Ära zu verweisen. Es interessiert sie schlichtweg nicht, dass sie bei der letzten Bundestagswahl dafür mit einem Wahlergebnis von 23 Prozent abgestraft wurden; es lässt sie kalt, was die Basis der Partei dazu hat verlautbaren lassen; die Parteimitglieder(verluste), die Wählerinnen und Wähler, die weiterhin – trotz des desolaten Zustands der Regierungsparteien – miserablen Umfrageergebnisse der SPD, die sich zuletzt bei 25 bzw. 26 Prozent bewegten, all das kümmert Gabriel, Steinmeier und Steinbrück und ihre Anhänger nicht. Eines ist ihre Politik daher mit Sicherheit nicht: “auf Tatsachen beruhend” bzw. pragmatisch.
Nicht auf Tatsachen beruhend ist daher auch der Journalismus von Doemens, wenn er Hilde Mattheis als Fundi abstempelt, nicht aber die “Troika” Gabriel, Steinmeier und Steinbrück. Man kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug auf den großen Balzac verweisen. Der sah sich zu seiner Zeit nicht selten bösartigen Angriffen der Medien ausgesetzt. Der unfaire und unsachliche Umgang der Medien mit Personen aus dem öffentlichen Leben ist also kein neues Phänomen. In seinem eng an die eigene Biographie angelehnten Roman “Verlorene Illusionen” bezeichnet Balzac Zeitungen als “Bordelle des Denkens”.
“Verlorene Illusionen” sind zugleich das Hauptproblem der SPD. Denn, ganz im Gegensatz zur Partei- und Fraktionsführung, machen sich immer weniger Menschen Illusionen über die SPD. Sie glauben nicht mehr an sie – und sie glauben ihr nicht mehr. Dieses “Kunststück” aber haben nicht die fast mundtoten und jetzt langsam wiedererwachten Linken in der SPD vollbracht, sondern die Fundis in der SPD-Spitze – und die ihnen hörigen Medien.
Zeitgleiches Interview mit Hilde Mattheis
Nachdem ich just zu eben jenem Zeitpunkt ein geführt habe, als Doemens die Vorhänge seines Büros zugezogen, seine ideologischen Scheuklappen aufgesetzt und sich tief über seinen Schreibtisch gebeugt haben muss, um seine Allgemeinplätze und Worthülsen als Hofberichterstatter von Steinbrück zu Papier zu bringen, muss ich mir allerdings, eben aufgrund seines Leitartikels in der Frankfurter Rundschau, auch selbst vorwerfen, nicht kritisch genug nachgefragt zu haben. Gab ich mich in dem Gespräch mit Hilde Mattheis doch vorschnell mit folgendem Wortlaut zufrieden:
Ich: “Wenn die Linke in der SPD ihre Position wieder stärker nach außen trägt, wie werden Sie mit den Medien umgehen, die noch jedes Mal, wenn die SPD drohte, nach links zu rücken, kräftig auf sie einschlugen?”
Hilde Mattheis: “Auch Medien darf man nicht davor bewahren, dazuzulernen. Ich glaube, unsere Gesellschaft war lang nicht so offen, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit aufzugreifen, wie zurzeit. Von daher habe ich ein großes Vertrauen, dass linke Inhalte, um die es geht – alle Fragen, die sich um Verteilungsgerechtigkeit und Nachhaltigkeit ranken – sich auch in der Medienlandschaft durchsetzen werden. Ich glaube, dass auch Medienvertreter diesen Zeitgeist spüren.”
Hilde Mattheis Wort in Gottes Ohren – halten sich doch viele meiner Zunft für eben jenen. Ist es doch immer ehrenwert, an das Gute im Menschen zu glauben. Und dieser Status soll bei aller Kritik doch auch den Journalisten erhalten bleiben. Ich habe im folgenden versucht, meinen Fehler wieder gut zu machen.
Andrea Ypsilanti über Journalismus
Wenn man über Sozialdemokratie, linke Politik und Medien schreibt, kommt jedem nicht ganz geschichtsvergessenen Journalisten automatisch die unsägliche Medien-Kampagne gegen die frühere Landesvorsitzende der SPD in Hessen, Andrea Ypsilanti, in den Sinn. Was lag da näher, als zu versuchen, sich von ihr eine Meinung einzuholen. Gesagt, getan. Konfrontiert mit dem oben zitierten Satz über Steinbrück und dem Begriff “Fundi-Linke”, gab mir Andrea Ypsilanti folgende Einschätzung, mit der ich hier schließe, denn reflektiert habe ich ja, zur Rettung meiner Berufsgattung, bereits vorab.
Andrea Ypsilanti:
“Das Problem ist, dass es Journalisten gibt, die sich hauptsächlich aus Hintergrundgesprächen bedienen lassen. Das hat es zwar schon immer gegeben, und gegen Hintergrundgespräche ist grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Das Problem aber ist, dass es immer mehr Journalisten gibt, die danach nicht zu einer kritischen Reflexion ansetzen, das heißt, das Gesagte nicht überprüfen. Das zeigt sich dann in Sätzen wie in denen des von Ihnen zitierten Journalisten Doemens über Steinbrück.
Und: Wenn Journalisten schon keinen Sinn für kritische Reflexion haben, sollten sie zumindest eine ordentliche Recherche betreiben. Wenn jemand in diesem Fall des ´Fundi-Vorwurfes´ ordentlich recherchiert hätte, hätte dieser jemand festgestellt, dass die ´Fundis´ – die Sozialdemokraten also, die als ´Fundis´ beschrieben werden – schon immer gegen die Deregulierung des Arbeitsmarktes waren. Das heißt konkret: Die Leiharbeitsverhältnisse und andere prekäre Beschäftigungsformen, den Niedriglohnsektor, haben wir schon immer kritisiert. Die ´Fundis´ waren auch gegen die Agenda 2010, weil wir sie als ungerecht angesehen haben und als repressiv in der Ausführung. Die ´Fundis´ waren auch gegen die Rente mit 67 und gegen die heute gescheiterte Riester-Rente. Und die ´Fundis´ waren gegen die damalige Steuerentlastung für Unternehmen. Diese ´Fundis´wollten aber sehr früh die solidarische Bürgerversicherung, sie wollten schon sehr früh den Mindestlohn, sie wollten sehr früh den massiven Ausbau erneuerbarer Energien, und sie sind schon immer für die Vermögenssteuer eingetreten. Alles jetzt konsensuale Punkte in der SPD. Bei einer ordentlichen Recherche, wäre man darauf gekommen.”
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