Im Grunde genommen ist es ganz einfach. Solange mehr Ausgaben an einer Stelle gekürzt werden, als an anderer Stelle Ausgaben erhöht werden, muss die Wirtschaft schrumpfen. Der Staat kann darüber hinaus auch noch so sehr seine Ausgaben kürzen, wie jetzt im Falle Griechenlands; wenn die Ausgabenkürzungen nicht an anderer Stelle durch Mehrausgaben kompensiert werden, müssen als Konsequenz auch seine Einnahmen aufgrund der rückläufigen Wirtschaftsleistung sinken.
Ein Schuldenschnitt hilft darüber nicht hinweg. Es sind gleich neue Schulden da. Und auch Hilfsprogramme helfen nicht, deren Ausgabenhöhe nicht das Ausmaß der Einsparungen kompensieren.
Während die Höhe der geforderten und bereits umgesetzen Einsparungen in Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal konkret benannt werden – wenn auch genaue Aufstellungen der Öffentlichkeit vorenthalten werden und sie sich so kein genaues Bild machen kann -, so bleiben die jetzt doch häufiger ins Gespräch gebrachten Ausgabenprogramme, die als “Marshallplan” oder “Wachstumspakt” kursieren, völlig vage.
In Ermangelung dieser Logik und Zahlen, geht es in den Äußerungen der Politiker auch wie in Kraut und Rüben durcheinander. So zum Beispiel zuletzt beim GRÜNEN-Fraktionschef Jürgen Trittin in seinem ausführlichen Interview im Deutschlandfunk.
“Müller: Herr Trittin, ich möchte da noch mal nachfragen. Das heißt, Sie halten es für richtig, dass es Massenentlassungen gibt, dass es Lohnkürzungen gibt, dass es Kürzungen der Mindestlöhne gibt?
Trittin: Nein, ich halte das nicht für richtig. Aber es ist leider notwendig, weil die Alternative dazu wären nicht Lohnkürzungen, sondern die Zahlungsunfähigkeit des griechischen Staates. Wer mal wissen will, wie ein Staatsbankrott sich auf Rentnerinnen und Rentner, auf Arbeitnehmer und auf kleine, mittelständische Betriebe auswirkt, der möge sich mal die Erfahrungen Argentiniens vor Augen führen. Das kann niemand im Ernst wollen. Deswegen ist es richtig, dass sehr viel Geld in die Hand genommen wird, diesen Zustand zu vermeiden. Das geht dann einher mit Einsparungen. Sie müssen das vergleichen mit einer Situation, wie ein Betrieb, der kurz vor dem Bankrott steht. In einer solchen Situation versucht man normalerweise in einem Verfahren der geordneten Insolvenz auch unter Einsparungen und ähnlichen Maßnahmen das zu retten, was an einem solchen Betrieb zu retten ist. Genau in dieser Situation befinden sich die Griechen, das ist äußerst unbequem, das ist äußerst hart. Die Alternative ist nur eine fürchterliche.”
Dieser Wirrwarr zieht sich durch das gesamte Interview. So wirr ist es, dass es schwer ist, einen Einstieg zu finden. Wenn etwas nicht klar wird, hilft es zumeist Fragen zu stellen. Eine mögliche Frage: Wie kann etwas “nicht richtig” sein und dennoch “leider notwendig”? Mit anderen Worten: Wie kann etwas Falsches notwendig sein? Was meint Trittin genau, wenn er sagt “dass sehr viel Geld in die Hand genommen wird und das einhergeht mit Einsparungen?” Wie kommt Trittin nur darauf, ein Land, eine ganze Volkswirtschaft mit einem “Betrieb” vergleichen zu können? Ein Betrieb kann Pleite gehen, ohne dass eine ganze Gesellschaft bzw. Volkswirtschaft ihre Arbeit verliert und ihre Existenz zerstört wird. Wie kann jemand ernsthaft Politik verantworten, der noch nicht einmal gelernt hat, zwischen einem Betrieb und einer Volkswirtschaft zu unterscheiden? Zugegeben, allein dieser bescheidene Maßstab würde wahrscheinlich zu Massenentlassungen im Deutschen Bundestag führen. Umso wichtiger darum, auf die grundlegende Logik aufmerksam zu machen: Wer nicht berücksichtigt, dass die Rettung eines Landes damit steht und fällt, dass die Ausgaben insgesamt nicht zurückgehen, sondern im Gegenteil steigen müssen, muss scheitern.
Ähnlich vage wie Trittin bleibt auch der zeitgleich veröffentlichte Vorschlag von Peter Bofinger und Sony Kapoor. Sie schlagen einen “Sieben-Punkte-Plan für Wachstum in den Krisenländern vor“. Sie kritisieren den einseitigen Sparkurs und fordern einen “Wachstumspakt”. Ihr erster Punkt sind folgerichtig Investitionen. Sie fordern: “Erstens muss dieser Wachstumspakt das Niveau der öffentlichen Investitionen schützen und sie, wo möglich, steigern.” Und sie warnen: “Jeder Euro, der heute eingespart wird, könnte zu vielen verlorenen Euro durch verlorenes Wachstum führen.” Damit aber das Wachstum nicht gestört wird, muss das Ausgabeniveau insgesamt geschützt bzw. gesteigert werden. Gehen beispielsweise die Ausgaben für Löhne- und Gehälter durch Massenentlassungen im Öffentlichen Dienst zurück, geht auch – so nicht Ausgaben an anderer Stelle entsprechend erhöht werden – das Wachstum zurück – selbst wenn die öffentlichen Investitionen geschützt werden. Erst wenn die öffentlichen Ausgaben für Investitionen in der Höhe steigen würden wie die öffentlichen Ausgaben für Löhne und Gehälter fallen, würde das Wachstumsniveau gehalten. Und jeder Euro, der heute eingespart wird, ist definitiv auch heute schon ein verlorener Euro und führt entsprechend unmittelbar zu weniger Wachstum. “Zu guter letzt”, heißt es schließlich als siebenter Punkt, “müssen die laufenden Strukturreformen in den Krisenländern weitergehen, und die Liberalisierung der Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt muss beschleunigt werden.” Die “laufenden Strukturreformen” sind aber im Wesentlichen durch drastische Ausgabenkürzungen gekennzeichnet. Auch hier wird die zentrale Voraussetzung, dass das Ausgabenniveau insgesamt zumindest nicht sinken darf, ja, für die Verbesserung der Wirtschaftskraft steigen müsste, nicht deutlich. Wie soll es dann die Politik verstehen?
Noch einmal zurück zu Trittin:
“Müller: Also sehen Sie das so wie die Kanzlerin, der rigide Sparkurs, der die Wirtschaftssituation nach wie vor verschlimmert oder weiter verschlimmert, ist aus Ihrer Sicht richtig?
Trittin: Nein. Es ist notwendig, überbordende Ausgaben zu streichen, es ist notwendig, hier tatsächlich Einsparungen zu machen.”
“Tatsächlich Einsparungen zu machen”, heißt aber, weniger auszugeben, das Ausgabenniveau zu senken. Trittin sagt “Nein” und gibt der Kanzlerin doch Recht. Mit seinem anschließenden Votum für “eine Initiative, die Wachstumskräfte stimuliert”, widerspricht er sich. Und was genau sind “überbordende Ausgaben”? Hat Deutschland heute, weil es im Öffentlichen Dienst zwischen 1991 und 2010 über eine Million Arbeitsplätze abgebaut hat, vielleicht “unterbordende Ausgaben”?
Man fühlt sich bei all dem ein wenig an die Industrieschulbewegung im 18. Jahrhundert in Deutschland erinnert, “die sich die Aufgabe gestellt hatte, den Bauern aus seiner Unwissenheit und seinem Elend zu befreien durch systematische Unterweisung in eine neue Art der Lebensführung und in formale geistige Fähigkeiten – Lesen, Schreiben, Grundrechnen – und mit dieser ´Bildung des Volkes´ gleichzeitig das Wohl des Staates zu heben.” (Isolde Demele) Einer der führenden Vertreter dieser Industrieschulbewegung, Arnold Wagemann, schrieb dem deutschen Bauern damals, neben mangelnder Abstraktionsfähigkeit auch eine Ähnlichkeit mit dem Kindercharakter zu: “Beide äußern gleichen Starrsinn, wenn sie sich auf eine Idee gestützt haben, auf welche, sie sei richtig oder unrichtig, jetzt gerade ein unterscheidendes Licht fällt.” Wagemann weiter: “Mangel des Abstraktionsvermögens also ist es vorzüglich, welcher dem Bauern einen solchen Unterricht unnütz macht und wäre die Art des Vortrags auch noch so sehr nach seiner Fassungskraft ausgerichtet, welches wahrlich keine so leichte Kunst ist.”
(Arnold Wagemann, Über die Bildung des Volkes zur Industrie, Göttingen, 1791. Neudruck Glashütten im Taunus 1971, Quellenschriften zur Industrieschulbewegung, Band IV, S. 118, hier zitiert nach: Isolde Demele, Abstraktes Denken und Entwicklung, Der unvermeidliche Bruch mit der Tradition, Frankfurt (Main), 1988, S. 1. f.)
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