“+++ Geringste Wahlbeteiligung im Norden seit den achtziger Jahren +++
[16.30 Uhr] Es ist ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD in Schleswig-Holstein, doch die Wähler interessiert die Abstimmung kaum: Bei der Landtagswahl im nördlichsten Bundesland zeichnet sich die niedrigste Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten ab. Bis 14 Uhr gingen nur 37,7 Prozent der 2,2 Millionen Wahlberechtigten an die Urnen. Seit den achtziger Jahren sei dies zur Mittagszeit der niedrigste Stand, sagte Landeswahlleiterin Manuela Söller-Winkler.”
Das meldete Spiegel online um 16 Uhr 30 in seinem Live-Ticker zur Wahl in Schleswig-Holstein. Die Überschrift des Spiegels ist freilich falsch. 40 Prozent der 2,4 Millionen Wahlberechtigten, 960.000 Menschen, sind nicht wählen gegangen. Mit 60 Prozent erreichte die Wahlbeteiligung in Schleswig-Holstein den niedrigsten Stand in der Nachkriegsgeschichte.
Wie sind vor diesem Hintergrund die ersten Reaktionen auf das Wahlergebnis zu beurteilen? Hier einige Stimmen, die in der Wahlberichterstattung des Deutschlandfunks übertragen wurden:
Andrea Nahles: “Es ist überhaupt nichts gescheitert…Ich bin jedenfalls zufrieden.”
Sigmar Gabriel: “Die SPD und die Grünen haben gewonnen.”
Monika Heinold (Grüne): “Wir freuen uns über unser Ergebnis.”
Torsten Albig (SPD): “Schwarz-Gelb ist wieder einmal abgewählt.”
Johannes Callsen (CDU): “Wir haben das Ergebnis erreicht, dass wir im Moment stärkste Partei sind.”
Wolfgang Kubicki (FDP): “”Wenn wir vor den Piraten liegen, was ja noch möglich ist, trinken wir bis der Arzt kommt.”
Dagegen wirken die Aussagen des Linken-Chefs Klaus Ernst schon fast wohltuend: “Das Ergebnis ist absolut enttäuschend. Daran gibt es nichts zu rütteln. Wir haben uns zu viel mit uns selbst beschäftigt. Wir haben die Piraten, die ein Protestpotenzial aufgreifen, das durchaus berechtigt ist.”
“Partei” der Nichtwähler gewinnt am meisten hinzu
Die meisten Wähler wanderten von allen Parteien – bis auf die der Piraten – zu den Nichtwählern. Eine erschreckende Bilanz, die die oben zitierten Reaktionen auf das Wahlergebnis ad absurdum führen und die weit verbreitete Parteienverdrossenheit – nicht Politikverdrossenheit – ein weiteres Mal nachvollziehbar macht.
Fehlende Streitpunkte im Wahlkampf = fehlende Mobilisierung?
Die berichtete vor der Wahl: “Bis zum Ende blieb der Wahlkampf arm an echten Streitpunkten.” Offensichtlich hatten CDU, SPD, Grüne, FDP und Linke ein Mobilisierungsproblem. Interessant in diesem Zusammenhang ist diese Aussage des SPD-Spitzenkandidaten Torsten Albig, unmittelbar nach der ersten Prognose nach Schließung der Wahllokale: “Das ist ein Ergebnis, das nicht das wiederspiegelt, was wir in diesem Land erlebt haben, was wir vermittelt bekommen haben.” Müssten er und seine Partei sich nicht vielmehr spätestens jetzt die Frage stellen, ob sie denn richtig hingeschaut und hingehört haben, und ob bei dem, was sie “in diesem Land erlebt haben” vielleicht nicht viele Stimmen fehlten, die schon lange aufgegeben haben, sich Gehör zu verschaffen? Ist diese Wahrnehmung, die auch den anderen Politikern eigen ist, nicht Ausdruck einer enormen Selbsttäuschung?
Wirtschaft und Gesellschaft hat am Freitag, unmittelbar vor der Wahl also, einen offenen Brief an Torsten Albig gesendet, in dem unter anderem vor einer niedrigen Wahlbeteiligung gewarnt und auch auf die vielen an den Rand gedrängten hingewiesen wurde, die vielleicht noch mit einem Thema wie Hartz IV mobilisiert werden könnten. Wir erhielten daraufhin die Antwort, dass Torsten Albig diesen offenen Brief erst nach der Wahl beantworten könne, weil im “Endspurt des Wahlkampfes”. Ein großes Missverständnis, denn eben auf diesen war ja der Inhalt des Briefes gerichtet.
Wie Wahlen wirklich gewonnen werden können
Eine Wahlniederlage bzw. ein enttäuschendes Ergebnis kann auch die Grundlage für zukünftige Wahlsiege bilden. Voraussetzung dafür aber ist, dass sich die Verantwortlichen zunächst selbst ent-täuschen und wieder eine Politik formulieren, die sich der Menschen annimmt, auch bzw. vor allem derer, die sich schon lange nicht mehr Gehör verschaffen – die Nichtwähler.
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