Minute 2:26 heute früh im Deutschlandfunk in der Sendung “Europa heute”: Die Moderatorin fragt Thomas Bormann zum Thema “Nach der Wahl ist vor der Wahl – die schwierige Regierungsbildung in Athen”:
“Falls es auch dieses Mal nicht gelingt, eine Regierung zu bilden, wird es Neuwahlen geben. Voraussichtlich am 17. Juni. Welche Hoffnungen verbinden sich damit, dass die Griechen irgendwann zur Besinnung kommen und sich für die richtige Partei entscheiden an der Urne?“ (zum Nachhören: Deutschlandfunk – Europa heute – Nach der Wahl ist vor der Wahl – die schwierige Regierungsbildung in Athen – 10. Mai 2012).
Bestimmt jetzt schon eine Deutschlandfunk-Moderatorin, welche Partei in Griechenland als “die richtige” zu wählen ist? Wenn es nach der Moderatorin geht, waren die Griechen, die das Linksbündnis gewählt haben, offensichtlich nicht ganz bei Trost. Nicht nur das ist ein Indiz dafür, dass Boulevard und Meinungsmache neuerdings auch im Deutschlandfunk salonfähig sind.
Seit Tagen berichtet der Deutschlandfunk über das linke Parteibündnis, das aus der zurückliegenden Wahl in Griechenland als zweitstärkste Kraft hervorging, als wäre diese der Gott sei bei uns. Ein weiteres Beispiel ist dieser Bericht von Andreas Hain, der unter dem vielsagenden Titel “Die linksradikale Tsipras-Show geht weiter” im Deutschlandfunk gesendet wurde. Der Parteivorsitzende des Linksbündnisses, Alexis Tsipras, “nutzt die drei Tage, die er für die Bildung einer Regierung hat, um auszuteilen“, so Hain. “Schluss mit den Sparmaßnahmen, sofortiger Stopp des Rettungspaketes. Das will er der Europäischen Kommission sogar schriftlich geben. Damit stellt sich Tsipras klar gegen diejenigen, die in der Übergangsregierung die Rettung Griechenlands vereinbart haben” so Hain weiter über Tsipras und das Linksbündnis.
Dass die Griechen Tsipras und sein Bündnis dafür demokratisch gewählt haben, spielt offensichtlich keine Rolle für Hain – und die Redaktionsleitung, die solche Beiträge durchgehen lässt. Mit keinem Wort hinterfragt Hain die herrschende Politik und ihre Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft. Mit keinem Wort beschäftigt er sich mit der von Tsipras aufgezeigten Alternative. Ist der liberale Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, um nur einen von vielen außerhalb Deutschlands und seiner aufs “Gürtel enger schnallen” fixierten Eliten in Politik, Wissenschaft und Medien zu nennen, auch ein Linksradikaler? Krugman schreibt seit langem, ja, fast täglich, gegen den wirtschaftspolitischen Irrsinn, der sich in Europa ohne Rücksicht auf Verluste und jetzt auch ohne Rücksicht auf demokratische Wahlen austobt. Wenn es nach Hain geht, ist die Rettung Griechenlands nun einmal “vereinbart” worden, Punkt. Diese Geisteshaltung lässt nun wirklich jedes Demokratieverständnis, jedwedes Problembewusstsein, jedweden Versuch, die Entwicklung in Griechenland und der Eurozone auch nur ansatzweise zu durchdringen und den Hörern aufzuzeigen, vermissen.
Hain weiter: “Die Geldgeber verlangen aber verlässliche Ansprechpartner, also eine Regierung, die zeigt, dass sie sich an die Sparvereinbarungen hält.” “Verlässlich” sind also nur die, die das einmal “vereinbarte” durchsetzen, wenn nötig gegen den demokratischen Willen der Bevölkerung.
Tsipras würde die Aufmerksamkeit, die ihm jetzt durch die Regierungsbildung zuteil würde, “ausnutzen”, so Hain: “Er hat sogar ein Treffen mit dem neuen französischen Präsidenten Hollande angefragt. Mit ihm will er über eine neue Finanzpolitik in Europa sprechen.”
Das ist ja nun wirklich unmöglich, möchte man als so indoktrinierter Hörer des Deutschlandfunks meinen, dass da jemand in Europa nach Gleichgesinnten sucht, um Mehrheiten für eine wirtschafts- und sozialpolitische Alternative zum Sparkurs und seinen verheerenden Folgen, den die Griechen per demokratischer Wahl abgewählt haben, zu finden (zum Nachhören hier: Deutschlandfunk – Andreas Hain – Die linksradikale Tsipras-Show geht weiter – 9. Mai 2012)
Am Tag zuvor hatte Hain bereits festgehalten: “Alexis Tsipras gilt als unberechenbar. Sogar eine Verstaatlichung der Banken und aller Produktionsbetriebe hält er für möglich.” Das linke Bündnis wäre ein “Sammelbecken linksradikaler Gruppierungen in Griechenland. Es sieht sich auch als Schwesterpartei der deutschen Die Linke.” Womit ja wohl klargestellt wäre, dass es sich auch bei der Partei Die Linke um ein “Sammelbecken linksradikaler Gruppierungen” handeln dürfte. “So tickt das griechische Linksbündnis” also (zum Nachhören hier: Deutschlandfunk – Andreas Hain – So tickt das griechische Linksbündnis – 8. Mai 2012).
Kann solch eine Berichterstattung der pluralistischen Meinungsbildung dienen? Wohl kaum. Eine ausgewogene und informative Berichterstattung über das Linksbündnis in Griechenland und die politische Biographie von Alexis Tsipras findet sich dagegen beispielsweise bei Wikipedia.
Wirtschaft und Gesellschaft hat auf Basis dieser Auseinandersetzung mit der Berichterstattung des Deutschlandfunks einen offenen Brief an den Intendanten des Deutschlandradios, Dr. Willi Steul, gesendet und um eine Stellungnahme gebeten.
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