Hannover/Berlin. Nachdem die 48-jährige einstige Klosterschülerin und Parlamentsreporterin der „Bild“-Zeitung, Doris Schröder-Köpf, endlich ihren Kopf durchgesetzt hatte und als SPD-Direktkandidatin für die Niedersachsen-Wahl 2013 im Wahlkreis Hannover-Döhren nominiert wurde, ging es für sie erst richtig los. Einmal abgesehen davon, dass sie auf dem nächsten Landesparteitag auch für eine Absicherung auf der Landesliste kämpfen will, muss sie es nun in neun Monaten geschafft haben, ihren Gerhard, Ex-Bundeskanzler Schröder und derzeitigen russischen Pipeline-Kontrolleur, mit seiner neuen Rolle als Hausfrau vertraut zu machen.
„Nix mehr, in Moskau mit Wladimir Wodka schlürfen, im dicken Sessel von Gazprom in Berlin herumsitzen und Zigarre qualmen, der Kinder zuliebe wird sodann daheim geblieben!“, hatte sie ihm schon mehrfach angekündigt, wenn sie in die Politik einsteigen würde. „Natürlich, meine Allerliebste“, hatte Gerhard daraufhin stets bekräftigt. „Das will ich gerne über mich ergehen lassen, wenn Du im festen Glauben bist, Dich auf diese Weise aus unserer familiären Einöde emanzipieren zu können.“
Uneinig waren sie sich jedoch schon vor Doris’ Nominierung darüber, wie es dann weitergehen solle. Auf keinen Fall könne er mitansehen, hatte er ihr zu verstehen gegeben, wenn sie sich bis auf seine alten Tage als Hinterbänklerin im Landtag herumfläzen würde. Da könne sie auch gleich zu Hause bleiben, so langweilig sei das. Außerdem wäre eine derartige Erniedrigung der Frau eines ehemaligen Bundeskanzlers nicht mit seinem hart erkämpften gesellschaftlichen Ansehen vereinbar, das letztlich erst zu ihrer Nomination geführt habe. Vergessen sollte sie auch nicht, dass er auf alle Zeiten mit seinem Nachnamen „Schröder“ unverrückbar mit der Ausübung ihres politischen Mandats verbunden sei. Ihr Zweitname „Köpf“ sei dabei allerhöchstens bürgerlich-emanzipatorisches Beiwerk. Jedenfalls, war Gerhard der Auffassung, müsse für Doris aus all diesen Gründen nach der Landtagswahl allermindestens ein Ministeramt herausspringen.
Auch wenn Doris nie ganz glücklich war, wenn Gerhard über die Wertigkeit ihres Geburtsnamens frotzelte, waren sie sich hingegen über den Anspruch auf ein Ministeramt schnell einig. Ebenfalls darüber, dass für Doris schon aufgrund ihrer legendären, nahezu alle Probleme weggrinsenden Gesichtsmechanik grundsätzlich jedes Ministerium infrage käme. Offen war für beide anfangs noch, welches Ministeramt für Doris angestrebt werden sollte. Sie war der Meinung, am leichtesten wäre es, wenn ihr die Genossen ein auf sie zugeschnittenes backen würden. Gerhard hingegen hätte es bevorzugt, wenn Doris ein für die Frau klassisches Ministerium übernehmen könnte. Im Sinn hatte er dabei Familienministerin oder auch Ernährungsministerin. Da aber, wie sie erst später erfuhren, der Landesvorstand ihrer beider Partei bereits alle bis auf ein Ressorts für „verdiente“ Landespolitiker eingetütet hatte, wäre nur noch das Energieministerium infrage gekommen. Da aber hatte Gerhard gleich abgewunken. Hier nämlich, wandte er in aller Deutlichkeit ein, käme sie in der heutigen Zeit nicht mehr daran vorbei, sich ohne Wenn und Aber für die alternative Energiegewinnung stark zu machen. Wenn das auch grundsätzlich nicht zu verwerfen sei, meinte Gerhard, würde ihn das mit seinem russischen Gazprom-Erdgas, vor allem vor seinem besten Freund Владимир Владимирович Путин in extreme Verlegenheit bringen. Am Ende bliebe er dann womöglich noch auf seinem Gas sitzen. Das ginge auf keinen Fall und wäre am Ende ein Ministeramt nicht wert.
Da war Doris ganz seiner Meinung. Schließlich müsse ja einer in der Familie richtig Kohle verdienen, war sie sich mit Gerhard einig, um im illustren Freundeskreis mithalten zu können. Unabhängig davon könne es schlechthin nicht sein, das hatten sie geschwind in ihren Haushaltsrechner eingetippt, dass die Pension eines Bundeskanzlers zusammen mit einem Landesministergehalt gerade mal so viel sei, wie ihr kleiner Kreissparkassenvorstand in Hannover-Döhren am Monatsende mit nach Hause brächte. Wenn sie auch aus kleinen Verhältnissen stammten, mit „diesem Typen“ jedenfalls wollten sie sich auf keinen Fall in einen Topf werfen lassen.
So blieb ihnen, wie Doris gleich gesagt hatte, nur übrig, ein Ministeramt zu erfinden und dem Landesvorstand anzutragen, für das dann in den noch verbleibenden Monaten bis zur Regierungsbildung, „hoffentlich dann ohne den christdemokratischen Halbbriten, David James McAllister“, wie Gerhard meinte, gesellschaftliche Akzeptanz geschaffen werden müsse. Das ginge aber nur, wenn man die weitgehend mit „Politikverdrossenheit“ verseuchte niedersächsische Menschheit mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auf positive Weise konfrontiere. Nachdem sie verschiedene Politiksparten durchdacht hatten, kamen sie, nachdem Doris gerade vom Mülleimerentleeren zurückkehrte, auf das bundesdeutsche Müllproblem zu sprechen. Da machte es bei beiden „Klick“. Der Müll sei ein Thema, mit dem die Menschen mit Haut und Haaren verwachsen seien. Denn jeder einzelne, recherchierten sie sodann im Internet, würde im Jahr von den insgesamt etwa 360 Mio. Tonnen Müll alleine 450 kg Haushaltsmüll erzeugen. Für Doris völlig überraschend, meinte Gerhard daraufhin, das Problem des Mülls im Auge: „Für die Bevölkerung ist es, ehrlich gesagt und unabhängig von meinem Gasgeschäft, am Ende ihrer Tage wesentlich schlimmer, im eigenen Müll zu ersticken als in der Badewanne zu erfrieren.“
Die Frage war jetzt nur noch, wie sich Doris als Müllministerin profilieren könne, ohne es sich allzu schwer zu machen. Jedenfalls, waren sie einer Meinung, dass die Palette der Selbstdarstellung auf dem Müllsektor groß genug sei, um sich in den kommenden Monaten als ausgewiesene Müllexpertin einen Namen zu machen. Doris könne immer wieder mal auf einem Müllwagen mit herumkutschen, Müll sortieren, Müllhalden inspizieren oder auch nur den herbeigebrachten Müll in den Verbrennungsofen schippen.
Der Zufall wollte es, dass am darauffolgenden Samstag die Frühjahrsaktion des heimischen Zweckverbandes „Hannover putzmunter“ lief, und die SPD beschlossen hatte, sich dieser Aktion werbewirksam anzuschließen. Hier könne Doris zunächst völlig unauffällig, jedenfalls auf den ersten Blick als nicht durchtrieben ersichtlich, ein Zeichen setzen, dass sie für die Leitung eines künftigen Müllministeriums gut geeignet sei. Was sie dann im Einvernehmen mit Gerhard in ihren Terminkalender einbaute.
Bevor Doris an jenem Samstagmorgen das Haus verließ, hatte sie ihrem Gerhard noch die flauschige Satin-Bettdecke mit der aparten Maiglöckchen-Stickerei von der letzten Kaffeefahrt auf dem Hannoveraner Maschsee über die Ohren gezogen, damit ihr Liebster noch ein wenig weiter vor sich hin grunzen konnte. Jedoch hatte sie ihm den Wecker gestellt, weil er versprochen hatte, gleich morgens mit den Kindern in den Zoo gehen zu wollen, was sie ausdrücklich begrüßte.
Da es im sauberen, kleinbürgerlichen Stadtteil Döhren eigentlich keinen Anlass gegeben hätte, Müll aufzusammeln, hatten die Helfer vom Ortsverein bereits zur frühen Morgenstunde zu Hause allerlei Müll aus ihren gelben und schwarzen Haustonnen geholt und hinter Hecken und unter Bänken auf der geplanten Marschroute von Doris verstreut. Vor allem, damit die Kameras genügend Bilder von der frisch gekürten, Müll sammelnden, prominenten Landtagskandidatin schießen konnten. „Alle für Doris“, so solidarisch mussten sie ihr gegenüber nach dem ganzen Hickhack um Doris mit ihrer gewerkschaftsorientierten Gegenspielerin schon sein. Besser jedenfalls, als dass sich die Partei vor der angereisten Presse wegen fehlenden Mülls um den Fiedler Platz herum blamiere.
Schließlich stülpte sich Doris vor laufenden Kameras die ihr zugedachten, viel zu großen grünen Gummihandschuhe über ihre zarten, kleinen, weißen Hände. Gleich danach sagte sie der NDR-Reporterin Tina Zemmrich mehr oder weniger ungefragt, dass sie normalerweise ohne Gummi arbeite, aber bei „Fremdmüll“ müsse sie „schon echt sagen“, arbeite sie lieber mit Gummi.
Angelo Alter vom SPD-Ortsverein Hannover Döhren-Wülfel stellte anschließend unmissverständlich klar: „Doris muss natürlich selber dazu beitragen, muss auch beweisen, dass sie bereit ist, hier an der Basis, mitzuarbeiten. Und es ist ihre Aufgabe, die Herzen jedes einzelnen Mitglieds zu gewinnen.“
Nachdem das gesagt war, faltete sich Doris, wenn auch reichlich ungeschickt, eine Einwurf-Öffnung an ihrem roten Müllsack zurecht.
Für mich jedenfalls, der ich im Auftrag meiner Berliner Redaktion nach Döhren geschickt wurde, um über die Müll sammelnde Gattin unseres früheren Bundeskanzlers zu berichten, war das augenscheinliche Schauspiel reichlich merkwürdig. Schon alleine, wie Doris, in die Kameras grienend im Sylter Proletenlook (eine Kombination aus Bluejeans, blau kariertem Hemd, einer wattierten, olivfarbenen, ärmellosen Nobelweste, Perlmuttohrringen und einer Designerbrille auf ihrem, hinter die Ohren gelegten, blonden Haarschopf), hier und da ein Papierle aufpiekte, als seien es die allerteuersten Diamanten ihres Lebens.
Schließlich teilten sich die fünfzehn anwesenden Genossen in Dreiergruppen auf. Doris zog mit zwei Leidensgenossen, samt dem Tross von Journalisten, Richtung Ziegelstraße los. – Ein mehr oder weniger peinliches Bild. Jedenfalls war mir das alles viel zu blöd. – Als Freizeitgenosse sogar höchst peinlich.
So beschloss ich, Doris Schröder-Köpf nicht weiter zu folgen. Stattdessen wartete ich auf dem Fiedeler Platz, bis Doris mit ihren zweieinhalb, halb vollen Säckchen mit Müll zurückkam. Sie schien ob dieses Ertrages überstolz zu sein, denn sie grinste nun schon bis in die hinteren Weisheitszähne hinein. Vor allem prahlte sie damit, dicke zwei Euro für einen guten Zweck des Zweckverbandes mit bloßen Händen erarbeitet zu haben.
Nachdem sie dann jedem eine Kugel Eis von „La Gelateria“ spendiert hatte, nahm ich die Gelegenheit wahr, ihr beim Eisschlecken mal richtig über den Mund zu fahren, so erbost war ich.
„Moment mal …“, schrie ich sie an, FraudieFrauvonGerhardSchröder, Schröder-Köpf, ist Dir eigentlich klar, welche Show Du hier und heute abgezogen hast? Wie viele Redakteure Du mit diesem Quatsch hier hergelockt hast? Wie viel Arbeitszeit und Sprit für dieses Kasperletheater draufgeht? Gebe wenigstens zu, dass Du nicht aus Leidenschaft für einen guten Zweck Dein Kuschelbett verlassen hast, um diesen gottverdammten Müllscheißmist hier aufzusammeln, den Dir andere vor die Füße geworfen haben. Ganz alleine wegen den Kameras und der Presse bist Du hierhergekommen, um Deinen Wahlkampf als Supersauberfrau zu eröffnen und Dich mit dem Müll Deiner Mitmenschen zu profilieren! – Primitivstes Bilderzeitungsniveau ist das. Dies weißt Du nur zu gut! Dabei habt Ihr mit Euren Gummihandschuhen und den Plastiksäcken mehr Müll erzeugt, als Ihr gesammelt habt. Einfach nur bekloppt ist das, FraudieFrauvonGerhardSchröder, Doris Schröder-Köpf! Nichts als eine durchtriebene, dümmliche Wahlkampfshow! Schämst Du Dich eigentlich nicht vor Deinem Wahlvolk? Anstatt den sich in den Müllerbergen widerspiegelnden Geldrausch von Aldi und Konsorten anzuprangern und dem verpackungsverwöhnten Wahlvolk eins auf die Mütze zu hauen, nimmst Du mit dieser Aktion die Müllmacher allesamt in Schutz.
Liegen lassen müsste man den Müll, bis er Euch und den Maschmeyers dieses Landes aus den Ohren herauskommt. Jedenfalls merke Dir: Aufgabe von Politikern ist es nicht, in fremdem Müll herumzustochern, sondern Konzepte vorzulegen, wie dieser unsägliche Müll vermieden werden kann! Und wenn Du Dich in der Müllproblematik wirklich volksnah und unvergesslich engagieren willst, dann fordere die Menschen auf, ihren Müll so lange vor den Villen der Müllmafia abzukippen, bis diese hoch und heilig verspricht, denselben nicht mehr zu erzeugen.
Solltest Du nun immer noch glauben, mit zwei Kilo eingesacktem Müll einen Beitrag zum Umweltschutz geleistet zu haben, bist Du nicht von dieser Welt. Aber, wenn Du unbedingt die geschichtsträchtige SPD zur Müllpartei des 21. Jahrhunderts machen willst, dann gebe acht, dass Du nicht selber auf der Müllhalde Deines eigenen, an Dämlichkeit nicht zu überbietenden Döhrener Affentheaters landest, Du, Du …“
Mit herzlichen Grüßen
von Müllhalde zu Müllhalde
Ihr
Joseph Dehler
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In eigener Sache: Wenn nur 100 Wirtschaft und Gesellschaft abonnieren…
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Jospeh Dehler ist Autor des Buches Nasentanz, Früchtchen aus dem Garten der Macht, Erzählungen (Buchbesprechung hier). Handwerkliche Ausbildung, Arbeit im Gaststättengewerbe und in Fabriken, Promotion und Habilitation zum Dr. phil. und Rektor der Hochschule Fulda sind Stationen seines beruflichen Werdegangs. Nach Führungsaufgaben in der Wissenschaft, Innovationspolitik und Verwaltung von Bundes- und Landesregierungen, lebt er heute als Autor und Politikberater in Berlin und Fulda. Auf fuldainfo – Das Nachrichtenportal aus Fulda schreibt er exklusiv Politsatire, die dort auch als Hörtext erscheint.
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