Spiegel online bringt den vermeintlichen Wahnsinn – wieder einmal und freilich unbeabsichtigt – auf den Punkt: “Es ist wie ein Fass ohne Boden: Die geplanten Notmaßnahmen für Griechenland reichen nicht aus, um das Land aus der Krise zu führen.”
So der einleitende Satz zu den neuen Schreckensnachrichten aus Griechenland, die da lauten: “Statt 130 Milliarden Euro, wie noch Ende Oktober vergangenen Jahres beschlossen, würden etwa 145 Milliarden Euro fällig, heißt es nach SPIEGEL-Informationen in der Troika, die vor kurzem ihre Arbeit in Athen wieder aufnahm.”
Die eigentliche Schreckensnachricht kommt indes aus Berlin. Sie nämlich schlägt dem Fass, von dem Spiegel online schreibt, erst den Boden aus und lautet: “In Berlin formiert sich breiter Widerstand gegen weitere Hilfen.”
Warum ist das die eigentliche Schreckensnachricht? Nun, weil sie das ganze Unverständnis der Krise und die beängstigende Ignoranz unser politischen Klasse zum Ausdruck bringt. “Für Reformstillstand gibt es kein Geld”, meint Horst Seehofer. Und der FDP-Fraktionschef und ehemalige Wirtschaftsminister, Rainer Brüderle, schimpft: “Solidarität ist keine Einbahnstraße, insofern muss die Europäische Gemeinschaft hart bleiben und die notwendigen Strukturreformen einfordern…Nur wenn die Griechen auch Beweise dafür liefern, dass sie es ernst meinen, können und dürfen wir als Europäische Gemeinschaft helfen.” Schließlich hat sich auch der Präsident des Europäischen Parlaments und SPD-Politiker Martin Schulz entsprechend geäußert: „Griechenland wird damit leben müssen, dass diejenigen, die viel Geld für die Sanierung des Landes geben, an Entscheidungen, wie es verteilt wird, maßgeblich beteiligt sind”, wird er in der FAZ zitiert.
Ein Blick auf die Graphik oben, deren zugrundeliegende Daten jedem öffentlich zugänglich sind, zeigt indes, wie weit die Griechen in Wahrheit schon gegangen sind – oder besser von Deutschland, EU und IWF getrieben worden sind. Kein Land, kein Staat, keine Volkswirtschaft kann sich unter diesen Bedingungen jemals erholen: Das nominale (!) BIP befindet sich in freiem Fall, die nominalen (!) Löhne befinden sich in freiem Fall, und die langfristigen nominalen Zinsen, die für 2011 schon gar nicht mehr ausgewiesen werden, weil Griechenland am “freien Markt” ja gar kein Geld mehr erhält, waren seit 2009 nach oben geschossen. Die kurzfristigen Zinsen liegen ebenfalls über der Wachstumsrate.
Und natürlich liegt auch der Zins, zu dem Griechenland jetzt Geld erhalten soll, über der Wachstumsrate. Er wird derzeit verhandelt und soll sich zwischen 3,8 und 4 Prozent bewegen. Das Verrückte: Die Zinsen sollen aber wieder steigen, wenn die griechische Wirtschaft wieder wachse, ist über die Verhandlungen zu lesen. Es muss sich aber nun einmal genau umgekehrt verhalten: Damit die griechische Wirtschaft wieder wachsen kann, muss der nominale Zins unter dem nominalen Wachstum liegen. Unter anderen Bedingungen lässt sich auch der Schuldenstand nicht reduzieren.
Jedem deutschen Politiker müsste es schwarz vor Augen werden, wenn er einen Blick auf die Graphik oben wirft und sich damit der griechischen Wirklichkeit versichert. Vielleicht hilft ihm die Vorstellung auf die Sprünge, die deutsche Volkswirtschaft befände sich in einer solchen verhängnisvollen Abwärtsspirale. Hinter diesen nüchternen Kurven verbergen sich viele Millionen Menschen, die aufgrund des deutschen Spargebots in existenzielle Not geraten.
Das eigentlich Erstaunliche ist, dass bei dieser aussichtslosen Lage noch alles seinen gewohnten institutionellen Gang geht. Das aber wird vermutlich nicht so bleiben. Keine Volkswirtschaft und keine Gesellschaft kann die hier abgebildete Entwicklung auf Dauer verkraften. Die Entwicklung der Lohnstückkosten, die die Preisentwicklung bestimmt, weist in Richtung Deflation. Ist die Preisentwicklung einmal negativ, ist es bekanntlich schwer, dort herauszufinden. Natürlich redet keiner der deutschen Stabilitätspolitiker und “Sparkomissare” darüber, dass Griechenland das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent seit 2010 nach unten durchbricht.
Die meisten deutschen Politiker, Politikberater und Medien konzentrieren sich auf den “Etat” und meinen den Haushalt, das Staatsbudget. Wer die Situation in Griechenland aber begreifen möchte, sollte sich an dem lateinischen Ursprung des Wortes Etat orientieren. Es geht um den status, den Zustand der gesamten Volkswirtschaft und der in ihr lebenden Menschen. Wer Griechenland und die Eurozone retten will, muss zu gesamtwirtschaftlicher Vernunft finden. Eine Wirtschaft kann nur wachsen, wenn die Löhne in vernünftigem Maß steigen und die Zinsen das Wachstum nicht behindern. Haushalte können nur konsolidiert werden, wenn die Wirtschaft wächst. Alle Rettungsversuche, die dies nicht berücksichtigen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ökonomische Logik und Erfahrung sprechen hier eine eindeutige Sprache. Der deutsche Weg, fehlende inländische Nachfrage, verursacht durch hinter die Produktivität und Preissteigerung zurückfallende Löhne, durch Außenhandelsüberschüsse zu ersetzen, kann auf Dauer nicht funktionieren und hat die Eurokrise erst akut werden lassen, weil andere Länder sich dafür entsprechend verschulden müssen.
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