Nicht einmal, dass der marktradikale Wirtschaftsminister und FDP-Vorsitzende, Philipp Rösler, Joachim Gauck als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt durchgeboxt hat, gibt der SPD und den GRÜNEN zu denken. Warum auch. Haben sie doch schon die Äußerungen Gaucks zu Sarrazin nicht abgeschreckt. Und als Befürworter von Hartz IV und Afghanistan-Krieg liegt Gauck ebenfalls auf Linie mit SPD und GRÜNEN.
Das aber genau zeigt ein grundlegendes Problem auf, das die deutsche Politik seit nunmehr langer Zeit kennzeichnet: Es gibt keine politische Alternative. Im Kern sind sich alle Parteien einig, wie und wohin die Gesellschaft politisch gelenkt werden soll. Mit Ausnahme der LINKEN. Die aber ist, nachdem sie in ihrer ersten Bundestagslegislatur von 2005 bis 2009 trotz aller Ausgrenzungsversuche der anderen Parteien und führender Medien durchaus kraftvoll Alternativen aufzeigte, eine politische Randfigur geworden. Das bemisst sich nicht nur an den Umfragen, die DIE LINKE aktuell bei sieben Prozent sehen. Es gelingt der LINKEN seit längerem nicht mehr, politische Themen zu setzen. Die Ursachen hierfür sollen an dieser Stelle nicht das Thema sein. Ich werde sie an anderer Stelle ausführen.
Die Einigung von CDU/CSU, FDP, SPD und GRÜNEN auf Gauck als Bundespräsidenten wirft ein Licht auf die politische Zukunft Deutschlands. Ein rot-grünes Projekt würde die herrschenden Verhältnisse in Deutschland nicht umstoßen. Wie auch, sie haben sie ja maßgeblich mit der Agenda 2010 herbeigeführt. Die herrschenden politischen Verhältnisse sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass auf die Verantwortung des Einzelnen abgestellt wird. Diese Staatsdoktrin wird von ihren Anhängern gern auch als “Freiheit” begriffen. Gauck ist ein vehementer Vertreter dieser Ausrichtung. “Freiheit heißt Verantwortung´ – Der ehemalige Kandidat für das Bundespräsidentenamt, Joachim Gauck, hat mehr Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft gefordert.” So überschrieb das Handelsblatt erst am 13. Februar, vor gerade einmal einer Woche also, einen Beitrag über einen Vortrag des gestern erneut zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt gekürten. Gauck hatte vor einem Wirtschaftsforum zum Thema “Freiheit als Verantwortung” gesprochen. Gauck in seinem Vortrag am vergangenen Montag: “In diesem reichen und verwöhnten Land, wo es den Menschen so gut geht, ist es manchmal nötig, uns das, was wir errungen haben, noch mal vor Augen zu stellen“, sagte Gauck. Gaucks Reaktion auf die Einigung auf ihn gestern zielte in die gleiche Richtung. Der Tagesspiegel hat den Wortlaut Gaucks festgehalten:
“Am wichtigsten sei es ihm mit Blick auf seine künftige Aufgabe, ´dass die Menschen in diesem Land wieder lernen, dass wir in einem guten Land leben, das sie lieben können´. Die Bundesrepublik gebe ihnen die wunderbare Möglichkeit, in Freiheit zu leben. Er wolle den Menschen Vertrauen in ihre eigenen Kräfte zur Bewältigung der Krise zurückgeben und diejenigen stärken, die auf allen Ebenen des Landes Verantwortung übernehmen würden. Zudem werde er sich auch weiterhin als eine Art ´reisender Politiklehrer´ verstehen. ´Die Nähe von Menschen, die Ja sagen zur Verantwortung, die es überall gibt in unserem Land, nicht nur auf der politischen Ebene, die wird meine Hauptaufgabe sein.”
Jedem einigermaßen über die in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren gewachsene soziale Ungleichheit Aufgeklärten, kann bei dieser Vorstellung nur gruseln. Was sollen wohl die vielen Hartz IV-Empfänger, Niedriglöhner, Leiharbeiter, in Kinder- oder Altersarmut Lebenden, unter ungleichen Bildungschancen leidenden Menschen über diese Worte denken? Müssen sie einfach nur lernen, “dass wir in einem guten Land leben, das sie lieben können”? Dürfen sie sich zu den Menschen zählen, “die Ja sagen zur Verantwortung”, und deren “Nähe” der neue Bundespräsident daher suchen wird? Müsste Gauck sich aus seiner Sicht nicht von der Politik fernhalten, die sich ja selbst aus ihrer Verantwortung für die Gesellschaft stiehlt, indem sie auf die Verantwortung des Einzelnen abstellt? Wird Gaucks Selbstverständnis als “reisender Politiklehrer” ihm auch erlauben, politisch zu lernen? Wie kann es überhaupt sein, dass jemand, der seit so langer Zeit im politischen Leben steht und politische Verantwortung getragen hat, so über die Menschen und die Gesellschaft redet. Es ist wohl die eigene Biographie, die Gauck die individuelle Freiheit so losgelöst von den sozialen Verhältnissen begreifen lässt. Das kann man versuchen zu verstehen – auch oder gerade, wenn man selbst nicht in politischer Unfreiheit aufgewachsen ist. Was Gauck völlig abzugehen scheint, ist indes zu begreifen, dass in der Gegenwart es vor allem die ökonomischen und sozialen Verhältnisse sind, die viele Millionen Menschen unfrei machen. Ob er seinem eigenen Anspruch als Bundespräsident gerecht wird, wird daher in erster Linie davon abhängen, ob er als “reisender Politiklernender” unterwegs ist, nicht als Lehrer. Bei einem, der sich seiner selbst so sicher ist, sind Zweifel angebracht, ob ihm dies gelingen wird.
Die Krise um das Amt des Bundespräsidenten ist damit noch längst nicht vorüber. Sie hat lediglich eine andere Form angenommen. So wie Gauck bisher denkt, die Gesellschaft begreift und sich zu ihr äußert, repräsentiert er jedenfalls nicht das Volk, sondern den offensichtlichen Mangel in der deutschen Politik, in politischen Alternativen zu denken, den offensichtliche Mangel, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne derer zu adressieren, die diesen Verhältnissen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind. Gaucks Freiheitsbegriff ist so verstanden auch ein bevormundender, ja, aggressiver, weil gegenüber den Nöten vieler Menschen blinder. Dass Kanzlerin Merkel Gauck als “Demokratielehrer” anpreist, zeigt da nur, dass Gauck nicht allein ist mit seiner Distanz zur Gesellschaft. Es ist diese Distanz der Politik zur Gesellschaft, unter der sich immer mehr Menschen von der Politik und damit von der Demokratie in unserem Land abwenden.
Dass die Politik in der Tat auch nur noch schwer zu ertragen ist, zeigen nicht zu letzt die Nachbeben zur Einigung über Gauck. Da quakt die Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles, “die Kanzlerin sei umgefallen.” Und auch der Parteichef der LINKEN, Klaus Ernst, spricht von einem Erpressungsmanöver der FDP. Von Gabriel liest man ein “Ende gut, alles gut.” Gauck könne, so Gabriel, die Kluft zwischen Bürgern und politischer Klasse schließen. Und die GRÜNEN-Chefin wird in der Welt wie folgt zitiert: “Grünen-Chefin Claudia Roth sagte, Gauck sei schon 2010 der grüne Kandidat gewesen und könne in Zeiten von Rechtsterror in Deutschland viel bewegen: ´Joachim Gauck ist jemand, der Demokratie wieder Glanz verleihen kann.” Ob ein Sarrazin-Befürworter und ein gegenüber den sozialen Verhältnissen in Deutschland offensichtlich mit Blindheit geschlagener “in Zeiten von Rechtsterror in Deutschland viel bewegen” und der “Demokratie wieder Glanz verleihen” kann, wird die Zeit erweisen. Die bisherigen Äußerungen Gaucks jedenfalls rechtfertigen diese Vorschusslorbeeren nicht.
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