Abgenutzt – warum Die Linke verliert

Warum verliert Die Linke? Eine Frage, die vor allem die Partei und Fraktion selbst, insbesondere aber ihre erfahrensten Köpfe, Gysi und Lafontaine, umtreiben müsste. Davon aber ist nichts zu hören und zu sehen – vielleicht, weil sie Teil des Problems sind.

Von 21,3 auf 16,1 Prozent. Das Wahlergebnis für Die Linke an der Saar hat durchaus bundespolitische Bedeutung. Der Verlust von fünf Prozentpunkten entspricht der Differenz, die Die Linke seit geraumer Zeit in den einschlägigen Umfragen für die nächsten Bundestagswahlen gegenüber ihrem Bundestagswahlergebnis von 2009 hinnehmen muss. Wenn Oskar Lafontaine es schon nicht mehr schafft, in einem Heimspiel der Linken wieder zu einem Erfolg zu verhelfen, wie soll ihm dies dann bei einer möglichen Rückkehr nach Berlin auf Bundesebene gelingen? Die Linke an der Saar hat unter den angetretenen Parteien nicht nur die meisten Wähler an die Piraten verloren; sie verzeichnet auch die höchste Zahl an Abwanderern zu den Nichtwählern.

Wählerwanderung bei den Linken im Saarland (zur Vergrößerung und zur Quelle auf Graphik klicken)

Grund genug, zu überlegen, warum sich die Menschen jetzt auch von dem Kopf abwenden, der von 2005 bis 2009 mit einer klaren Programmatik und einfallsreicher Rhetorik für die bis dahin zunehmend erfolgreiche Linke maßgeblich verantwortlich zeichnete, und warum Die Linke überhaupt verliert.

Gysi überfordert

Seitdem Lafontaine Anfang 2010 die Bundestagsfraktion und dann auch die Parteispitze aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, geht es mit der Linken bergab. Es ist offensichtlich, dass der im Amt verbliebene Chef der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi, die Lücke, die Lafontaine hinterlassen hat, nicht schließen konnte. Es ist Gysi nicht gelungen, auch nur ein Thema so neu zu setzen oder fortzuentwickeln, dass es irgendeine Durchschlagskraft auf die Wählerschaft hätte entfalten können. Das ist ein für ihn und Die Linke niederschmetterndes Ergebnis, dessen er sich offensichtlich nicht bewusst ist; sonst hätte er längst eine selbstkritische parteiinterne Debatte darüber losgetreten.

Das Hauptproblem der Linken klingt vielleicht trivial, ist es aber nicht: Personal. Personalpolitik ist weder eine Sache Gysis noch Lafontaines. Das war sie von Anbeginn nicht. Am Anfang der 2005 in den Bundestag eingezogenen Linksfraktion stand ein fertiges Personaltableau. Das aber war nicht auf die vor ihr liegenden Aufgaben und die dafür nötigen Qualifikationen ausgerichtet, sondern auf die Versorgung von Parteikadern. Als ein, zwei Stimmen in der ersten gemeinsamen Fraktionssitzung dagegen laut wurden, soll Lafontaine aufgesprungen sein und damit gedroht haben, den Raum zu verlassen. Die daraus resultierende Inkompetenz und teils schon an politische Apathie grenzende Trägheit an vielen zentralen Schalthebeln behindern seitdem die Arbeit der Linken. Dies lähmt auch engagierte und fähige Abgeordnete und Mitarbeiter. Die Entwicklung steht bis heute auch einer Öffnung der Partei zu neuen Wählerschichten im Wege. Die Parteibuchmentalität, der ganze parteipolitische Muff und die damit verbundene Intransparenz für Außenstehende ziehen in Zeiten der Parteienverdrossenheit nicht mehr. Das nicht erkannt zu haben, ist ein gewaltiger strategischer Fehler Gysis und Lafontaines. Sie könnten in dieser Hinsicht sicherlich einiges von den Piraten lernen – wenn sie sich denn des Problems bewusst wären.

Die Versorgungsmentalität in der Personalpolitik hat sich mit dem Weggang Lafontaines noch einmal verstärkt. Ein Beispiel dafür ist der so genannte Beraterstab von Gysi, der die Fraktion teuer kommt, dessen Personalauswahl nicht transparent ist und keine sichtbaren Ergebnisse aufzuweisen hat. Für dieses zentrale Problem weiß die Spitze nicht nur keine Lösung, sie nimmt es noch nicht einmal wahr und diskutiert es mit der gebotenen Dringlichkeit.

Lafontaine wirkt zunehmend einfallslos

So hängt Die Linke auch weiterhin am geistigen Tropf von Lafontaine. Der aber ist nicht mehr der Alte: Es fällt ihm nichts Neues mehr ein. Seine Argumentationsmuster in den letzten Interviews sind die, die er schon im Munde führte, als er noch die Bundestagsfraktion führte. Damals waren sie auch noch berechtigt und originell. Nach einigen Jahren wirken sie aber einfach nur noch abgenutzt. Eine zunehmend martialisch werdende Sprache, die zu „Panzerfäusten“ und „Tretminen“ greift, um sich Gehör zu verschaffen, dürfte diesen Eindruck nur noch verstärken und zusätzlich abschrecken. Damit jedenfalls lässt sich gegenüber den anderen Oppositionsparteien und gegenüber der Regierung kein Blumentopf mehr gewinnen. Wiederholung wohin man schaut. Ständige Wiederholung kann auch Strategie sein, hier aber läuft sie ins Leere. Zu den lafontainschen Evergreens zählen unter anderem die folgenden; sie sind seinen neuesten Interviews entnommen und helfen, einige Fehlentwicklungen der Linken zu verdeutlichen:

Die SPD bewege sich auf Die Linke zu, indem sie die politischen Forderungen der Linken übernehme. Das war 2005 bis 2009 noch originell und auch berechtigt. Hartz IV, Rente, Steuerpolitik, in diesen Feldern, wie auch in der Außenpolitik, setzte Die Linke die noch an der Regierung beteiligte SPD gehörig unter Druck. Sie bot der sozialdemokratischen Wählerschaft wieder eine sozialdemokratische Alternative, die die SPD seit 1998 zugunsten eines neoliberalen Durchmarsches aufgegeben hatte und so überhaupt erst zum Geburtshelfer der Linken wurde. Heute aber ist diese Argumentation weltfremd. In erster Linie deswegen, weil die SPD auch nach über zwei Jahren Opposition keine erkennbare und noch weniger glaubwürdige Kehrtwende zur Agenda-Politik Schröders vollzogen hat. Das gesamte Spitzenpersonal der SPD hat sich auf dem zurückliegenden Bundesparteitag, der laut ihres Vorsitzenden, Sigmar Gabriel, eine „Neuausrichtung“ abschloss, explizit positiv auf die Schröder-Ära bezogen.

Niemand außer Die Linke…” ist ein geflügeltes Wort Lafontaines. Auch dieses “niemand” war von 2005 bis 2009 in vielen, ja den meisten Politikfeldern originell, glaubwürdig und, vor dem Hintergrund der als alternativlos gepredigten Politik der großen Koalition, auch angemessen. Daran hat sich inhaltlich auch gar nicht so viel geändert. Und dennoch wirkt diese ständige Wiederholung des “niemand außer Die Linke” – genauso wie das “das ist die Wahrheit” von Gysi – vor dem Hintergrund sinkender Zustimmung einfach nur noch anmaßend und zugleich öde. Verbindet der Empfänger der Botschaft damit doch automatisch die Frage: Ja, warum packt ihr es denn nicht? Diese Frage aber scheinen sich die Parteigranden und Abgeordneten selbst bis heute nicht zu stellen. Der Duktus, die Wahrheit gepachtet zu haben, trägt jedenfalls nicht und weckt keine Sympathien.

Kein mittelständischer Betrieb würde diese Personalpolitik überleben

Als letztes Beispiel sei hier die ebenfalls nicht neue, aber im zurückliegenden saarländischen Wahlkampf wieder aufgewärmte Aussage Lafontaines aufgegriffen, dass in der Politik “persönliche Animositäten” keine Rolle spielen dürften. Niemand aber – hier erscheint das Wort passend – ist frei von persönlichen Animositäten, auch oder gerade Oskar Lafontaine nicht. In dieser wie auch personalpolitischer Hinsicht interessant ist das zuletzt von Lafontaine gezeichnete Bild, in dem er sich als Meister und seinen Konkurrenten und ehemaligen politischen Zögling, Heiko Maas, als Lehrling darstellte. Kann aber Meister sein, wer Jahrzehnte in Spitzenpositionen nicht zu nutzen wusste – damals noch in der SPD –, politischen Nachwuchs aufzubauen, der über das allenfalls politische Mittelmaß einer Andrea Nahles und eines Heiko Maas hinausreicht? Wohl kaum. Kein mittelständischer Betrieb würde solch eine Personalpolitik überleben. Da kann es kaum befriedigen, dass die anderen Parteien nicht besser dastehen. Die Linke, als immer noch im Aufbau begriffene Partei und unter ständigem medialen Gegenwind stehend, trifft die damit verbundene, fehlende personelle wie inhaltliche Ausstrahlung besonders hart.

Radikales Umdenken notwendig

Die Linke hat es also nicht nur versäumt, Personal, sowohl politisches als auch Mitarbeiter, in Fraktion und Partei aufzubauen und sich so über eine erfolgreiche inhaltliche Arbeit breiter aufzustellen und gegenüber neuen Wählerschichten zu öffnen; auch ihr politisches Spitzenpersonal, Lafontaine und Gysi, scheint ihren politischen Zenit überschritten zu haben. Ohne ein radikales Umdenken – hier darf Die Linke nun wirklich einmal radikal sein – und entsprechendes Handeln in der Partei- und Fraktionsspitze wird Die Linke nicht aus ihrem derzeitigen Tal der Tränen herausfinden. Wenig spricht dafür, dass die beiden führenden Köpfe dies zu leisten vermögen.

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