Sensation: Europäische Zentralbank leiht klammen Kommunen, Ländern, Handwerksbetrieben und Privatpersonen Geld für 1 % Zinsen

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Banken des Euroraumes gerade rund eine halbe Billion Euro für ein Prozent Zinsen per anno geliehen.

Sie haben völlig Recht – die Überschrift suggeriert etwas ganz anderes. Im Gegensatz zu den einschlägigen Medien, die so ihre Leser fortlaufend in die falsche Richtung lenken, habe ich diesen Zugang nur ausnahmesweise gewählt – nicht, um Sie in irgendeine Richtung zu lenken, sondern um den Blick zu weiten und zum Nachdenken anzuregen.

Man stelle sich also einmal vor, die EZB würde zu diesen Konditionen Geld direkt an klamme Kommunen, Länder, Handwerksbetriebe und Privatpersonen verleihen. Die Eurokrise wäre vermutlich prompt aus der Welt.

Ein Nachfrageboom sondergleichen würde in Deutschland Platz greifen. Nachfrage, von der auch die anderen Länder der Eurozone und darüber hinaus profitieren dürften. Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse gingen durch steigende Einfuhren aus dem Ausland zurück, die Defizite der anderen durch steigende Exporte.

Denn wer von den angesprochenen Kreditnehmern würde sich nicht Geld zu einem Zins leihen, der selbst die niedrige Inflationsrate hierzulande noch unterschreitet. Anders als bei den Banken, denen die EZB das Geld jetzt ohne jede Auflage geliehen hat, sollte sie die Geldvergabe allerdings direkt an den Nachweis von damit zu tätigenden Investitions- und Konsumausgaben binden und bei den Privatpersonen auf solche begrenzen, die maximal bis zur Höhe des Durchschnittseinkommens verdienen, damit sicher gestellt ist, dass das Geld auch ausgabewirksam wird. Natürlich sollten auch die üblichen Kreditvergabekriterien gelten, um beispielsweise sicherzustellen, dass sich Privathaushalte nicht überschulden, der geliehene Betrag also im richtigen Verhältnis zum Einkommen steht.


Man könnte sinnvollerweise auch soweit gehen, die Kreditvergabe auf bestimmte Investitionen und Konsumgüter zu begrenzen, nach ökologischen und sozialen Kriterien beispielsweise. So könnte die Kreditvergabe nur an Unternehmen erfolgen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse nachweisen und in regenerative Energien investieren; Konsumentenkredite könnten wiederum mit der Auflage versehen werden, dass das Geld für Produkte wie energiesparende Haushaltsgeräte, Solaranlagen, Gebäudesanierung usw. verwendet werden muss.

Zur Dimension: Die Masseneinkommen der Deutschen betragen laut Bundesbank rund eine Billion Euro. Das sind die Nettolöhne und -gehälter zuzüglich der ausbezahlten Sozialleistungen. Der Anteil des deutschen Sozialproduktes am Sozialprodukt der Eurozone beträgt rund dreißig Prozent. Der Anteil des jetzt von der EZB an die deutschen Banken verliehenen Geldes dürfte deutlich darüber liegen, da das Gewicht der Deutschen Banken an den Banken der Eurozone vermutlich noch weitaus höher liegt, als das ohnehin schon hohe Gewicht der deutschen Wirtschaftsleistung an der der Eurozone.


Beanspruchen wir also ruhig dreißig Prozent von den jetzt von der EZB an die Banken der Eurozone verliehenen 500 Milliarden. Das wären 150 Milliarden Euro. Davon vierzig Prozent – das entspricht in etwa dem Anteil der Masseneinkommen am Sozialprodukt -, 60 Milliarden Euro, würden dann den Masseneinkommen zu Gute kommen. Ihre Kaufkraft würde dadurch immerhin um sechs Prozent zunehmen. Da in die Masseneinkommen auch gute bis sehr gute Gehälter einfließen, die Kredite aber nur an Menschen vergeben würden, die maximal in der Höhe der Durchschnittsgehälter verdienen, würde sich deren Kaufkraft noch weit mehr als um 6 Prozent erhöhen. Die öffentlichen Haushalte der Kommunen und Länder wie private Betriebe würden die verbleibenden 90 Mrd. Euro aufnehmen. Die Kommunen und Länder könnten damit beispielsweise dringend notwendige Infrastrukturmaßnahmen finanzieren.

Verhaltene Kreditentwicklung in der Eurozone (Quelle: IMK Report, Nr. 69, Dezember 2011; zur Vergrößerung auf die Graphik klicken)


Es steht außer Zweifel, dass der daraus hervorgehende Aufschwung, die Haushaltskonsolidierung wie von selbst erledigen würde: Die Steuereinnahmen würden aufgrund der steigenden Wirtschaftsaktivität sprudeln, die Ausgaben für Arbeitslosigkeit sinken, weil mehr Menschen in Beschäftigung kämen. Die deutsche Lohnentwicklung käme auch langsam wieder ins Lot, denn über einen steigenden Beschäftigungsgrad würden die Gewerkschaften gestärkt. Gleichzeitig würden die Weichen in Richtung nachhaltige Investitionen und nachhaltiger Konsum gestellt. Schließlich würden auch die Banken von der angestoßenen Entwicklung profitieren, denn steigende Wirtschaftsaktivität und Einkommen bedeuten höhere Einlagen, weitere Kreditnachfrage und damit auch insgesamt ein wachsendes Bankgeschäft.

Nicht außer Zweifel steht dagegen das Ergebnis der jetzt von der EZB vorgenommenen Kreditvergabe an die Banken: Weder ist dadurch sichergestellt, dass der Verleih unter den Banken wieder in die Gänge kommt, noch für welche Geschäfte sie sich denn ihr Geld gegenseitig leihen. Unwahrscheinlich ist auch, dass die Kreditvergabe der Banken an die Unternehmen unter den derzeit düsteren Konjunkturaussichten wieder Fahrt aufnimmt.


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