Sparen kommt teuer – und gefährdet Mensch und Leben: Das Beispiel kommunale Infrastruktur

Investitionsrückstand in Mrd. Euro; Quelle: KfW Kommunalpanel 2010, durchgeführt vom Difu im Mai / Juni / Juli 2010 (zur Vergrößerung auf die Graphik klicken)

In seiner Regierungserklärung vom 20. Januar 2011 schwärmte Noch-Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle: „Unser Zukunftspaket steht für intelligentes Sparen. Das schafft Zukunftschancen für künftige Generationen. Unsere Politik steigt konsequent aus der Staatsverschuldung und den Krisenmaßnahmen aus.“

Konjunkturpakete verschafften Kommunen nur kurzfristig Luft

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) traf im März 2011, also nur rund zwei Monate nachdem der damalige Bundeswirtschaftsminister am 20. Januar seine oben zitierte Aussage über den Ausstieg aus den Krisenmaßnahmen verkündet hatte, folgende Aussage: „Mit dem Auslaufen der Konjunkturpakete Ende 2010 ist davon auszugehen, dass die Investitionstätigkeit der Kommunen 2011 wieder zurückgehen wird. Zwar führen die aktuelle Erholung der deutschen Wirtschaft und die damit ansteigenden Gewerbesteuereinnahmen voraussichtlich zu einer leichten Erholung der kommunalen Haushaltslage. Aufgrund der strukturellen Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte wird die finanzielle Situation jedoch angespannt bleiben und somit der weitere notwendige Abbau des hohen Investitionsrückstandes erheblich erschwert werden.“ Insgesamt konnte nur „ein kleiner Teil der Investitionsrückstände abgebaut werden.“

Während also der Bundeswirtschaftsminister den „konsequenten Ausstieg“ aus den Krisenmaßnahmen feierte, gab die KfW zu bedenken, dass der Abbau des durch die Konjunkturpakete etwas abgeschwächten Investitionsrückstands dann wieder „erheblich erschwert“ werden dürfte.

Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hatte sich 2008 durch die Folgen der Finanzkrise genötigt gesehen, ein Konjunkturpaket zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung mit einem Umfang von 30 Mrd. Euro für die Jahre 2009 und 2010 aufzulegen. Anfang 2009 wurde ein zweites Konjunkturpaket verabschiedet – der so genannte „Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes”. Dieser Pakt sah wiederum für die Jahre 2009 und 2010 zusätzliche Maßnahmen im Umfang von 50 Mrd. Euro vor.

Die KfW stellt in ihrer Studie unter anderem fest, dass jeder sechste Euro, der von deutschen Kommunen in den Jahren 2009 und 2010 investiert wurde, aus den Mitteln der Konjunkturpakete stammte. Die mit den Mitteln aus den Konjunkturpaketen finanzierten Investitionen konzentrierten sich dabei auf den Bildungsbereich (65 %). Die verbleibenden 35 % wurden für weitere Infrastrukturbereiche wie Krankenhäuser, Städtebau und ländliche Infrastruktur ausgegeben.

Konjunkturpakete wirkten zielgerichtet

Angesichts der Vorbehalte gegenüber Konjunkturprogrammen ist auch die folgende Bewertung der KfW bemerkenswert: „Die Mittel der Konjunkturpakete erreichten die Kommunen zielgerecht: Insbesondere Kommunen mit hohem Investitionsrückstand pro Kopf und schwacher Finanzkraft bzw. schlechter Haushaltslage nutzten die Konjunkturmittel.“

Es ist also offensichtlich möglich, Versäumnisse zielgerichtet aufzuholen und bestehende Einkommensunterschiede auszugleichen. Die Folgen der Finanzkrise wurden als so bedrohlich für Wachstum und Beschäftigung angesehen, dass selbst die jedem staatlichen Eingriff feindselig gegenüberstehende und auf Haushaltskonsolidierung und die Verkleinerung des Staatsapparates zielende schwarz-rote Bundesregierung, sich zu höheren Staatsausgaben durchringen konnte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass unter dem Druck der Verhältnisse auch eine schwarz-gelbe Regierung sich zu Konjunkturpaketen durchgerungen hätte.

Gewaltige Investitionsrückstände schon vor der Finanzkrise

Was das Beispiel kommunale Infrastruktur darüber hinaus aufzeigt ist, dass Deutschland auch vor der Finanzkrise bereits in der Krise steckte – und immer noch steckt. Die KfW verweist auf die Investitionsrückstände, die nur leicht abgebaut werden konnten, und konkretisiert dies auch für Ost- und Westdeutschland: „Angesichts eines Pro-Kopf-Investitionsrückstandes von durchschnittlich ca. 200 EUR in Westdeutschland und ca. 300 EUR in Ostdeutschland (2010) in diesem Bereich kann jedoch lediglich von einem leichten Abbau des Rückstands ausgegangen werden.“

Das Deutsche Institut für Urbanistik (DIU) kam im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojektes „Kommunaler Investitionsbedarf 2006 bis 2020“ bereits 2008 zu dem Ergebnis, dass der allein bis 2008 aufgelaufene Investitionsrückstand 75 Mrd. Euro betrug und folgerte unter anderem: „Sofern es gelingt, ein Investitionsniveau von jährlich 42,3 Mrd. Euro ohne zusätzliche Maßnahmen zu halten, vergrößert sich der Investitionsrückstand zumindest nicht mehr.“ Das Statistische Bundesamt berichtete im Dezember 2011 jedoch: „Im Gegensatz zum Vorjahr sanken die kommunalen Sachinvestitionen und zwar um 2,0 % auf 15,9 Milliarden Euro. Dies korrespondiert mit den rückläufigen Investitionszuweisungen (Anmerkung, T.H.: der Länder) – sie verringerten sich um 1,9% und lagen in den ersten drei Quartalen des Jahres 2011 bei knapp 5,2 Milliarden Euro.“

Die Kommunen haben also in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres einschließlich der Investitionszuweisungen aus den Ländern 21,1 Mrd. Euro investiert. Bereits im Februar 2011 warnte der Deutsche Städtetag: „Der Zuwachs von 7,9 Prozent auf 23,6 Milliarden Euro im Jahr 2010 darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nicht mit Hilfe des Konjunkturpakets finanzierten Investitionen aufgrund der prekären Finanzlage vieler Kommunen weiterhin abnehmen. Daher ist im Jahr 2011 ein Rückgang von 3,4 Prozent auf 22,8 Milliarden Euro zu erwarten, obwohl aus dem Konjunkturpaket Mittel in gleicher Höhe wie im Vorjahr fließen. In der Prognose nicht dargestellt, aber praktisch unausweichlich ist ein deutlicher Rückgang der Investitionen im Jahr 2012.“

Investitionsrückstände drohen sich weiter zu vergrößern

Mit dem Auslaufen der Konjunkturprogramme hat die Sparpolitik wieder Oberhand gewonnen. Die Investitionsrückstände drohen sich daher wieder weiter zu vergrößern. Sich auf die zitierte Studie der DIU beziehend, stellt die KfW fest: „In der Investitionsbedarfsschätzung für 2006 bis 2020 wurde der gesamte Ersatz- und Erweiterungsbedarf jährlich auf etwas über 42 Mrd. EUR geschätzt. Bleiben die tatsächlichen Investitionen darunter, vergrößert sich der Investitionsrückstand. Die Einschätzung der Kommunen kann also durch eine Gegenüberstellung der entsprechenden Werte bestätigt werden. 2010 sind 35,5 Mrd. EUR an Investitionen geplant, 2011 nur noch 31,1 Mrd. EUR. Auch auf dieser Grundlage muss also von einem zunehmenden Investitionsrückstand ausgegangen werden.“

Am 22. März 2012 gab das Statistische Bundesamt für das zurückliegende Jahr bekannt: “Die kommunalen Sachinvestitionen verminderten sich um 4,2 % auf 23,6 Milliarden Euro. Vor allem die darin enthaltenen Bauausgaben gingen stark zurück. Sie sanken um 4,9 % auf 18,8 Milliarden Euro.”

Das die mit dem Sparkurs und der Unterfinanzierung verbundenen Investitionsrückstände nicht nur teuer kommen, sondern Gefahr für Mensch und Leben bedeuten können, darauf haben zuletzt die Bewohner des Oderbruchs hingewiesen. “Die Bewohner des Oderbruchs fühlen sich allein gelassen mit einem Binnenhochwasser, das Keller überschwemmt und dabei Heizungsanlagen oder Warmwasserboiler ruiniert, Wände schimmeln und reißen lässt, Felder unter Wasser setzt sowie ganze Gehöfte unzugänglich macht…Das Land hat bereits 2008 ein 13 Millionen Euro teures Sofortprogramm aufgelegt, um an den sogenannten Gewässern erster Ordnung zur Be- und Entwässerung des Oderbruchs bis Ende 2013 die Vorfluter und Wehre instand zu setzen, den Schöpfwerksbetrieb zu automatisieren. Besonders engagiert ist das noch nicht umgesetzt worden: Bis jetzt sind erst 25 Prozent saniert…´Wir haben einen Investitionsrückstand von fast zwei Millionen Euro´, sagt Bernd Korb, Bürgermeister der vom Binnenhochwasser besonders betroffenen Gemeinde Küstriner Vorland.”

In eigener Sache: Wenn nur 100 Wirtschaft und Gesellschaft abonnieren…

Deutscher Städtetag, Februar 2011, Neuer finanzieller Tiefpunkt für die Kommunen – 2011 keine Erholung in Sicht – Lichtblick bei der Gewerbesteuer

KfW-Research, KfW Kommunalpanel 2010

KfW-Research, Akzente, Konjunkturpakete unterstützen kommunale Investitionen wirksam, Nr. 40, März 2011

Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr.472 vom 16.12.2011, Kommunales Defizit im 1. bis 3. Quartal 2011 bei 5,3 Milliarden Euro

Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr.104 vom 22.03.2012, Defizit der kommunalen Haushalte 2011 auf 2,9 Milliarden Euro gesunken


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