Berlin. “Ich war nie hier!”, begrüßte Sascha Krümelputzer, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag, Franz Wettermacher, bevor dieser ihm einen seiner abgewetzten Thonet-S34-Bauhaus-Freischwinger-Sessel anbieten konnte. Wettermacher sollte außerdem schwören, dass er nie und nimmer bei niemandem auf der ganzen Welt auch nur die leiseste Andeutung darüber machen werde, dass er ihn in seinem Büro Unter den Linden aufgesucht und um Hilfe gebeten habe.
Gegenteiliges sei nicht nur für ihn, sondern auch für Wettermacher, dem “Enfant terrible unter den bundesdeutschen Politikberatern”, wie sich Krümelputzer unter Hinweis auf die Gerüchteküche des Bundestages ausdrückte, tödlich. Schon gar nicht solle er ihn zu keiner Zeit und in keinem aller möglichen Fälle mit dessen Abgeordneten Helmut Friemler von der Deutschen Freiheits-Partei DFP in Verbindung bringen. Zwar hänge an Friemler, dem er nun schon 15 Jahre am Stück diene, seine gesamte Existenz, aber augenblicklich befände er sich im unerträglichsten aller jemals in seinem Leben dagewesenen Zustände. – Obwohl er schon schlimmere Zeiten hinter sich habe: Um seine Familie ernähren zu können, habe er nach dem Studium der Politikwissenschaften fast neun Jahre lang in allen möglichen minderwertig bezahlten Jobs, beispielsweise als Taxifahrer, Regalbeschicker oder Rostschutzmittel-Anstreicher, geschuftet. Nur weil er im Deutschen Bundestag arbeite, schwimme er aber noch lange nicht im Geld, wie er betonte. Denn von dem Friemler für die Beschäftigung von Mitarbeitern zustehenden monatlichen 15.053 Euro Arbeitnehmerbrutto, erhalte er gerade mal 1.300,21 Euro. Abgesehen davon wäre die Tatsache, für einen Abgeordneten der DFP zu arbeiten, ein einziger Ritt auf den Wolken. Nie könne man sicher sein, ob die DFP, und in Folge ihre Mitarbeiter, morgen noch existierten. So schlecht sei das Auf und Ab der Wahlprognosen, auch wenn sich die Funktionäre dieser “Kleinstpartei” gerne selbst bejubelten, um von ihrem desolaten Zustand abzulenken.
Trotz seiner insgesamt stämmigen Statur saß Krümelputzer, er hatte endlich Platz genommen, nun wie ein Häufchen Elend vor Wettermacher. Die Schultern hatte er weitgehend eingezogen. Seine feuchten Hände kreisten unaufhörlich auf dem mit Milchglas überdeckten Besprechungstisch und hinterließen dort Spuren einer narkotisierten Ängstlichkeit. Jedenfalls wisse er gar nicht, sagte Krümelputzer dann, wie er Wettermacher sein derzeitiges Problem näherbringen könne. … Wahrscheinlich würde er es nicht einmal verstehen, deutete er an. – Schließlich sagte er: “Ich befinde mich zurzeit in einer von mir nicht lösbaren Klemme. Wenn ich da nicht rauskomme, werde ich wie das AMEN in der Kirche großen Schaden an meinem ohnehin bereits seelisch halbtoten Leib nehmen.”
Das waren klare Worte, doch Wettermacher hatte keinen blassen Schimmer, was Krümelputzer eigentlich von ihm wollte. Erst nachdem ihn Wettermacher mehrfach darum bat, genauer sein angebliches Dilemma zu beschreiben, rückte Sascha Krümelputzer mit der Sprache heraus. Friemler, sagte er dann voller Verbitterung, wolle ihn auf Teufel komm raus zu einem Humor-Seminar der Bundestagsverwaltung schicken. Er, Friemler, hätte Bundestagspräsident Lammert sogar geschrieben, dass er ihm ob des geplanten humoristischen Fortbildungsangebotes die Füße küssen könnte. “Das Seminar ist regelrecht auf Sie zugeschnitten, mein lieber Krümelputzer …”, habe er ihm dann gesagt. ” … Denn Sie müssen im Sinne der nachhaltigen Personalhygiene in meinem Büro dringend, und zwar für alle Ewigkeit, ihre Weinerlichkeit begraben. Aus diesem Grund gehen Sie da jetzt ohne Wenn und Aber hin.”
Dann zog Sascha Krümelputzer mit spitzen Fingern aus seiner schwarzen Kollegmappe das Corpus Delicti hervor und legte es Wettermacher schriftbildgerecht mit der Bemerkung vor, er möge sich dieses zunächst zu Gemüte führen.
Franz Wettermacher las mit aufgerissenen Augen auf dem mit dem deutschen Bundesadler geschmückten Kopfbogen des Bundestages, an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung als Hausmitteilung 110/2012 gerichtet: “Das ist nicht Ihr Ernst! – Workshop zum humorvollen Kommunizieren.”
Abgesehen davon, dass Wettermacher aufgefallen war, wie hochtrabend und weltfremd hierin vom Nutzen des Humors im Deutschen Bundestag gesprochen wurde, dass damit neue Herausforderungen verbunden wären und das stressfreie Miteinander gefördert werde, war ihm absolut unklar, wo die Beispiele für erfolgreich praktizierten Humor in der Verwaltung herkommen sollten. Denn darauf wollte das Seminar ja erklärtermaßen aufbauen. Kopfschüttelnd schaute er zu Krümelputzer hinüber und sagte: “Für was der Staat so alles Geld hat, wo sonst an allen Ecken und Enden gespart wird!”
Insgesamt aber schien er über das Seminarangebot mehr amüsiert zu sein.
Krümelputzer jedoch, das war Wettermacher sehr schnell klar, hatte tiefer gehende Probleme mit diesem Workshop. Schon als ihm die Einladung in die Mailbox flatterte, sei es ihm auf der Stelle schlecht geworden, versuchte Krümelputzer zu überzeugen. Humor sei das Allerletzte, was er jetzt gebrauchen könne. Schon gar nicht habe Humor in einem Abgeordnetenbüro etwas zu suchen, wo der Chef den ganzen Tag herumgrinse, nur weil er in jeder Hinsicht überfordert sei. Man könne den Eindruck gewinnen, Friemler nähme sein Mandat nicht verantwortungsvoll wahr. Das einzige, was Friemler perfekt beherrsche, sei, der Geldlobby den Hof zu machen und sich auf diesseitig organisierten Partys herumzutreiben. Noch keine seiner Reden, die er ihm geschrieben habe, sei je zum Vortrag gekommen, gab er zu bedenken. Entweder, weil seine Fraktionskollegen sie nicht hören wollten, oder, das wäre meistens der Fall gewesen, weil er in letzter Minute aus Angst vor einer Auseinandersetzung darüber mit den anderen Abgeordneten auf sein Rederecht verzichtet habe. Alles in allem habe er, Krümelputzer, in den ganzen Jahren im Bundestag so gut wie nicht gelacht, besser gesagt, betonte er, lachen können. Dafür aber hätte er in seinem Zweitleben als “aufrechter und an die Zukunft seiner Kinder denkender Staatsbürger” wegen der ganzen Unzulänglichkeiten des parlamentarischen Systems nicht selten weinen müssen. Nur ein einziges Mal habe er den glücklichsten aller seiner Glückszustände erlebt, in dem er gleichzeitig weinen und lachen konnte. – Das wäre erst kürzlich bei einem unerwarteten Anstieg der Wahlprognose für die DFP um knapp einen halben Prozentpunkt auf 3,101 gewesen. Inzwischen sei die Stimmung in der Partei, und damit in seinem, Friemlers Büro, so beschissen, dass er sich schon bei dem geringsten Anhaltspunkt, vielleicht doch noch einmal über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen, vor hoffnungsgeschwängerter Freude weinen müsse. Wenn jetzt Friemler versuche, ihn ins Humor-Seminar zu drücken, damit er später gute Stimmung zum bösen Spiel verbreite, würde er innerlich zerbrechen.
Obwohl Wettermacher Krümelputzer von seiner aus dessen Sicht übertriebenen Haltung zum geplanten Humor-Seminar herunterzubringen versuchte, erwartete dieser jedoch von Wettermacher, seinen Einfluss beim Bundestagspräsidenten dahingehend geltend zu machen, dass das Seminar ohne Wenn und Aber abgesetzt wird. Er gebe alles dafür, wenn er an diesem Seminar nicht teilnehmen müsse. Auf keinen Fall könne er es sich in seiner Freiheitspartei nach der von Friemler verordneten Pflichtteilnahme jedoch erlauben, einfach nicht hinzugehen. Dann wäre er den Job gleich los. Um keine Schuld und auch keinen Verdacht auf sich zu laden, ginge das insofern nur, wenn das Seminar komplett ausfiele. Ob er, Wettermacher, da vielleicht seinen Einfluss spielen lassen könnte, versuchte er ihn zu motivieren.
Wettermacher versprach daraufhin Krümelputzer, beim Bundestagspräsidenten in dieser Angelegenheit auf seine Art vorzusprechen. Dazu müsse er sich etwas einfallen lassen, denn so nahe stünde er Norbert Lammert nun auch wieder nicht, wenngleich sie per du seien. Vorgelassen würde er ohnehin nur deshalb, das müsse Krümelputzer klar sein, weil er im guten Einvernehmen mit der kritischen Presse dafür berüchtigt sei, dass er seine Meinung in der Öffentlichkeit stets ohne Rücksicht auf Verluste vortrage, was ganz und gar der volkstümlichen Meinung widerspräche, dass man im Leben nur mit Speichellecken vorankäme. Insofern käme ein Gespräch mit Lammert ohnehin nur zustande, wenn dieser sich selbst etwas davon verspräche; sei es auch nur, dass Wettermacher gnädig mit ihm umgehe.
Nachdem sich Wettermacher eine Strategie überlegt hatte, ließ er sich von seinem Sekretariat einen Termin bei Norbert Lammert organisieren, der auch bald stattfand.
Lammert und Wettermacher saßen sich sodann bei einem Glas stillem Wasser gegenüber.
Lammert fragte Wettermacher, um was es denn “schon wieder” gehe.
“Um Humor”, sagte der.
“Um Humor?”, lachte Lammert. “Das ist ja wohl ein Witz, mein lieber Wettermacher”.
“Mehr noch, Norbert: um eine Lachnummer, um ein Humor-Seminar im Deutschen Bundestag geht es!”
“Um ein Humor-Seminar?”
“Jawohl, ums humorvolle Kommunizieren’!”
Wettermacher kramte die zerknitterte Einladung an die Mitarbeiter des Bundestages aus der Tasche und legte sie Norbert Lammert auf den Tisch. Dieser überflog das Papier und feixte: “Von dieser Veranstaltung habe ich noch nichts gehört. Sie wurde augenscheinlich, jedenfalls geht das aus dem Briefbogen hervor, vom Fortbildungsreferat eigenständig organisiert. Außerdem kann Humor doch niemandem schaden, oder? Im Übrigen, was geht das denn eigentlich den Politikberater Wettermacher an?”
Da reichte es Wettermacher schon. Er war bis dorthinaus geladen. Denn was er ganz und gar nicht leiden konnte, war Überheblichkeit im Amt.
“Moment mal, Nobbes, Du Schrägschwätzer”, schoss er ihn an: “Mir es völlig egal, von wem, ob eigenständig oder angeordnet, in deinem Hause was organisiert wird. Du ganz alleine trägst die Verantwortung, wenn hier Mist gebaut wird. Das angekündigte Lachseminar ist in Wahrheit das Speibecken deiner Politverwaltung, der nichts mehr anderes einzufallen scheint, als auf Kosten der Steuerzahler einen derartigen Schrott zu verbraten. Dabei weißt du ganz genau, dass diese Veranstaltung dem hohen Anspruch deines Hauses nicht gerecht wird. Zum Weinen, ja zum Heulen ist das! Scheinbar hast du weder die Verwaltung im Griff noch das Parlament. Was deine interne Verwaltung anbelangt, hast du Glück, dass sie in der Öffentlichkeit nicht vorkommt. Sicher hat sie mit sich selbst genug zu tun, und kommt nur durch Hirngespinste, wie dieser Lachnummer, an die Oberfläche. Was aber so einige deiner dir von den Wählern anvertrauten Abgeordneten anbelangt, kann selbst ein professioneller Witzemacher nicht mehr lachen. Schau doch einmal nach, wo sie sich an Parlamentstagen so herumtreiben. In der Liveübertragung von Phönix ist ja vor allem zu sehen, was mangels Masse nicht stattfindet. Also meist nur gähnend leere Bänke! Von denen, die sich aufgerafft habe, damit du nicht alleine herumsitzt, hängen die meisten in ihren Stühlen herum, schwätzen, lesen Zeitung, telefonieren oder sind vor Langeweile schon eingeschlafen. Dass du Phönix nicht schon längst abgeschaltet hast, wundert mich ohnehin. Hier wird nämlich auf entlarvende Art und Weise der Niedergang der Demokratie in die Wohnzimmer der Republik getragen. Kein Wunder, dass die Politik- und Wahlverdrossenheit aus den Fugen gerät, wenn du diesen unter Schwindsucht leidenden Politzirkus, in dem mehr Menschen auf den Besucherrängen sitzen als Politdompteure in der Plenarmanege auch noch filmen lässt. Die Wähler wollen sehen, wo ihre Stimme geblieben ist, wie ihr euch um unser aller Zukunft fetzt. Nicht wie ihr albert, lacht und euch selbst Freude macht. Da kannst du mir hundert Mal erzählen, dass die Truppe in den Ausschüssen sitzt und sich dort den Hintern für uns aufreißt.
Was will ich damit sagen? Diese ganze Veranstaltung hier ist zum Weinen, zum Heulen, ja zum lebendigen Begraben werden. Und vermutlich, weil das so ist, willst du nun wenigstens die Mitarbeiter zum Lachen bringen, bis sie vor lauter Lachen vergessen haben, dass sie in den Deutschen Bundestag eigentlich zum Arbeiten gegangen sind.
Was heißt hier “Humor reduziert Leistungsdruck, senkt den Stresspegel, erzeugt eine entspannte Arbeitsatmosphäre und erweitert dadurch Handlungskompetenzen im Arbeitsalltag?”, wie es in der Einladung zu deinem Workshop steht.
Ich will ja gar nicht so weit gehen und dich auffordern, ‚Wein-Seminare’ zu veranstalten.
(Apropos: ‚Wein’ ist hier nicht zu verwechseln mit vergorenem Weinbeerensaft. Gemeint ist vielmehr die im Bundestag literweise vergossene Tränendrüsenflüssigkeit). Wein-Seminare – das wäre etwas, was für den Zustand im Bundestag als adäquat bezeichnet werden könnte! Dann könntest du dir zumindest eine Vorstellung darüber machen, wie viele der hoch qualifizierten Mitarbeiter im Bundestag vor lauter Langeweile weinen, weil sie nicht wissen, was ihre Abgeordneten wollen, vor allem nicht, wo sie hin wollen. Werde doch endlich einmal wach, Nobbes! Auch wenn manche Abgeordnete ihre Minibüros wie Ministerien verwalten, sind sie in vielen Fällen doch nichts anderes als Übungsfirmen, die ihre Bedeutung mit Einbildung verwechseln.
Wir brauchen also keine Lach-Seminare, die den Leistungsdruck reduzieren, den Stresspegel senken und die Arbeitsatmosphäre entspannen. Bei noch mehr Entspannung ist kein Abgeordneter mehr wach. Wir brauchen in erster Linie Seminare, die euch als Abgeordnete zielgerichtet hin zu den auf Entscheidung drängenden Themen der Zukunft führen. Nur infolgedessen werden sich auch die Mitarbeiter gefordert fühlen. Und dann kommt der Humor von ganz alleine und muss nicht von selbst ernannten Humoristen auf Kosten des Staatshaushaltes herbei gelacht werden
So und jetzt, Nobbes, gehe geschwind hin und sage das geplante Humor-Seminar ab, sonst sorge ich dafür, dass du als Witzfigur in die Geschichte des Deutschen Bundestages eingehst, du, du …”
Herzliche Grüße
von Lacher zu Lacher
Ihr
Joseph Dehler
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