Der IG-Metall-Vize, Detlef Wetzel, hat im Deutschlandfunk die Forderungen der Gewerkschaft IGM bei den anstehenden Lohnverhandlungen verteidigt. Verteidigt ist auch insofern das richtige Wort, als dass die Moderatorin, Sylvia Engels, den Gewerkschaftsführer drangsaliert hat, als wäre sie die leibhaftige Arbeitgebervertreterin. Hätte sie das Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, Jörg Asmussen, an gleicher Stelle doch einmal genau so kritisch interviewt!
Angesichts der hinter den Verteilungsspielraum zurückgefallenen Löhne und des diesem deutschen Lohndumping entsprechenden, über Jahre akkumulierten preislichen Wettbewerbsvorteils, der sich wiederum seit Jahren in hohen, der Eurokrise zugrundeliegenden Handels- und Leistungsbilanzüberschüssen widerspiegelt, liegt es klar auf der Hand, dass die Lohnforderungen der IGM berechtigt sind. So aber hat Wetzel im Kern leider nicht argumentiert. Statt dessen zeichnet er ein völlig falsches Bild der deutschen Konjunktur:
“Wir haben ja zwar eine sehr problematische Weltkonjunktur”, so Wetzel, “aber die Konjunktur in Deutschland ist ausgezeichnet. Die wirtschaftlichen Daten sind hervorragend und deswegen sagen wir, es wird Zeit, dass die Arbeitnehmer auch an dem Aufschwung, der in Deutschland stattfindet, beteiligt werden.”
Das ist sachlich nicht richtig, und Wetzel bietet der Arbeitgeberseite damit zudem eine völlig unnötige Angriffsfläche, die in der von der Moderatorin zuvor gestellten Frage bereits mitschwang:
“Engels: Die Euro-Schuldenkrise ist nicht ausgestanden, viele Experten warnen vor der lahmenden Weltkonjunktur, die auch Deutschland erfassen könnte – ist das der Zeitpunkt für üppige Lohnzuwächse?”
In diese Falle hätte Wetzel gar nicht zu tappen brauchen. Zum einen hätte die richtige Antwort lauten müssen: Gerade, wenn die Weltkonjunktur lahmt und sie Deutschland zu erfassen droht, ist die Stärkung der Binnennachfrage von Bedeutung. Insofern ist eine “lahmende Weltkonjunktur” natürlich der “Zeitpunkt für üppige Lohnzuwächse”. Hinzu kommt, dass selbst die zurückliegenden, vergleichsweise erfolgreichen Tarifabschlüsse der IGM nicht den durch Produktivitätssteigerungen und die Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank vorgegebenen, kosten- und verteilungsneutralen Spielraum ausgeschöpft haben. Die Ökonomin Friederike Spiecker hält hierzu fest:
“Die IG Metall etwa erzielte zwischen 2000 und 2010 für die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie einen Anstieg der durchschnittlichen Nettorealeinkommen von 3,5%. Das kann sich sehen lassen vor dem Hintergrund insgesamt stagnierender bis rückläufiger Realeinkommen der Arbeitnehmer in der Gesamtwirtschaft. Doch konnte in der Nominallohnentwicklung der sogenannte verteilungsneutrale Spielraum, also die Summe aus gesamtwirtschaftlicher Produktivitätssteigerung und der 2%-Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (EZB), in dem genannten Zeitraum auch von dieser relativ starken Gewerkschaft nicht ausgeschöpft werden: Bei den tariflichen Stundenlöhnen in der Metall- und Elektroindustrie ergab sich zwischen 2000 und 2010 immerhin ein Plus von 32,5%, bei den effektiven Stundenlöhnen jedoch nur eines von 19,2%. Dem gegenüber standen ein gesamtwirtschaftlicher Produktivitätszuwachs von knapp 12,6% und eine Zielinflation von 21,9%. Zusammenaddiert hätte letzteres eine Steigerung des nominalen Stundenlohns von durchschnittlich 34,5% gerechtfertigt, also gut 15 Prozentpunkte mehr, als effektiv erreicht wurden.1 In den meisten anderen Branchen entwickelten sich die Arbeitseinkommen der Beschäftigten noch wesentlich schlechter.”
Wetzel aber versteigt sich immer mehr in seinem falschen Argumentationsstrang und kann so nicht überzeugen:
“Engels: Im Jahr 2009 war die IG Metall schon mal mit der Forderung von acht Prozent mehr Lohn aufgetreten, dann hat sich das Jahr damals als gewaltiges Krisenjahr entpuppt und Sie mussten später kräftig zurückstecken. Laufen Sie nun in die gleiche Gefahr?
Wetzel: Nein, das glauben wir nicht. Das war ja eine sehr schwierige Situation – die Finanzmarktkrise, die Bankenkrise.
Engels: Sie ist immer noch nicht ausgestanden.
Wetzel: Sie ist noch nicht ausgestanden, aber damals fand ja auch gleichzeitig ein völliges abruptes Niedergehen jeglicher wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland und in der Welt statt, und das ist ja jetzt ganz anders. Wir haben eine prosperierende Konjunktur, wir haben gute wirtschaftliche Kennzahlen, die Unternehmen werden im Frühjahr exorbitante Gewinne ausweisen, und deswegen passt das ausgezeichnet.”
Engels hat natürlich recht, wenn sie darauf hinweist, dass die Finanzmarkt- und Bankenkrise immer noch nicht ausgestanden ist. Die einzig überzeugende Antwort darauf ist jedoch: Ohne die ständigen Zugeständnisse der Gewerkschaften an die Arbeitgeberseite, “Löhne für Beschäftigung zu reservieren”, wie es die Gewerkschaften einmal selbst so treffend und entgegen jedweder volkswirtschaftlichen Vernunft bezeichnet haben, wäre es gar nicht zu jenen Gewinn- und Vermögensexplosionen und folglich auch nicht zu der mit diesen Vermögen herbeispekulierten Finanzmarktkrise gekommen; ohne jene Zugeständnisse wäre es zudem auch nicht zu der sich immer weiter öffnenden Schere bei den Lohnstückkosten innerhalb der Eurozone und folglich auch nicht zu den großen Leistungsbilanzungleichgewichten gekommen. Diese Entwicklungen wären – und auch darauf hätte Wetzel in diesem Zusammenhang hinweisen müssen – ohne die Arbeitsmarktreformen der Schröder-Ära und danach, die die Tarifautonomie gezielt untergruben, indem sie die Gewerkschaften schwächten, nicht möglich gewesen.
Wetzels falsche Argumentation treibt ihn aber sogar dahin, rückläufige Auftragseingänge in der Industrie schönzureden. Hätte er die hier aufgezeigte Argumentation gewählt, hätte er darauf verweisen können, dass folglich die inländische Nachfrage, aus denen dann auch inländische Auftragseingänge resultieren, umso wichtiger ist; die Unternehmen aber werden nur investieren, wenn sie auch Absatzmöglichkeiten haben, die am Ende aber von der Lohnentwicklung abhängen.
Schließlich gibt sich der Gewerkschaftsführer auch in der Frage der Leiharbeit nicht sehr kämpferisch:
“Leiharbeit ist überwiegend schlecht bezahlt und unsicher beschäftigt. Deswegen fordern wir, dass die Betriebsräte, wo die Leiharbeiter eingesetzt werden, mehr Mitbestimmungsrechte bekommen über Art und Umfang von Leiharbeitseinsatz, und parallel dazu fordern wir von den Zeitarbeitsverbänden eine deutliche Erhöhung der materiellen Anteile.”
Die Krone setzt aber schließlich die Moderatorin dem ganzen auf:
“Engels: Aber wäre das nicht viel solidarischer mit den prekär Beschäftigten, wo wir heute Zahlen hören, wonach jeder 12. Leiharbeiter zusätzliche staatliche Stütze braucht, um über die Runden zu kommen?
Wetzel: Ja, das ist ja genau das Argument.
Engels: Aber da könnten dann doch auch die Arrivierten, die gut bezahlten Arbeitnehmer, von ihrer Lohnforderung etwas zurücktreten, oder?”
Das ist für mich nun wirklich im eigentlichen Sinne asozial. Hier normal Beschäftigte schon als “Arrivierte” auszugeben und gegen die Leiharbeiter auszuspielem, ist einfach unglaublich.
Die Gewerkschaften müssen sich m.E. wirklich fragen, ob sie da nicht stärker gesellschaftspolitisch argumentieren und die Verhältnisse nicht viel grundsätzlicher hinterfragen und in Frage stellen müssen.
Wetzel antwortet:
“Die wirtschaftliche Situation ist gut, die Gewinne sind gut, wieso sollen die Arbeitnehmer oder eine Gruppe von Arbeitnehmern irgendwie zurücktreten. Nein, es ist genug Spielraum da für gute Lohnerhöhungen für die Stammbeschäftigten und es ist viel Spielraum da auch für die prekär Beschäftigten, hier Lohnerhöhungen vorzunehmen.”
Man kann nur hoffen, dass die IGM ihr Argumentationsprofil für die kommenden Tarifverhandlungen noch schärft. Leider nämlich steht Wetzel hier nicht allein. IG-Metall-Chef, Berthold Huber, hat in einem anderen Zusammenhang, ebenfalls im Deutschlandfunk, ähnlich schwach bzw. unsinnig argumentiert:
“Meurer: Nur, Herr Huber, die großen Exporterfolge Deutschlands gehen ja nur sehr eingeschränkt auf die Niedriglöhne zurück, sondern eher insgesamt unter anderem auf das Lohnniveau.
Huber: Also es tut mir leid, das hat mit dem Lohnniveau gar nichts zu tun. Die deutsche Industrie – und das ist ein Projekt auch der IG Metall – treibt die Produktivität nach vorne, treibt neue Entwicklungen nach vorne, und wir sind wirklich ganz gut in diesem weltwirtschaftlichen Konzert. Was hat das mit der Lohnentwicklung bei der Metall- und Elektroindustrie zu tun? Gar nichts! – Wir sind gut! Ist das eine Schande?”
Wer den Lohn, seine Bedeutung und seine Grundlagen in betrieblichen, nationalen und internationalen Zusammenhängen so verkehrt adressiert, nimmt den Gewerkschaften in ihrer ohnehin durch die Gesetzgebung in den vergangenen Jahren geschwächten Rolle noch zusätzlichen Atem.
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