Sonntag im Regierungsviertel: Eine Begegnung mit SPD-Fraktionschef Frank Steinmeier

Beim Schreiben der Kolumne vor dem Zimt & Zucker

Wie gut, dass ich auch nachts arbeiten, also schreiben, kann. So kann ich am Tag darauf ungezwungen die Sonne draußen genießen. Natürlich kann ich auch tagsüber draußen schreiben. Das funktioniert jedoch nicht immer. Es hängt wohl von der Gattung des Textes ab.

Muss ich recherchieren, wie bei meinem Beitrag von gestern Nacht, benötige ich eine gute Internetverbindung und vielleicht auch einen vernünftigen Stuhl und Tisch, um daran zu arbeiten. Bei kleineren Reflexionen wie dieser hier aber, ist es eventuell sogar fruchtbarer, draußen zu sitzen. In jedem Fall scheint es der Produktivität förderlich zu sein, seinem eigenen Impuls folgen zu dürfen und auf ihn zu vertrauen. Wem ist das schon – trotz der allseits bemühten und hofierten Flexibilisierung der Arbeit – gegeben? Denn ausgerechnet das bietet diese doch wohl nur in seltenen Fällen. Flexibilisierung, Aufweichung von Arbeitnehmerrechten und nicht selten unbezahlte Mehrarbeit, ja, Flexibilisierung in den Köpfen – der Arbeitgeber vor allem -, nein.

Ich sitze vor dem Kaffeehaus Zimt & Zucker, mitten im Regierungsviertel. Wie gewohnt liegt zu meinen Füßen meine alte Labrador-Hündin Queeny. Die Sonne lacht zu uns herab. Ich lese im Tagesspiegel ein langes Interview mit SPD-Fraktionschef Frank Steinmeier, einem der Hauptverantwortlichen für den Abbau von Arbeitnehmerrechten, genannt Flexibilisierung oder Agenda 2010 oder auch “Reformen”. Steinmeier feiert diese noch heute – obwohl die Wähler ihn doch wohl deswegen bei der Bundestagswahl 2009 abgestraft haben (wer hierzu nach musikalischer Untermalung sucht, höre hier herein, geschrieben zur Bundestagswahl 2009, leider aber immer noch aktuell: Wenn´s Dich stört, dann geh doch wählen; ich widme das Lied jetzt entgültig Frank Steinmeier, Peer Steinbrück und Franz Müntefering). 23 Prozent für die SPD. Das hat ihn nicht daran gehindert, den Partei- und Fraktionsvorsitz für sich zu beanspruchen; den Fraktionsvorsitz hat er erhalten. Es hat seine Genossen auch nicht daran gehindert, Steinmeier nach seiner historischen Niederlage am Wahlabend zuzujubeln und ihm heute erneut die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahlen 2013 anzutragen. Was unsere Demokratie so alles aushält – noch jedenfalls. “Sozialdemokratischer Politik geht es immer darum, die Situation der Menschen konkret zu verbessern“, behauptet Steinmeier. Das haben die Menschen wohl nur einfach immer noch nicht verstanden!

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Steinmeier beweist im Interview mit dem Tagesspiegel aufs Neue, dass die Finanztransaktionssteuer nur ein politisches Feigenblatt für ihn ist. Die Grundzüge seiner Politik, für die die SPD 2009 abgestraft wurde, stellt er bis heute nicht in Frage; im Gegenteil, er beruft sich auf sie als Grundlage für die vermeintlichen Erfolge Deutschlands: “Unsere Wirtschaftsdaten sind momentan gut, weil wir notwendige Reformen im letzten Jahrzehnt gemacht haben.” Und: “Wir haben zehn Jahre gebraucht, um vom Schlusslicht der europäischen Wachstumstabelle wieder nach oben zu kommen. Und die Reformen beim Arbeitsmarkt und den sozialen Sicherungssystemen gehörten dazu.”

Es ist vor allem diese Arroganz – wie hier auch bei Wolfgang Thierse exemplarisch aufgezeigt -, die unsere Gesellschaft spaltet und unsere Demokratie untergräbt, weil sie den Willen und die Bedürfnisse vieler Wähler ignoriert und es an politischen Alternativen und Vertretern, die sie überzeugend und glaubwürdig vertreten, fehlen lässt.

Was mir wohl Steinmeier hierauf antworten würde, säße er mir jetzt gegenüber, konkret hierauf, nicht ausweichend. Vielleicht erreicht ihn ja diese kleine Kolumne und er antwortet. Die Wege des Internets sind ja bisweilen unergründlich. Ach, der Hild ist dem Steinmeier ja gar nicht wirklich begegnet! – Na, jetzt hat es aber auch der oder die Letzte gemerkt. April, April! – Und doch bin ich ihm ja nun einmal begegnet – im Tagesspiegel eben. Mehr war für heute nicht drin – und wahrscheinlich gilt dies im Fall Steinmeier auch für die Zukunft. Wir werden uns seiner dennoch immer wieder annehmen müssen, leider, so steht es zu vermuten, kritisch.

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