Kandidatenkür der LINKEN legt zentrale Schwäche der Partei offen
Wenn DIE LINKE überhaupt noch in den Medien auftaucht, dann sind es seit geraumer Zeit weniger Inhalte, sondern irgendwelche Narreteien, die den Eindruck erwecken, als herrsche bei ihr eine Art permanenter Aschermittwoch. Im Mittelpunkt der öffentlichen, aber auch parteiinternen Kritik stehen in jenen raren Fällen medialer Aufmerksamkeit dann die Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und Klaus Ernst. So naheliegend die Kritik ist, so greift sie doch zu kurz und überdeckt eine tiefer liegende Schwäche innerhalb der LINKEN.
Lafontaine nur bedingt Erfolgsgarant
Noch jedes Mal, wenn Kritik an Lötzsch und Ernst laut wurde, wurde Oskar Lafontaine als derjenige ins Spiel gebracht, der das sinkende Schiff wieder flott machen sollte. Gregor Gysi ist, obwohl er die wichtige Funktion des Fraktionsvorsitzenden innehat, in der Öffentlichkeit hingegen kaum mehr wahrnehmbar. Alles in allem ein ziemlich hilfloses Schauspiel. Die Kandidatenkür der LINKEN zur Bundespräsidentenwahl hat für einen Moment den Blick hinter die Kulissen frei gegeben. Dass die Führung – Lötzsch, Ernst, Gysi, Lafontaine – nicht angemessen miteinander kommuniziert, hatten schon die vorangegangen Tritte in diverse politische Fettnäpfchen deutlich gemacht. Bei der Kandidatenwahl wurde aber darüber hinaus sichtbar, dass Lafontaine nur bedingt Erfolgsgarant für DIE LINKE ist – und war.
Selbst wenn es stimmt, dass Gesine Lötzsch ihren Kandidatenwunsch, Beate Klarsfeld, nicht abgestimmt hatte, bevor sie sich entsprechend äußerte, begann das eigentliche Drama doch erst damit, dass mir nichts dir nichts plötzlich zwei weitere Kandidaten ins Spiel gebracht wurden; und das, nachdem Beate Klarsfeld bereits ihre Bereitschaft erklärt hatte, zu kandidieren. Das damit verbundene Chaos und die vorhersehbare Auseinandersetzung der Medien mit diesem Vorgang gedanklich nicht vorweggenommen zu haben, gereicht unter den Beteiligten dem ansonsten mit allen Wassern gewaschenen Polit- und Medienprofi Lafontaine wohl am wenigsten zur Ehre. Zumal es wohl auf sein Konto geht, den ausgewiesenen Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge zu einer Kandidatur überredet zu haben.
Die Signalwirkung von Klarsfeld verkannt
Trotz möglicher politischer Differenzen oder auch gewünschter anderer inhaltlicher Schwerpunkte, hätte es doch bei der nun einmal gegebenen Situation viel näher gelegen, die einzigartigen Verdienste Beate Klarsfelds sogleich in den Mittelpunkt zu stellen und, auf diesen ruhend, parteipolitische Einigkeit zu demonstrieren. Eine Frau, die die Zivilcourage hatte, einen Kanzler und ehemaligen Nazi öffentlich zu ohrfeigen, ohne sich hinter irgendwem oder irgendeiner Partei verstecken zu können; in einem politischen Klima, das immer noch von einer vorherrschenden, weitgehend blinden Autoritätsgläubigkeit und Geschichtsvergessenheit bestimmt war; und das alles ohne Rücksicht auf die persönlichen Folgen. Das ist für sich genommen auch in der heutigen Wirklichkeit ein bravouröses, richtungsweisendes und ermutigendes Zeichen. Denn was kennzeichnet die heutige Wirklichkeit in diesem Zusammenhang? Einerseits ist es die immer noch weit verbreitete, sich durch alle Bevölkerungsschichten ziehende Hörigkeit gegenüber der herrschenden Meinung, die von einer schmalen, wenn auch parteiübergreifenden “Elite” in Politik, Wirtschaft und Medien bestimmt wird. Andererseits keimt spätestens seit der Finanzkrise in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die wachsende soziale Ungleichheit bzw. Ungerechtigkeit, ja, sogar ein zartes Pflänzchen des Widerstands. Hinzu kommt – keineswegs eine Nebensächlichkeit für DIE LINKE -, dass mit Beate Klarsfeld eine Kandidatin ohne den üblichen Stallgeruch sich prompt bereit erklärte, für das verstoßene Kind im Deutschen Bundestag zu kandidieren. Nicht zu vergessen die herausragenden Verdienste, die sich Beate Klarsfeld mit ihrer engagierten und erfolgreichen Überführung von untergetauchten Nazis erworben hat. Auch das ein Zeichen in der heutigen Zeit, in der es sämtlichen Polizeidiensten und Verfassungsschützern über Jahre nicht gelingt, dem Rechtsterrorismus auch nur auf die Spur zu kommen.
Das nicht gesehen zu haben und stattdessen einen honorigen wie wohl auch gutwilligen Sozialwissenschaftler wie Butterwegge so unbedacht und ohne Rücksicht auf Verluste einzuspannen und in Stellung zu bringen, zeugt nicht eben von politischem Fingerspitzengefühl. Was die Bundespräsidentenwahl anbelangt, kann DIE LINKE am Ende noch froh sein, dass nicht auch Beate Klarsfeld, wie Butterwegge, ihre Bereitschaft zur Kandidatur zurückgezogen hat.
Gysi und Lafontaine stehen sich selbst im Weg
In der LINKEN dreht sich auch im verflixten siebenten Jahr nach ihrem Antritt zur Bundestagswahl im Herbst 2005 immer noch alles um die Person Oskar Lafontaines. Die Partei und Fraktion auf breitere Füße zu stellen, ist bis heute nicht gelungen. Zweifellos wäre der schnelle Aufstieg der LINKEN ohne die inhaltlichen und rhetorischen Stärken Lafontaines nicht denkbar gewesen. Dafür spricht auch, dass seit seinem krankheitsbedingten Rückzug aus der Bundespolitik die Partei und Fraktion, trotz des Verbleibs Gysis in der entscheidenden Verantwortung des Fraktionsvorsitzenden, nicht mehr in den Medien durchdringt. Die verfahrene Situation verweist aber auch auf eine zentrale Schwäche Lafontaines: So sehr er den politischen Gegner auch vor sich hertreiben konnte, so wenig ist es ihm gelungen, den für einen erfolgreichen Parteiaufbau unabdingbaren Nachwuchs auch nur im Ansatz aufzubauen. Für die dafür notwendige Personalpolitik, sowohl was das politische Personal anbelangt als auch das der Mitarbeiter, haben beide, Lafontaine und Gysi, keinen Sinn. Sie haben dies von Beginn an versäumt. Beide hindert ein Problem, das vielen Bundestagsabgeordneten unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit eigen ist: Sie drehen sich allzu sehr und allzu selbstzufrieden um sich selbst. Gysi ist dafür berüchtigt, wenn auch nicht berühmt, selbst stundenlang zu reden, dann aber dazu aufzufordern, sich doch bitte kurz zu fassen. Lafontaine, der gern das Motto Willy Brandts im Munde führt, “mehr Demokratie wagen”, fürchtet selbst doch nichts mehr, als ein wenig parteiinternen Gegenwind und die damit verbundene Unruhe. Vielleicht rührt daher, neben möglichen inhaltlichen Differenzen, auch sein Bemühen, noch schnell einen Gegenkandidaten zu Beate Klarsfeld aufzubauen. Beide Eigenschaften sind jedenfalls denkbar ungeeignet, Veränderungen zuzulassen und Entwicklungen voranzutreiben. Die zum Teil blinde Ergebenheit einiger Abgeordneter und Mitarbeiter gegenüber den Parteigranden ist da wenig hilfreich; im Gegenteil, die parteiinterne Bauchpinselei gegenüber Gysi und Lafontaine behindert jedwede Kultivierung einer fruchtbaren Streitkultur, die allein Genesung verspräche. Politischer Anspruch und persönliche und parteipolitische Wirklichkeit drohen so immer weiter auseinanderzufallen. Vielleicht hängt es auch mit dieser Aussichtslosigkeit zusammen, dass Lafontaines Sprache in der jüngeren Vergangenheit immer martialischer ausfiel; mit “Panzerfäusten” und “Streubomben” wurde da gewütet; ein aggressives Vokabular, das nicht so recht zu einer pazifistischen Partei passen will, und das darüber hinaus den unter den gegebenen Umständen wohl nicht unzutreffenden Eindruck vermittelt, einigermaßen hilflos mit dem Rücken an der Wand zu stehen.
Eine immer noch im Aufbau begriffene Partei, die neben den parteipolitischen Gegnern auch noch die Wirtschaft und die meisten Medien, ja, kurioserweise selbst Gewerkschaftsspitzen gegen sich weiß, muss dieses Manko besonders hart treffen. Dass jene Phänomene – sich um sich selbst drehende Parteifunktionäre, mangelnde Streitkultur und politische Mittelmäßigkeit – unverkennbar auch historisch gewachsene Parteien wie die SPD und FDP auf den Boden drücken, kann DIE LINKE schwerlich über den eigenen Selbstzerstörungsprozess hinwegtrösten. Viel Zeit, um aufzuwachen, bleibt ihr nicht. Vielleicht würden ein paar kräftige Ohrfeigen von Beate Klarsfeld helfen. Nein, im Ernst, keine Gewalt bitte!
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