Nehmen wir Finanzminister Schäuble. Gerade erst hat er Griechenland wieder behandelt wie seinen ehemaligen Pressesprecher; zur Erinnerung an letzteren siehe hier:
Wie schade, empfand ich, als ich dieses Video sah, in diesem Moment nicht Schäubles Pressesprecher gewesen zu sein. Denn zu so einer Erniedrigung gehören freilich immer zwei. Und ich wüsste schon, was ich dem Finanzminister vor den versammelten Journalisten entgegnet hätte. Nun gut. Das ist im Grunde genommen nichts besonderes. Man darf eben bloß nicht den Charakter haben, den Heinrich Böll gegenüber Kurt Vonnegut in ein Wort zu fassen wusste:
Vonnegut: “What´s the main character of Germans?” Böll: “Obedience.”
Sagte mir doch beispielsweise einmal ein ehemaliger Chef am Telefon: “Sie müssen mal an ihrer sozialen Kompetenz arbeiten.” Meine sofortige Antwort: “Ich glaube nicht, dass ich in dieser Hinsicht irgendetwas von Ihnen lernen kann.” Seine Reaktion: Auflegen des Telefonhörers. Bravo! Später meinte er mir dann noch sagen zu dürfen: “Selbst wenn ich Ihnen so etwas sage, dürfen Sie mir so etwas nicht sagen.” Womit er mich ja nur in meiner ersten Aussage bestätigte. Wirklich! Nicht erfunden. Da hab selbst ich zunächst gestaunt und geschwiegen. Und das will schon etwas heißen.
Und geht es nicht auch um soziale Kompetenz und Unterordnung (obedience) im Fall der Eurokrise. Die ökonomischen Grundlagen für das Funktionieren einer Währungsunion sind ja nun wirklich zur Genüge abgegrast – wenn sie auch “Ökonomen” wie Hans Werner Sinn bis heute nicht verstanden haben, oder, wenn sie sie verstanden haben, sich einen Teufel darum scheren. Das durfte ich mir vor kurzer Zeit noch einmal von ihm demonstrieren lassen, als Sinn es – nur darauf konzentriert, dass Ende Griechenlands in der Eurozone herbeizuschwatzen – in einem Streitgespräch mit Ursula Engelen-Kefer bis zum bitteren Ende nicht vollbrachte, die zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Währungsunion auch nur zu erwähnen: eine gemeinsame Inflationsrate. Wer das nicht weiß, muss natürlich zur schrägen These greifen: “Die Länder haben durch billigen Kredit Wettbewerbsfähigkeit verloren”, so Sinn – und nicht etwa durch deutsches Lohndumping und entsprechendes Unterschreiten des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent. Sinn: “Die Länder sind so teuer geworden, dass es keine Chance gibt, je wieder auf einen grünen Zweig zu kommen.” Wohl an, wer dazu etwas lesen möchte schaue hier oder blättere etwas in Wirtschaft und Gesellschaft.
Zurück zu Schäuble. Hier lohnt es sich nun wirklich einmal aus der Bild-Zeitung zu zitieren:
“Schäuble sagte ´Bild am Sonntag´, es müsse jetzt ´die wichtigste Aufgabe´der neuen Regierung von Ministerpräsident Antonis Samaras sein, ´schnell, umgehend und ohne zu zögern das vereinbarte Programm umzusetzen anstatt schon wieder zu fragen, was denn die anderen noch mehr tun könnten´. ´Der Ball liegt bei den Griechen, sie haben es in der Hand, dass die Bürger Europas wieder Vertrauen schöpfen können.”
Nach den Wahlen (in Griechenland) ist anscheinend doch vor den Wahlen. Direkt vor den Wahlen hätte Schäuble es sich sicherlich nicht getraut, sein krudes und überhebliches Gedankengut so offen auszusprechen. Galt es da doch mit allen Kräften den Sozialisten Tsipras zu verhindern. Ein lupenreiner Demokrat unser Finanzminister? So wie Schäuble seinen Pressesprecher in der Öffentlichkeit anfuhr, dass er doch gefälligst die benötigten Unterlagen holen solle, und ihn erniedrigte, so verfährt er jetzt gegen die Griechen. Vor diesem Hintergrund muss man es einmal so deutlich schreiben: Schäuble ist eine autoritäre und leider auch ziemlich dumme und unbelehrbare Figur im Politikbetrieb. Er kanzelt ab, er berücksichtigt nicht die soziale Not in Griechenland und anderen Staaten, die unter der maßgeblich von der deutschen Bundesregierung oktroyierten Spardoktrin in die Knie gehen, und er zeigt sich unbeeindruckt von den Ergebnissen seiner Politik.
Noch schlimmer ist: Er steht damit nicht allein! Im Gegenteil: Schauten die etablierten Medien für einen kurzen Augenblick dumm aus der Wäsche oder schwiegen gleich ganz, als laut wurde, dass ein 130 Milliarden Ausgabenprogramm beschlossen werden soll, so sind sie jetzt wieder zurück: Die Zeit zum Beispiel, die nicht etwa schreibt, dass die neue griechische Regierung die Sparauflagen neu verhandeln möchte; nein, “die neue griechische Regierung pokert um die Sparauflagen.”
Da schreibt selbst die BILD-Zeitung sachlicher und kompetenter. Ein Geburtstagsgeschenk der Zeit zu 60 Jahren Bild, diese in Inhalt und Sprache noch zu unterbieten? Wohl eher Ausdruck des journalistischen und zerebralen Niedergangs dieser Wochenzeitung – und, man muss es wohl so sehen, ihrer Leserschaft. Unterhalten Sie sich – sofern selbst kein regelmäßiger Zeit-Leser und gegenüber ökonomische Alternativen zur deutschen Spardoktrin aufgeschlossen – doch mal mit einem Abonnenten der Zeit über die Eurokrise!
Soziale Inkompetenz zeigt auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, der, anders als die griechische Regierung zu seinem – nicht zu unserem – Glück ja auch nicht vom Volk gewählt ist. Weil sie gerade ihren sechzigsten Geburtstag feiert, zitieren wir noch einmal die BILD:
“Man muss berücksichtigen, dass mehr Flexibilität bei der zeitlichen Umsetzung auch mehr finanzielle Anstrengungen der Mitgliedsländer bedeutet´, sagte Van Rompuy der ´Welt am Sonntag”.
Wie kann ein Mensch EU-Ratspräsident sein und auch noch Vorsitzender des Euro-Gipfels, der ganz offensichtlich ohne Blick auf die ökonomischen und sozialen Folgen der EU-Politik in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und anderen Staaten an die europäischen Mitgliedsländer appelliert, nur dann weitere finanzielle Anstrengungen zu unternehmen, wenn die EU ihre zerstörerische Sparpolitik fortsetzen darf und die betroffenen Länder entsprechend spuren – wie Schäuble eben zu seinem Pressesprecher? Zur Erinnerung:
“Der Präsident des Europäischen Rates”, so heißt es in Art. 15 des EU-Vertrags, “wirkt darauf hin, dass Zusammenhalt und Konsens im Europäischen Rat gefördert werden.”
Rompuy hat Anfang der 70er Jahre einen Master in Betriebswirtschaftslehre gemacht. Vielleicht meint er ja die EU wie einen Betrieb Anno dazumal führen zu dürfen.
Natürlich darf auch eine deutsche Wirtschaftsweise bei dieser antieuropäischen und anti- bzw. asozialen Stimmungsmache nicht fehlen. Claudia Buch: “Die Tübinger Professorin bezeichnete die Einkommen in Griechenland als zu hoch im Vergleich zur derzeitigen Leistung der griechischen Wirtschaft. ´Die Strukturreformen sind schmerzhaft für die griechische Bevölkerung. Aber sie müssen so oder so kommen, damit die Wirtschaft zukünftig wachsen kann´, sagte sie der ´Südwest Presse”. Bei solch einer “Beratung” liegt es natürlich nahe, dass auch die Kanzlerin bisher “eine Lockerung” der Auflagen ablehnt, wie der Spiegel berichtet.
Vielleicht aber haben die Proteste in Rom, über denen der Vierergipfel in einer feinen Villa schwebte und ein Ausgabenprogramm von 130 Milliarden herausschwitzte, die Kanzlerin ja aber bereits doch etwas zum Nachdenken gebracht. Vielleicht. Bei der “Opposition” scheinen es tatsächlich nur die realen Verhältnisse, der aus ihnen wachsende Widerstand in der Bevölkerung und die unter Katastrophen doch bereits schon einmal umschwenkende Kanzlerin zu sein, die den entgültigen Zerfall der Eurozone doch noch aufhalten könnten.
Ansonsten gilt weiterhin das hier geschrieben und gesungene:
Die Geschichte zum Lied unten: Kein Lied vor dem Haus der Kanzlerin
Das Lied zur bzw. gegen die Eurokrise:
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