Erst vor wenigen Tagen hat die EU-Kommission Vorschläge für einen Beschäftigungspaket zur Bekämpfung der steigenden Arbeitslosigkeit vorgelegt:
17 Millionen Arbeitsplätze sollen durch die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben sowie umfassender arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen bis zum Jahr 2020 geschaffen werden. Ein überzeugendes Konzept zur wirksamen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist in dem vorgelegten Sammelsurium bekannter Maßnahmen mit geringer Wirksamkeit sowie unausgegorener neuer Vorschläge nicht erkennbar. Nebulös bleibt auch die höchst kontroverse Forderung nach geringerer Besteuerung des Faktors Arbeit. Nach erlebter Praxis in der Bundesrepublik heißt dies im Klartext weitere Privatisierung von Sozialleistungen zu Lasten der Arbeitnehmer.
Bereits Ende letzten Jahres hatte die Kommission einen medienwirksamen ersten Aufschlag mit ihrem „Beschäftigungspakt“ für Jugendliche gemacht. Sowohl der Beschäftigungspakt wie auch das Beschäftigungspaket stehen in keinem Verhältnis zu der eskalierenden Arbeits- und Perspektivlosigkeit der Arbeitslosen und dabei der vielen jungen Menschen in der EU. Sie sind die hauptsächlichen Opfer der Finanzkrisen, die sie am allerwenigsten verursacht haben.
Die erklärte Bereitschaft in dem jetzt von der Kommission vorgelegten Beschäftigungspaket, „Niedrigentgeltfallen“ und Dumpinglöhne zu verhindern, bleiben vage und nebulös. Zu Mindestlöhnen wird lediglich festgestellt, dass sie in vielen Mitgliedsstaaten gelten und „ein wirksames Mittel zur Stützung der Arbeitskräftenachfrage“ sein können. Im Gegensatz dazu sind die schon seit längerem vorgelegten Vorstellungen der Kommission zum Abbau des arbeits- und sozialrechtlichen Schutzes – insbesondere von Kündigungsschutz und Abfindungen bei Entlassungen – sowie der Heraufsetzung des Rentenalters nach dem deutschen Muster der „Rente mit 67‘“ bemerkenswert konkret.
EU-Fiskalpakt: politische Schieflage in der EU
Gleichzeitig wird den Bürgern Europas für die Finanzindustrie sowie die überschuldeten Euroländer eine Last nach der anderen aufgebürdet. Von der für die EU insgesamt aufgetürmten finanziellen Haftung in der unvorstellbaren Größenordnung von etwa 1,8 Billionen Euro entfallen auf die Bundesrepublik inzwischen mehr als eine halbe Billion Euro. Dies wird durch den EU-Fiskalpakt, den die Staats- und Regierungschefs der EU mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien Anfang März beschlossen haben, noch weiter verschärft. Mit seltener Akribie werden die finanziellen Lasten für die Bürger stetig nach oben geschraubt und mit konkreten Auflagen und ausgeklügelten Überwachungsmechanismen sowie nationalen „Schuldenbremsen“ für die Kürzung sozialer Ausgaben und Leistungen verbunden. Gleichzeitig werden die demokratischen Prozesse in den Mitgliedsländern und der EU durch die leichter durchsetzbaren einsamen Entscheidungen „intimer“ Regierungszirkel – vor allem aus Deutschland und Frankreich – ausgehöhlt. Dazu ist sarkastisch festzustellen: Was der Neoliberalismus auf europäischer und nationaler Ebene seit Ende der 1970er Jahre mit seinen ständigen Angriffen auf den Sozialstaat nicht geschafft hat, wird jetzt durch die Hintertür der Finanzkrisen durchgesetzt. Die Vorschläge der EU-Kommission für ein Beschäftigungspaket zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie den Beschäftigungspakt für junge Menschen werden sie nicht einmal stören – geschweige denn aufhalten.
Arbeitslosigkeit in der EU – Zeitbombe tickt
Die Forderungen der Kommission zum Einsatz der bisher nicht ausgeschöpften Mittel aus den Europäischen Strukturfonds von etwa 80 Mrd. Euro für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit werden sich schnell in heiße Luft auflösen, wenn weiterhin die hälftige Eigenfinanzierung durch die Mitgliedsländer erforderlich ist. Gerade die Krisenstaaten sind bei den aufgezwungenen Kürzungsmaßnahmen überhaupt nicht in der Lage, zusätzliche Finanzmittel für die Kofinanzierung der arbeitsmarktpolitischen Mittel aus den EU-Fonds in Anspruch zu nehmen. Ebenso bleiben die ständig wiederholten Forderungen der Kommission nach Einführung und Ausbau betrieblicher Ausbildung, die es so, wie in der Bundesrepublik, nur in wenigen EU Ländern gibt, leere Lippenbekenntnisse, solange überzeugende Konzepte sowie ausreichende personelle und finanzielle Unterstützung fehlen.
Die erklärte Bereitschaft, die Tarifparteien stärker einbeziehen zu wollen, beschränkt sich auf die Vorschläge von weiteren Konferenzen und Fachtagungen. Diese erreichen bereits jetzt eine unüberschaubare Vielfalt, die in einem krassen Missverhältnis zu den praktischen Erfolgen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stehen. Das jüngste EU-Beschäftigungspaket und der vorherige Beschäftigungspakt sind somit eher Feigenblatt oder Alibi für die verheerenden Auswirkungen der verfehlten Krisenpolitik in der EU. Dies ist wirtschaftlich, sozial und politisch eine gefährliche Zeitbombe für die Zukunft der Europäischen Union.
Brain Drain – keine Lösung
Ohne Zweifel ist es notwendig – wie die EU Kommission in ihrem Beschäftigungspaket zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit fordert – die grenzüberschreitende Mobilität der Arbeitnehmer in der EU zu verbessern. Dazu müssen insbesondere beitragen: die Transparenz offener Stellen sowie verfügbarer Arbeitnehmer nach Quantität und Qualität, die gegenseitige Anerkennung von Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen sowie die Verbesserung der sprachlichen Voraussetzungen. Dabei ist allerdings zu fragen, warum dies nicht schon längst erfolgt ist. Gegenstandslos bleibt auch die Forderung nach Verbesserung der Übertragbarkeit von Renten-, Pensionen und Arbeitslosenversicherung sowie der Besteuerung, solange keine Konzepte vorliegen, die von den Mitgliedsstaaten mitgetragen werden. Und ob diese Maßnahmen den notwendigen Erfolg haben werden, hängt entscheidend von der Bereitschaft der Wirtschaft und der jeweiligen Kommunen ab, den jungen Menschen den Übergang in ein anderes Land, eine neue Tätigkeit und eine andere Kultur zu ermöglichen. Dabei dürfen gerade die Krisenländer nicht durch den dauerhaften „Brain Drain“ ihrer qualifizierten Jugend noch weiter bei der wirtschaftlichen Entwicklung „abgehängt“ werden.
Schwer nachvollziehbar ist der Appell der EU-Kommission, für Rumänien und Bulgarien sofort die volle Freizügigkeit der Arbeitnehmer herzustellen. Diese beiden osteuropäischen Länder haben als „vorläufig“ letzte erst 2007 die Mitgliedschaft in der EU erlangt. Die freie Zuwanderung der dort Beschäftigten in andere Mitgliedsländer kann daher bis 2014 aufgeschoben werden, wie dies z.B. in der Bundesrepublik vorgesehen ist. Wenn den Beschäftigten aus Rumänien und Bulgarien sofort die freie Zuwanderung und Aufnahme einer Arbeit in den übrigen Mitgliedsländern ermöglicht werden soll, kann dies den Konkurrenzdruck für die vielen jungen Arbeitslosen insbesondere in den Krisenländern verschärfen und den Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen erhöhen.
Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de).
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