Berichterstattung im Deutschlandfunk über die Entwicklung in Griechenland wieder sachlich

Vor zwei Tagen hatte ich auf Wirtschaft und Gesellschaft kritisch über die Berichterstattung des Deutschlandfunks zur Entwicklung in Griechenland berichtet und auf dieser Grundlage einen offenen Brief an den Intendanten des Deutschlandradios, Willi Steul, geschrieben. Ich bin darüber informiert, dass beides in den Redaktionen des Deutschlandradios in Berlin und Köln zumindest gelesen wurde. Ob dies den im folgenden positiv aufgegriffenen Wandel in der Berichterstattung des Deutschlandfunks bewirkt hat, weiß ich freilich nicht; ausgeschlossen aber ist dies nicht; auffallend ist der Wandel allemal. Vielleicht wird die Antwort von Willi Steul ja Aufschluss darüber geben.

Heute früh hat die Deutschlandfunk-Moderatorin, Christiane Kaess, ein sehr informatives Interview mit dem früheren griechischen Außenminister, Dimitrios Droutsas, geführt, der heute für die griechischen Sozialisten im Europaparlament sitzt. Das sehr ausführliche Interview zeigt nach meinem Verständnis sehr deutlich das Dilemma der etablierten Parteien in Griechenland auf, zu denen auch die Sozialisten zählen, die ja der Sparpolitik zugestimmt haben.

Kaess fragt Droutsas unter anderem, ob für ihn Alexis Tsipras, der Vorsitzender des Linksbündnisses, “der Schuldige” dafür ist, dass jetzt keine Regierung gebildet werden kann. Droutsas Antwort: “Man muss leider klare Worte verwenden: Ja, es ist so, der Herr Tspiras ist der allein Verantwortliche, nun, weil es gab eben einen sehr konkreten, sehr realistischen Vorschlag der drei anderen Parteien, einen sehr verantwortungsvollen Vorschlag, würde ich sagen, zu einer Regierungsbildung. Herr Tsipras, das hat sich herausgestellt, ist mit dem Kopf bereits bei den unmittelbar bevorstehenden Neuwahlen…”

Kaess: Auf der anderen Seite muss man sagen, dass Alxis Tsipras nichts anderes tut, als das, was ihm die Wähler aufgetragen haben, nämlich die Sparbeschlüsse abzulehnen.” Droutsas: “Das ist schon so, der Großteil der Bevölkerung leidet enorm, blutet unter den Sparmaßnahmen… Aber ich glaube, man muss hier wieder pragmatischer und realistischer sein…” Droutsas meint, es genüge, “die Sparmaßnahmen etwas aufzulockern”.

Kaess problematisiert, dass die führenden Köpfe in der EU nach wie vor die Umsetzung der Sparmaßnahmen fordern und spricht die Politik der Sozialisten in Griechenland offen an: “Sie gehören einer Partei an, die dem harten Sparkurs zugestimmt hat, warum hat man denn der Bevölkerung nicht besser erklärt, worum es geht: “Das ist leider Gottes eine sehr sehr schwierige Situation gewesen, vor der wir gestanden haben, das Land stand unmittelbar vor dem Bankrott, wir mussten hier die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um diesen Bankrott abzuwenden. Vergessen Sie bitte nicht, auch die Europäische Union verfügte nicht über die notwendigen Mechanismen, über die wir heute nach zwei Jahren in der Europäischen Union verfügen, hier Ländern wie Griechenland, die in der Krise sind, zu helfen. Ich sage es offen, Frau Kaess, uns wurde auf Seiten der EU-Partner das Messer an den Hals gesetzt.”

Dieses Interview ist unbedingt hörenswert, weil es, erstens, aus dem Munde eines direkt Beteiligten deutlich macht, dass die EU Griechenland den Sparkurs alternativlos oktroyiert hat; zweitens, scheint Droutsas als einer, der diesem Sparkurs zugestimmt hat, die Folgen des Sparkurses für die Menschen und die Demokratie in Griechenland immer noch zu verharmlosen bzw. nicht zu begreifen, wenn er meint, dass es mit einer gewissen “Auflockerung” desselben getan sei; er spricht von Pragmatismus, Realismus, Seriösität und verkennt, dass die griechische Bevölkerung genau damit ihre Lage in Verbindung bringt, weil ihnen dies ihre jetzige Lage eingebrockt hat; denn hinter diesen schönen Worten verbirgt sich ja realita nichts anderes als jener Sparkurs oder allenfalls die jetzt von den Sozialisten und anderen etablierten Parteien anvisierten “Auflockerungen”; so stellt Droutsas “die notwendigen Reformen” auch weiterhin nicht in Frage, er verlangt nur etwas mehr Zeit. “Schaffen die radikalen Kräfte in Griechenland durch ihren Wahlerfolg jetzt doch indirekt etwas, was die Pasok und die Nea Demokratia nicht geschafft haben, nämlich ein Wachstumsprogramm geradezu zu erzwingen?”, bohrt Kaess weiter. Droutsas ist es “nicht so wichtig, wer dies erzielt hat”. Und: “Es findet ein Umdenken in der Europäischen Union statt”, attestiert Droutsas. Kaess: “Woran machen Sie das fest?” Droutsas weicht auf Frankreich und die Wahl Hollandes aus. “Aber das ist ja noch keine Abkehr vom Sparkurs”, wirft Kaess ein. Droutsas: “Es ist keine Abkehr vom Sparkurs, und niemand sagt ja auch, dass wir abkehren sollen von einem Sparkurs.” Und er macht deutlich, dass er diesen nur durch “stützende Maßnahmen” abfedern möchte.

Kaess geht im weiteren Verlauf auch auf die wichtige Frage ein, was denn jeweils mit Wachstum gemeint sei: “Da ist immer noch die Frage, ob mit Wachstum immer das gleiche gemeint ist, damit können ja auch weitere Strukturreformen gemeint sein.” Droutsas: “Unbedingt. Strukturreformen sind notwendig. Griechenland braucht vor allem Strukturreformen. Wir müssen den Staat ändern, wir müssen den maroden, nicht effizienten Staatsapparat solide und grundauf ändern, aber dafür bedarf es mehr Zeit, dafür bedarf es auch mehr flankierender Maßnahmen, Unterstützungsmaßnahmen, damit das griechische Volk nicht kaputt gespart wird, nicht weiter kaputt gespart wird.” Auf die Frage der Finanzierung antwortet Droutsas mit Eurobonds und Finanztransaktionssteuer; Kaess verweist darauf, dass diese bisher keine Mehrheit gefunden haben.

Es ist völlig unmaßgeblich, welcher Auffassung man selbst zuneigt, welche denn die richtige “Rezeptur” für Griechenland ist: dieses Interview zeigt die Komplexität des Themas auf und die verschiedenen Positionen und Widersprüche. Das ist in meinen Augen ganz vorbildlicher Journalismus (Das Interview kann hier nachgehört werden: Deutschlandfunk – Christiane Kaess – Interview mit Dimitrios Droutsas – 12. Mai 2012 – 08:11 Uhr).

Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die sachlichen, ausgewogenen und informativen Berichte von Thomas Bormann, Korrespondent des Deutschlandfunks (Nachzuhören zuletzt: Deutschlandfunk – Thomas Bormann – Regierungsbildung Griechenland – 12. Mai 2012 – 7:43 Uhr) – der im übrigen auch bereits vor der hier zuvor geäußerten Kritik an unsachlichen Fragen auf selbige sachliche Antworten gefunden hat.

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