Der große Verlierer der Bundestagswahl 2009, Alt- Und-Vielleicht-Bald-Wieder-SPD-Kanzlerkandidat Frank Steinmeier, legt seiner Partei pünktlich zu Ostern ein Kuckucksei ins Nest. Warum bloß – zum Kuckuck! – ins eigene Nest? Vielleicht, weil die SPD sich selbst so fremd geworden ist. Und was macht der so genannte linke Flügel der Partei?
Er bestärkt den Agenda-Fürsten in seinen Karrieregelüsten, der sich nach seiner für die SPD historischen Wahlniederlage sogleich zum Partei- und Fraktionsvorsitzenden küren lassen wollte und so immerhin das Amt des Fraktionsvorsitzenden abstaubte. Wieder einmal erweist sich die SPD als Meister darin, sich in die eigene Tasche zu lügen und damit selbst ins Abseits zu stellen.
Ausgerechnet der in der Geschichte der Sozialdemokratie und der Bundesrepublik am meisten düpierte Kanzlerkandidat, stellt im Interview mit der Welt “Kriterien für die Auswahl des Kanzlerkandidaten” auf. War Satire je realer?
Wortgewaltig meldet sich der Oppositionsführer zu Wort, wie etwa mit diesem inhaltsreichen Satz: “Ich beneide niemanden, der für dieses tägliche Koalitionschaos verantwortlich ist.” Oho! Das sind sicherlich die Aussagen, auf die der Wähler gewartet und die er sich von der größten Oppositionspartei versprochen hat.
Sobald er dann einmal inhaltlich wird, muss Steinmeier mit der halben Wahrheit zu Felde ziehen – was vielleicht erklärt, warum er sich so selten inhaltlich zu Wort meldet: “Vor zwei Jahren gehörte ich zu den Ersten, die Konsequenzen aus der Finanzkrise verlangt haben: erstens Neuverschuldung reduzieren, zweitens Regeln auf den Finanzmärkten schaffen und drittens Anlagegeschäfte besteuern”, wirft sich Steinmeier vor den Welt-Journalisten in die Brust, was mir prompt ein zweites “Oho!” abringt. Schade nur, dass er unterschlägt, dass seine Partei unter seiner Führung in Regierungsverantwortung die Finanzmärkte in noch nie dagewesenem Ausmaß liberalisiert hat und selbst eine Börsenumsatzsteuer – die abgespeckte Variante einer Finanztransaktionssteuer, wie sie heute nur noch die FDP unter dem Druck der politischen Verhältnisse scheinheilig fordert – in jener Zeit vehement im Deutschen Bundestag ablehnte; schade auch, dass Steinmeier ebenfalls unterschlägt, als “Macher” der Agenda 2010 für das deutsche Lohndumping verantwortlich zu sein und damit für die tragende Ursache der Eurokrise; das alles und noch viel mehr einzugestehen, wäre allerdings auch komplett unglaubwürdig, feiert Steinmeier doch noch heute die vermeintlichen Erfolge der Arbeitsmarkt-”Reformen”. Wer so eine Opposition hat braucht keine Regierung mehr.
Die dann folgenden Luftblasen, die den Fragen der Journalisten im übrigen keinesfalls nachstehen, sind nicht weiter zitierenswert. Sein Demokratieverständnis offenbart Steinmeier dann aber doch noch einmal, wenn er Umfragen für die Auswahl des SPD-Kanzlerkandidaten eine tragende Rolle beimisst; hätte er sich dann nicht erst recht aufgrund seines realen, jeder Umfrage überlegenen Wahlergebnisses 2009, von dem sich die SPD trotz des von Steinmeier selbst attestierten Koalitionschaos bei CDU/CSU und FDP bis heute nicht so recht erholt hat, von selbst auf eine der hinteren Bänke im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zurückziehen müssen? Eine rhetorische Frage, nicht aber für Steinmeier. Völlig zurecht stellen die Journalisten, nachdem Steinmeier seine Kriterien für eine erfolgreiche Kanzlerkandidatur aufgestellt hat, fest: “Dann kommen nur Sie infrage.” Grandios!
Wer so “regierungsfähig” ist, wie Steinmeier, handelt dann natürlich naheliegend, wenn er den jungen Piraten in Punkto Regierungsfähigkeit ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg gibt. Fast vorwurfsvoll, um nicht zu sagen anrüchig, klingt es allerdings, wenn Steinmeier seine kleine Vorlesung in Sachen Regierungsfähigkeit mit den Worten schließt: “Die Piraten gefallen sich als Störfaktor im System.” Das freilich würde dem regierungsfähigen Steinmeier nicht einfallen und noch weniger gefallen – weder in der Regierung noch in der Opposition. Und das ist auch gut so, sei an dieser Stelle ein sich intellektuell mit Steinmeier auf Augenhöhe bewegender Sozialdemokrat zitiert, denn schließlich hat Steinmeier das “System”, das seit der Jahrtausendwende Deutschland regiert und an dem jetzt auch mindestens die ganze europäische Welt genesen soll, höchstpersönlich kreiert und durchgesetzt.
Und was passt schließlich besser zu dieser, Steinmeiers Weltsicht, als ein Osterurlaub in den Dolomiten? Wie antwortet Steinmeier selbst so treffend: Der Blick von oben auf die Welt tut gut. Und noch eins sei zur Ehrenrettung des SPD-Fraktionsvorsitzenden und nicht gewählten Kanzlerkandidaten 2009 gesagt: Steinmeier fastet – wenn auch nur zu Ostern und nicht, wie der Hartz-IV-Empfänger, das ganze Jahr über. Werten wir es dennoch wohlwollend als Zeichen alter sozialdemokratischer Solidarität.
Das Beste aber ist vielleicht, dass Steinmeier zu seinen, die Umfragewerte für die SPD sicherlich beflügelnden Aussagen auch noch ein so genannter linker Genosse beispringt. Der “zum linken Parteiflügel zählende” Ralf Stegner äußerte sich, unmittelbar auf das Interview mit Steinmeier reagierend, ebenfalls gegenüber der Welt mit den Worten: “Es ist gar keine Frage, dass Frank-Walter Steinmeier ein geeigneter Kanzlerkandidat wäre…” Ob Stegner wie Steinmeier zu Ostern fastet und dem Alkohol abschwört ist nicht bekannt. Als mögliche Ausrede zur späteren Distanzierung von seiner Aussage, schlage ich ihm daher vor, auf den übermäßigen Verzehr von mit Eierlikör und anderen alkoholgesättigten Ostereierfüllungen zu verweisen. Nur so, als Idee. Das wiederum würde der Wähler, zumindest der mit sozialdemokratischer Bodenhaftung – soll es ja auch noch geben -, verstehen und so vielleicht zur anstehenden Landtagswahl in Schleswig-Holstein doch noch bei der SPD sein Kreuz machen, auch wenn er weiß: es ist ein Kreuz mit der alten Tante, und er, der Wähler, dabei vielleicht sogar an die Geschichte des Karfreitags – jetzt aber ans Kreuz mit der alten Tante! – denkt, gleichwohl immer noch hoffend, dass die SPD doch nun recht bald wieder auferstehen möge. Frohe Ostern!
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