Warum Haushaltsdisziplin nicht funktionieren kann


Im Namen der Krise: Griechenland, Italien, Frankreich, Belgien, alle kürzen ihre Ausgaben. Das Finanzministerium unter Schäuble ließ gerade erst verlauten, „den strikten Sparkurs auch 2013 fortzusetzen.“

Damit folgt Schäuble Bundeswirtschaftsminister Rösler. Der möchte die Aufsichts- und Strafmechanismen für die Euroländer weiter schärfen: “Um darüber die Haushaltsdisziplin weiter zu verbessern, sollte perspektivisch die Defizitgrenze im Stabilitäts- und Wachstumspakt von derzeit drei Prozent auf zwei Prozent gesenkt werden”, schreiben Röslers Beamte. Die Euro-Staaten dürften sich dann jährlich nur mit zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung neu verschulden.

Und auch der gerade erst beendete SPD-Bundesparteitag hat der Haushaltskonsolidierung erneut oberste Priorität eingeräumt.


Die weit verbreitete Auffassung, dass sich Haushaltsdefizite ohne Auswirkungen auf Schulden und Wirtschaftswachstum verringern lassen, ist jedoch ein Trugschluss, denn alle drei Größen hängen zwingend miteinander zusammen.

Der zwingende Zusammenhang zwischen Defizitquote, Schuldenstandsquote und Wirtschaftswachstum

Die Einhaltung der Defizit- und Schuldenstandsregeln der EU bedingt ein bestimmtes Wirtschaftswachstum. Generell gilt: Das eine – zum Beispiel eine Absenkung der Defizitquote – lässt sich ohne das andere – eine Erhöhung des Schuldenstands oder eine Verringerung des Wirtschaftswachstums – nicht erzielen.

Entweder setzt man die Defizit- und Schuldenstandsquote fest. Deren Einhaltung setzt dann ein bestimmtes nominales Wirtschaftswachstum voraus. Bei den aktuellen Maastricht-Kriterien – drei Prozent Defizitquote, sechzig Prozent Schuldenstandsquote – sind das fünf Prozent. Zum Vergleich: Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren laut Statistischem Bundesamt um durchschnittlich jährlich 0,9 Prozent real gewachsen. Das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank addiert, wären das 2,9 Prozent nominales Wirtschaftswachstum. Das war nicht ausreichend, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Es hat auch nicht ausgereicht, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken.

Ganz konkret: Bei 2,9 Prozent Wirtschaftswachstum müsste Deutschland, um seine Schuldenstandsquote bei 60 Prozent zu halten, das Defizit auf 1,7 Prozent senken, oder aber, um die Defizitquote einzuhalten, einen Anstieg der Schulden auf über 100 Prozent akzeptieren. Eine solch drastische Absenkung des Defizits aber kann nicht ohne negative Folgen für das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung bleiben.

Der Wirtschaftswissenschaftler, Emeritus Prof. Dr. Claus Köhler, hält in seinem Buch, “Orientierungshilfen für die Wirtschaftspolitik”, für die Rezessionsphase 2001 bis 2003 in Deutschland fest:


“Das Fatale war, dass mangels einer Ausgabenregel die Regierung versuchte, durch ´Sparen´den Anstieg der Defizitquote zu bremsen und sie wieder unter 3 % zurückzuführen. Die sich dadurch ergebenden geringen Zuwachsraten öffentlicher Ausgaben bildeten kein Gegengewicht zu dem konjunkturellen Abschwung, sondern verstärkten ihn…Diese rezessive Phase in der Bundesrepublik Deutschland macht die prozyklische Wirkung einer Defizitquote von 3 % deutlich.”

Die ökonomische Zwangsjacke, die man jetzt den wirtschaftlich am Boden liegenden Ländern innerhalb der Eurozone verordnet hat und weiter verordnet, und die damit einhergehenden ökonomischen und sozialen Verwerfungen unterstreichen den Zusammenhang. Die verheerenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft sind unübersehbar.

Defizitkriterien funktionieren schon bei normalem Wirtschaftsverlauf kaum – in der Krise aber führen sie in die Depression

Eine Absenkung der Defizitquote von drei auf zwei Prozent, wie Wirtschaftsminister Rösler es jetzt vorgeschlagen hat, bedeutet – bei gleichbleibender Schuldenstandsquote – also ein niedrigeres Wirtschaftswachstum. Einem nominalen Wirtschaftswachstum von drei Prozent abzüglich des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent entspricht ein reales Wachstum von einem Prozent. Bei einem – der Erfahrung nach – jährlichen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität in Deutschland von einem bis eineinhalb Prozent, reicht dieses Wachstum nicht aus, um die Arbeitslosigkeit zu senken; denn, um die Arbeitslosigkeit zu senken, muss das Wirtschaftswachstum über dem Produktivitätswachstum liegen.

Bei dem hier Geschriebenen ist unterstellt, dass im Ausgangsjahr, zum Beispiel das Jahr 2011, der jeweilige Staat genau die bisherigen Maastricht Kriterien einhält, und die Wirtschaft also um fünf Prozent nominal wachsen muss, um die Kriterien auch im Jahr 2012 erfüllen zu können. Die Schuldenstands- und Defizitquoten sind aber in Wirklichkeit krisenbedingt deutlich höher, das Wirtschaftswachstum niedriger – 2012 auch in Deutschland – bzw. sogar negativ.

Vor diesem Hintergrund lassen sich schon die bisherigen Defizitquoten nicht einhalten, noch weniger ihre Verschärfung.

Der zwingende Zusammenhang zwischen Defizitquote, Schuldenstandsquote und Wirtschaftswachstum zeigt, dass die Maastricht-Kriterien schon in wirtschaftlich normalen Zeiten schwer einzuhalten und zu verstetigen sind, will man nicht eine unnötig hohe Arbeitslosigkeit und soziale Schieflage riskieren. Bei der jetzigen Wirtschaftskrise führt die Einhaltung, noch mehr die Verschärfung, geradewegs zum wirtschaftlichen Einbruch bzw. in eine schwere Depression.

Hier können Sie einmal selbst Finanzminister, Wirtschaftsminister und EU-Komissar spielen und sich des Zusammenhangs zwischen Defizitquote, Schuldenstandsquote und Wirtschaftswachstum versichern

 


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