“Something is rotten in the state of Germany” oder: Ein Einfaltspinsel namens Weidmann

Jens Weidmann

Jens Weidmann, Chef der deutschen Bundesbank und Mitglied des Rates der Europäischen Zentralbank, hat in einer Rede vor dem Chatham House die Leistungsbilanzungleichgewichte innerhalb der Eurozone adressiert. Seine Ausführungen machen ein weiteres Mal die einseitige deutsche Position deutlich. Und auch sonst ist einiges faul im deutschen Staate – allerdings anders, als Weidmann meint.

“Something is rotten in the state of Denmark”, lässt Shakespeare die zwei Nachtwächer Marcellus und Horation in seinem Hamlet sprechen, als sie dem Geist ihres eben verstorbenen Königs begegnen. Etwas ist faul im Staate Deutschland mag sich Bundesbankchef Jens Weidmann in letzter Zeit häufiger gedacht haben, seines Zeichens oberster deutscher Wächter der europäischen Währung.

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Und was begegnet ihm auch nicht alles Schauriges, das droht, seinen Traum vom Nachtwächterstaat zu einem Albtraum werden zu lassen. Ob er schon zum Kreuz gegriffen hat, um sich gegen “die bösen Geister” zu schützen, wie der Nachtwächter Kreuzgang in den Nachtwachen von Bonaventura, ist nicht bekannt. Gerade erst haben der Innenminister und ver.di eine Tariferhöhung für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst von 6,3 Prozent beschlossen – für eine Laufzeit über zwei Jahre. Weidmann fasst es nicht:

“Ich glaube, dass der Abschluss sicher kein Maßstab für andere Bereiche ist, sondern getrennt bewertet werden muss´, sagte Bundesbankpräsident Jens Weidmann am Samstag nach dem informellen Treffen der EU-Finanzminister und -Notenbankschefs in Kopenhagen. Weidmann warnte davor, dass der Anstieg der Energiepreise über kräftige Lohnerhöhungen die Inflation noch stärker anheizen könnte”, ist bei Reuters zu lesen.

Die aktuellen Inflationsprognosen für Deutschland aber liegen mit 1,8 Prozent für das laufende Jahr und 1,3 Prozent für 2013 unter der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank (EZB). Hat der Währungshüter da etwas nicht richtig verstanden – weder das Inflationsziel der EZB von 2 Prozent, noch die deutsche Tarifautonomie, die aufgrund der von Weidmann gefeierten “schmerzvollen Anpassungen” (Weidmann: painfull adjustments) in der schönen deutschen Agenda-Welt nur noch ein Schatten ihrer selbst ist? Der Grad zwischen einem Nacht- und einem umnachteten Wächter scheint in dieser sich immer schneller drehenden Welt in der Tat sehr schmal geworden zu sein und geradezu hamletsche Ausprägungen nach sich zu ziehen; erscheint das Herrschaftsgeschlecht der deutschen Bundesbanker doch ernsthaft bedroht; Jürgen Stark, Axel Weber, Ottmar Issing – alle weg!

Vielleicht dachte Weidmann in dieser Situation tatsächlich, Angriff ist die beste Verteidigung, als er vor das Auditorium des altehrwürdigen Chatham House in London trat. Vielleicht hat er aber auch auf die ebenso altehrwürdige Verschwiegenheitsregel dieses hohen Hauses vertraut, die da heißt: “Bei Veranstaltungen (oder Teilen von Veranstaltungen), die unter die Chatham-House-Regel fallen, ist den Teilnehmern die freie Verwendung der erhaltenen Informationen unter der Bedingung gestattet, dass weder die Identität noch die Zugehörigkeit von Rednern oder anderen Teilnehmern preisgegeben werden dürfen.” Doch die scheint längst auch für das Chatham House selbst nicht mehr zu gelten. Jedenfalls ist Weidmanns Rede vor dem Chatham House sowohl auf dessen Internetseite wie auch auf der Internetseite der Bundesbank dokumentiert. Und was dort von Weidmann zu hören bzw. zu lesen ist, klingt in der Tat wie ein letztes Gefecht bzw. das letzte Aufgebot.

Die ganze Welt weiß mittlerweile um die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse (Deutschland: Exportweltmeister!) und deren Kehrseite, die Defizite in anderen Ländern. Außer der deutschen Bundesregierung drängt die Welt nun schon seit langem Jahr für Jahr darauf, dass Deutschland ein Einsehen zeigt, dass eben diese Leistungsbilanzungleichgewichte drohen, den europäischen Währungsraum zu sprengen.

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Was hat nun Jens Weidmann als Bundesbankchef und Mitglied des Rates der Europäischen Zentralbank dazu zu sagen. Die Gliederung seiner Rede vor dem Chatham House mag den einen oder anderen vielleicht noch hoffen lassen, denn immerhin hat Weidmann diesem zentralen Problem doch ein eigenes Kapitel gewidmet – na gut, es ist nur ein Unterkapitel, aber immerhin, das ist doch schon etwas für einen deutschen Bundesbanker: Rebalancing current accounts, Leistungsbilanzen ausgleichen, hat er es überschrieben.

Ich gehe im folgenden der Einfachheit halber – eine Schwäche von Ökonomen – davon aus, dass Sie, werte Leserinnen und Leser, der englischen Sprache mächtig sind; wenn Weidmann es schon leidlich spricht – na also! Ich bemühe mich aber, sie etwas durch die Rede zu navigieren. Let´s go! Follow me and Mr. Weidmann!

Weidmann: “Frankly, there are about a million questions to be answered. But to simplify matters a bit and to keep my outline reasonably short, I will ignore some of them. Altogether, I will address just two questions today.

The first one relates to the macroeconomic imbalances. Their most prominent symptom are diverging current accounts – countries such as Greece run persistent current account deficits, while countries such as Germany run persistent surpluses. The question is: which countries have to adjust? Those with a current account deficit? Those with a surplus? Both?”

Lassen Sie sich durch diese richtigen Fragen jetzt bitte nicht verunsichern, liebe Leserinnen und Leser. Sie sind trotzdem von Weidmann. Now it comes!

“3.1 Rebalancing current accounts

Let us begin by looking at the first question. Normally, exchange rate movements are an important channel through which unsustainable current account positions are corrected – eventually, deficit countries devalue, while surplus countries revalue their currencies. The reaction this triggers in imports and exports then helps to bring the current account closer to balance.

In a monetary union, however, this is obviously no longer an option. Spain no longer has a peseta to devalue; Germany no longer has a deutsche mark to revalue. Other things must therefore give instead: prices, wages, employment and output.

Which brings me back to my original question: which countries have to adjust?”

Wir sehen hier einen deutschen Bundesbanker auf der Höhe der Zeit. Er klärt uns darüber auf, dass Spanien nicht mehr die Peseta hat und Deutschland nicht länger die DM – vielleicht gar nicht einmal so verkehrt in der heutigen Zeit, wo einige schon wieder auf den Gedanken verfallen könnten, dass die Drachme und die Peseta wieder gelten oder diesen Zustand herbeiwünschen und -predigen.

“The typical German position could be described as follows: the deficit countries must adjust. They must address their structural problems. They must reduce domestic demand. They must become more competitive and they must increase their exports.”

Auch hier erweist sich Weidmann als jemand, der durchaus das intellektuelle Rüstzeug besitzt, präzise zu vereinfachen – was für einen sich als intellektuell dünkenden Deutschen wahrlich keine so selbstverständliche Kunst ist. Wenn es nach der deutschen Bundesregierung geht, müssen sich nur die Länder mit Leistungsbilanzdefiziten anpassen. Um dies zu erreichen müssen sie ihre “strukturellen Probleme” adressieren, also – wie wir es seit der Agenda 2010 in Deutschland erfahren – Löhne kürzen, Sozialleistungen abbauen und die öffentliche Daseinsvorsorge so weit es irgend geht privatisieren.

Korrekt auch die folgende Aussage, wenn auch innerhalb der deutschen Grenzen gern verschwiegen: “But this position has not gone uncontested. Indeed, a number of renowned economists take a different view. They fear that it would be too much of a burden for the deficit countries alone to adjust. They consequently suggest that surplus countries should shoulder at least part of the burden.”

Aber nun möchte ich bzw. Weidmann Sie auch nicht länger hinhalten, denn jetzt kommt Weidmanns Konsequenz bzw. Lösungsansatz zur Überwindung der Ungleichgewichte – die sich freilich nicht von der “typical German position” unterscheidet; aber irgendwie musste er wohl die Redezeit füllen; und das ein oder andere Detail seiner Ausführungen ist auch durchaus hilfreich, um zu begreifen, welchen Einfaltspinseln wir hierzulande tagtäglich aufsitzen.

“To avoid confusion, it is important to make a distinction at this point. A distinction between the adjustment as such and the burden it entails. Only the burden can be shared. I think most people would agree that the adjustment itself has to take place in the deficit countries. It is true that surplus countries have benefited through higher exports. But ultimately, it was the deficit countries that operated an unsustainable model defined by a credit-fuelled boom in domestic demand, and this model has to be reformed. Not every deficit country needs the same reforms, of course, but all require some sort of adjustment.”

Weidmann will also unterscheiden zwischen der “Anpassung an sich” und der “Belastung”, die diese bedeutet. Die Belastung kann geteilt werden, die Anpassung aber ist zwingend. Mit dem folgenden Satz verabschiedet sich Weidmann dann von der Wirklichkeit: “Ich denke, die meisten Menschen werden mir zustimmen, dass die Anpassung selbst in den Defizitländern stattfinden muss.” Weder die Menschen, die die “Anpassungen”, von denen Weidmann spricht – Massenentlassungen, Lohn- und Rentenkürzungen -, erleiden müssen, werden Weidmann zustimmen, noch tun es Institutionen der führenden Industriestaaten wie die G-20. Hier übernimmt also die Ideologie die Regie bei Weidmann – die Idee bestimmt die Wirklichkeit.

Und dann wird Weidmann deutlich:

“By contrast, it is sometimes suggested that rebalancing should be undertaken by ´meeting in the middle´, that is by making surplus countries such as Germany less competitive. This suggestion implies that the adjustment as such would be shared between deficit and surplus countries. But the question we have to ask ourselves is: “where would that take us?”

The competitive edge some economies enjoy did not come for free. It is the result of often painful adjustments among workers and within firms. Giving part of it up to ease the pressure on deficit countries might make these countries better off in relative terms. But would it not make everyone poorer in absolute terms?”

Sollen die schmerzhaften Anpassungen für die Beschäftigten in Deutschland (nicht für Beschäftigte wie Weidmann natürlich; er meint hier die normal sterblichen) etwa umsonst gewesen sein? Den Druck auf die Defizitländer herauszunehmen, könnte diese Länder zwar vielleicht relativ besser stellen; aber macht das nicht alle absolut ärmer, fragt Weidmann – und meint dies sicherlich rhetorisch. Dass die schmerzhaften Anpassungen in Deutschland unser Land, was die momentane Wettbewerbsfähigkeit anbelangt, relativ gegenüber anderen Ländern besser gestellt und die anderen “poorer in absolute terms” gemacht haben, kommt ihm dabei gar nicht in den Sinn, diesem Einfaltspinsel!

Wo kämen wir denn hin, so Weidmann, wenn wir unsere “hard-won competitiveness” aufgeben würden:

“We have to acknowledge that Europe is not an island but part of a globalised world. And at the global level, we are competing with economies such as the United States or China. I ask you: how can we, how can Europe succeed in this world if we willingly give up our hard-won competitiveness? To succeed, Europe as a whole has to become more dynamic, more inventive and more productive.”

Nun, wir könnten damit zum Beispiel den Euro retten, eine Angleichung der Wohlstands- und Wettbewerbsniveaus und der Inflationsraten erreichen, ohne die eine Währungsunion dauerhaft nicht vorstellbar ist – und das alles, ohne einen Euro Wohlstand, ohne einen Cent Wohlstand hierzulande einzubüßen; im Gegenteil: nur so versetzen wir den “ärmeren Nachbarn” auch in die Lage, Waren von uns nachzufragen, ohne sich zu verschulden, und unsererseits für genügend Kaufkraft und Investitionen zu sorgen, dass hierzulande niemand darben muss und die Produktivität gefördert wird; denn, auch das scheint Weidmann nicht einzufallen: nicht nur “Europe is not an Island”, auch Deutschland ist keine Insel innerhalb Europas!

Offensichtlich wähnt Weidmann aber nicht sich selbst intellektuell überfordert, sondern seine Zuhörer und lässt sich daher dazu herab, ein Beispiel aus der Fußballwelt zu bemühen:

“To make a more popular comparison: imagine that in the Champions League Barcelona were denied Lionel Messi just so that the other teams, including Bayern Munich, had a better chance of winning. Would that be a sensible way to rebalance the competitiveness of Europe’s top teams?

In my view, we will gain nothing if we try to rebalance by actively shifting weights at both ends of the scale.”

Weidmann macht die Eurozone zu einem Bolzplatz. Nur leider ist ein Fußballverein, auch nicht die Champions League, kein Staat; der Profi-Fußballverein ist ein Einzelunternehmen; mit einem einzelnen Unternehmen aber war noch nie ein Staat zu machen.

Als ob das nicht schon alles verwirrend genug wäre, legt Weidmann noch nach:

“A second point is this: a large proportion of the current account deficits and surpluses result from trade with countries outside the euro area. Even if surplus countries expanded their imports, this would help their fellow euro-area countries to increase their exports only marginally. The latter must first offer something other euro-area countries would want to buy from them rather than from someone else.

To achieve this, the deficit countries must take measures that unlock their potential to increase productivity and improve competitiveness. This would considerably reduce the cost of adjustment and the time it takes.”

Die Krisenländer sollen also gefälligst erst einmal etwas anbieten, dass die Überschussländer, wie Deutschland, nicht genausogut oder billiger von anderen Ländern außerhalb der Eurozone kaufen können. Dass diese Möglichkeit mit der preislichen Wettbewerbsfähigkeit zusammenhängt, die eben durch die auseinandergelaufenen Lohnstückkosten unterminiert wurde und wird, scheint dabei für Weidmann keine Rolle zu spielen. Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit bestimmt aber nicht zu letzt auch die Stärke des Euros nach außen; wenn die anderen Länder zurückfallen, können sie mit den mit einem stärkeren Euro verbundenen billigeren Importen nicht mithalten und verlieren gleichzeitig gegenüber dem Rest der Welt an Wettbewerbsfähigkeit.

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen holt Weidmann die OECD-Keule heraus:

“The OECD and other organisations have for years been promoting a long list of reforms. These aim at making labour markets more flexible, opening up product markets and making the public sector more efficient. A number of reforms have already been announced and, in some instances, implemented in countries such as Portugal, Spain and Italy. And we are already seeing some promising results, especially in Ireland. But despite these first steps, there is still a long way to go.”

Lauter schöne Tarnwörter holt der Bundesbanker da aus seiner Schatzkiste, die schließlich auch Deutschland den Exportweltmeistertitel eingebracht haben – schade nur, dass nicht alle Länder Exportüberschüsse erzielen können, da diese nun einmal Defizite anderer Länder voraussetzen. Flexible Arbeitsmärkte stehen für eine Lockerung des Kündigungsschutzes, Aushöhlung der Tarifautonomie und der Tarifvertragsbindung, Leiharbeit, Minijobs und was die deutschen Arbeitsmarkt-”Reformen” noch so hervorgebracht haben. Den Öffentlichen Sektor effizienter zu machen heißt für Weidmann und die OECD – und die Bundesregierungen spätestens seit Schröder -, Stellen im Öffentlichen Dienst abzubauen, öffentliche Daseinsvorsorge zu privatisieren, öffentliche Aufgaben auszulagern und so weiter. Das ist der Traum vom Nachtwächterstaat, den sich aber nur Umnachtete herbeiwünschen können. Portugal, Spanien und Italien sollen diesem deutschen Kurs nun folgen. Nur, was ist mit den Menschen, die diesem Horror ausgesetzt werden – und wohin sollen all die Länder exportieren? Wann Weidmann wohl das letzte Mal in eine Statistik zu Irland geschaut hat, dass er dort vielversprechende Ergebnisse sieht; wenn ihm das zu trocken ist, sollte er vielleicht gelegentlich einen Blick in die Kolumne des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman werfen.

“Will the burden be too heavy to bear”, fragt Weidmann dann doch tatsächlich – und meint: Nein. No pain no gain!

“Such an adjustment will initially place a huge burden on the people in deficit countries, even taking into account the extraordinary boom in the years prior to the crisis. But will the burden be too heavy to bear? A central fear is that of deflation. Unless productivity growth increases miraculously, it is certainly true that prices and wages will have to fall in many cases. But we must not confuse such a one-time adjustment with full-fledged deflation.”

Und tatsächlich zitiert Weidmann dann noch Krugmann und kommt sogleich zu etwas realistischeren Vorstellungen – das erweist sich aber nur als ein kurzes Aufflackern, ein kurzes Erwachen aus dem Traum eines deutschen Bundesbankers.

“And we must acknowledge that surplus countries are already helping to ease the burden of adjustment. What are the rescue packages other than publicly guaranteed interim loans to facilitate the adjustment?

Another thing we should not forget is this: of course, surplus countries will eventually be affected as deficit countries adjust. Not every country on earth can run a current account surplus – unless we trade with “space aliens” as Paul Krugman recently suggested.

As the deficit countries import less and become more competitive exporters, surplus countries will run lower surpluses. The key issue is whether this happens as a result of market processes or as a result of efforts to fine-tune aggregate demand in the euro area. I would welcome the former, but I object to the latter.”

Wie die Defizit-Länder eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft aufbauen sollen, nachdem sie – nicht zuletzt wegen des deutschen Lohndumpings – vollends ins Hintertreffen geraten sind, verrät Weidmann nicht. Markt oder Untergang! Weidmann zäumt das Pferd abschließend von hinten auf: Denn um wettbewerbsfähig zu werden (to become more competitive exporters), müssen die zurückgeworfenen Länder zunächst nicht weniger, sondern mehr importieren – allerdings Maschinen und andere Technologie, nicht deutsche Rüstungsexporte, wie dies traurigerweise für Griechenland der Fall ist.

In eigener Sache: Wenn nur 100 Wirtschaft und Gesellschaft abonnieren…


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