Das große Missverständnis heißt: Erst sparen, dann investieren. Umgekehrt funktioniert es: Investieren geht dem Sparen voraus

Wenn jetzt häufiger Stimmen laut werden, dass der drakonische Sparkurs, der Ländern wie Griechenland, Portugal und Spanien verordnet wurde, von Investitionen begleitet werden müsse, ist das zwar ein Fortschritt, ein grundlegendes Missverständnis bleibt aber bestehen, und das heißt: Nur wer spart, kann auch investieren. Es verhält sich jedoch umgekehrt: Nur wer investiert, kann auch sparen. Damit steht auch eine Erholung der Volkswirtschaften und eine Überwindung der sozialen Not, die die bisherigen Sparprogramme mit sich gebracht haben, weiterhin in Frage.

Mehr Schulden durch Sparen

In der Gesamtwirtschaft dreht sich alles um Einnahmen und Ausgaben. Anders als der einzelne Haushalt gehorcht der Staatshaushalt und mit ihm die Gesamtwirtschaft komplizierteren Gesetzmäßigkeiten. Zwar zwingt auch die schwäbische Hausfrau, wenn sie sich entschließt, 50 Euro weniger im Monat auszugeben, zum Beispiel um ihr im Vormonat aufgrund einer überhöhten Telefonrechnung ins Minus gedrehte Girokonto auszugleichen, den “Rest der Welt” entsprechend 50 Euro weniger einzunehmen. Denn die Ausgaben des einen sind immer die Einnahmen der anderen. Dennoch kann die einzelne schwäbische Hausfrau, selbst wenn vermögend und mit höheren Beträgen haushaltend, die Gesamtwirtschaft schwerlich in die Knie zwingen oder diese, indem sie mehr ausgibt als einnimmt, zum Aufschwung führen. Der Staat schon. In einer koordinierten Aktion aller Hausfrauen gelänge dies freilich auch, was aber hier nur dazu dienen soll, den Zusammenhang zu verdeutlichen.

Sparen heißt immer mehr einnehmen als ausgeben. Das heißt, der Staat kann sparen, auch, wenn er seine Ausgaben erhöht. Die Berücksichtigung dieses simplen Sachverhalts ist in der Debatte um die Sanierung von Staatshaushalten keineswegs selbstverständlich. Erzielt der Staat höhere Einnahmen als er Ausgaben tätigt, verzeichnet er einen Haushaltsüberschuss, er spart. Aus diesem Überschuss, aus dieser Ersparnis, kann er seine Schulden abbauen und Zinsen tilgen, konsumieren und investieren. Fallen seine Einnahmen zwar geringer aus als die Ausgaben, gelingt es ihm aber immerhin die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben zu schließen, sinkt sein Defizit.

Das gelingt aber nur, wenn der “Rest der Welt” entsprechend sein Einnahme-Ausgabe-Saldo unter umgekehrten Vorzeichen verändert. Dieser “Rest der Welt” sind im eigenen Land die Privaten Haushalte, die privaten Unternehmen und, vermittelt über die Einnahmen und Ausgaben aus dem Außenhandel, das Ausland, das sich seinerseits  in den einzelnen Ländern aus Private Haushalten, Unternehmen und dem Staat zusammensetzt.

Nach der vorherrschenden Doktrin, soll der Staat sparen. Vor allem soll er seine Ausgaben senken.

Was aber hat dieses Sparen aufgrund der aufgezeigten Logik, dass jeder Veränderung an Einnahmen und Ausgaben bei dem einen Akteur eine entsprechende Veränderung unter umgekehrten Vorzeichen bei den anderen Akteuren zur Folge haben muss, für Konsequenzen für die Gesamtwirtschaft?

Gibt der Staat weniger aus, zum Beispiel für Personal und öffentliche  Infrastruktur, bedeutet das weniger Einnahmen für die Privaten Haushalte und Unternehmen. Wollen sie ihre Ausgaben auf dem gleichen Niveau halten wie bisher, sind sie gezwungen, sich in Höhe der verlorenen Einnahmen zu verschulden oder, sofern vorhanden, ihre bis dahin aufgebauten Ersparnisse anzugreifen. Wollen oder können sie dies nicht, müssen sie ihrerseits kürzer treten. Unternehmen sie letzteres, ist also keiner gewillt oder in der Lage, sich stärker zu verschulden oder auf seine Ersparnisse zurückzugreifen, und fängt auch das Ausland den inländischen Nachfrageausfall nicht auf, muss die wirtschaftliche Aktivität insgesamt zurückgehen. Zahlt der Staat Sozialleistungen, erhöhen sich in Folge aufgrund der mit der sinkenden Wirtschaftsaktivität einhergehenden steigenden Arbeitslosigkeit seine Ausgaben; aufgrund der rückläufigen wirtschaftlicher Aktivität verliert der Staat zugleich einen Teil seiner bisherigen Steuereinnahmen. Am Ende hat der Staat daher keine höheren Ersparnisse erzielt, sondern steht mit höheren Defiziten und Schulden da.

Dieser Zusammenhang tritt aufgrund der drakonischen Sparpolitik in Griechenland, Portugal und Spanien besonders negativ zu Tage. Vorschläge, den Sparkurs jetzt mit Investitionen “aufzulockern” (Dimitrios Droutsas), können oder wollen dieser Logik offensichtlich nicht folgen. Solange die mit diesen Vorschlägen verbundenen Investitionen die durch die Sparprogramme entfallenden Ausgaben nicht zumindest ausgleichen, kann die Wirtschaftsaktivität nicht steigen. Die bereits realisierten, nun schon über Jahre andauernde, rückläufige Wirtschaftsaktivität wieder auf das Vorkrisenniveau zu steigern, würde noch viel höhere Ausgaben voraussetzen.

Sparen durch Mehrausgaben

Was passiert umgekehrt, wenn der Staat seinen Saldo aus Ausgaben und Einnahmen nicht weiter durch Ausgabensenkungen zurückzufahren versucht, sondern durch Mehrausgaben darauf zielt, Unternehmen und Private Haushalte ihrerseits zu mehr Einnahmen und einer gesteigerten Wirtschaftsaktivität zu verhelfen? Man muss den oben aufgezeigten, negativen Verlauf nur umkehren: die Einnahmen der Unternehmen würden durch eine gestiegen Auftragsvergabe des Staates zunehmen; um die verbesserte Auftragslage bedienen zu können, müssten die Unternehmen wieder Menschen einstellen; um auch die privaten Investitionen anzukurbeln, könnte die Regierung die Vergabe ihrer Aufträge mit bestimmten Auflagen versehen; so könnte der Staat beispielsweise Investitionen in bestimmte Technologien verlangen und zugleich fördern; das gleiche gilt für den Abbau der dramatischen Jugendarbeitslosigkeit; hier könnte der Staat seine Auftragsvergabe an die Bedingung knüpfen, ein bestimmtes Kontingent an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für Menschen unter 25 Jahren zur schaffen.

Der private Konsum würde in Folge der steigenden Beschäftigung ebenfalls zunehmen. Die so insgesamt belebte Wirtschaftsaktivität würde höhere Steuereinnahmen nach sich ziehen und niedrigere Ausgaben für Arbeitslosigkeit und andere mit einer sinkenden Wirtschaftsleistung in Zusammenhang stehende Sozialausgaben.

Diesen Weg zu gehen, hat die Sparideologie versperrt. Um den Weg dafür frei zu machen, wird eine gewisse “Auflockerung” der Spardoktrin nicht ausreichen. Ein grundlegendes Umdenken, das den zentralen Zusammenhang von Ausgaben und Einnahmen berücksichtigt, hat noch nicht statt gefunden.

Wie Deutschland helfen kann die Eurozone zu retten

Welchen Ländern es trotz Eurokrise gelingt zu sparen, zeigt der Saldo der Leistungsbilanz aus Exporten und Importen von Waren und Dienstleistungen. Erzielt ein Land einen Exportüberschuss, gibt dieser Überschuss Auskunft über die gesamte Ersparnis der Volkswirtschaft – der des Staates und der privaten Unternehmen und Haushalte. Die Länder mit Leistungsbilanzdefiziten entsparen und müssen sich entsprechend verschulden.

Deutschland ist berühmt und mittlerweile international auch dafür berüchtigt, hohe Leistungsbilanzüberschüsse zu erzielen. Für Griechenland, Portugal, Spanien und Italien gilt das Gegenteil. Wenn nun Deutschland als mit Abstand größte Volkswirtschaft in der Eurozone seine Überschüsse abbaut, indem es mehr aus dem Ausland einkauft als dorthin verkauft, würde die damit verbundene, steigende Nachfrage auch die Exporte der Krisenländer beleben. Zu den Exporten  von Waren und Dienstleistungen zählen dabei aus Sicht der Anbieter auch die Einnahmen aus dem Tourismus, der für die Krisenländer ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Auch hier bedeutet das nicht, dass Deutschland seine Exporte (Einnahmen) drosseln muss. Sie können sogar weiter steigen. Nur sollten die Importe (Ausgaben) eben nicht weiter unter den Exporteinnahmen liegen. Deutschland würde damit auch endlich wieder dem Artikel 109 des Grundgesetzes entsprechen und “den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung” tragen. In § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes von 1967 heißt es entsprechend: “Bund und Länder haben bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten. Die Maßnahmen sind so zu treffen, daß sie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen.”

Wie das zu erreichen ist, erklärt am besten der bisherige Verlauf. Weil die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse darauf basieren, dass die Löhne über viele Jahre nicht mit der Produktivitätsentwicklung Schritt gehalten haben, muss der darüber erzielte absolute Wettbewerbsvorteil wieder ausgeglichen werden. Hierfür müssten sich die Lohnsteigerungen in Deutschland über einen längeren Zeitraum über den erzielten Produktivitätszuwächsen bewegen. Die hierüber gestärkten Konsumausgaben würden nicht nur die eigene Wirtschaft beleben, deren Einfuhren zur Bedienung der steigenden Produktion zunehmen würden. Auch der Konsum selbst würde zu einem Teil aus dem Ausland bedient, sei es, weil es sich wieder mehr Menschen leisten könnten ins Ausland zu reisen oder mehr Waren aus dem Ausland im Inland einzukaufen.

Auch diesen Schritt hat die Politik in Deutschland noch nicht nachvollzogen. Denn um ihn auszuführen, müssten die Gesetze geändert werden, die maßgeblich dafür verantwortlich zeichnen, dass die deutsche Lohnentwicklung so sehr von der Produktivitätsentwicklung nach unten abgewichen ist: Hartz IV, der Zwang jede Arbeit annehmen zu müssen, Leiharbeit und die vielen anderen Gesetze, die dafür gesorgt haben, dass in Deutschland ein Niedriglohnsektor entstanden ist, der jede gesamtwirtschaftlich vernünftige Lohnentwicklung unmöglich macht.


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