Hat Merkel tatsächlich verstanden? – Wie gut für Europa! – Wie peinlich für SPD und GRÜNE!

Nimmt man die enttäuschten Gesichter, die aus der Berichterstattung von Spiegel online dumm aus der Wäsche bzw. aus den Zeilen schauen, scheint die Kehrtwende da. Es wird endlich Geld ausgegeben werden – und zwar in die reale Wirtschaft investiert, nicht an Banken ausgeschüttet! Auch die FAZ scheint von dieser Nachricht nicht eben beglückt. Süddeutsche online ist dies bisher gar nicht erst eine Schlagzeile wert. “Die vier größten Volkswirtschaften der Europäischen Union wollen ein Wachstumspaket von rund 130 Milliarden Euro auflegen”, berichtet der Deutschlandfunk zuerst in seinen 17-Uhr-Nachrichten. In den 21-Uhr-Nachrichten des Deutschlandfunks heißt es dann: “Mit einem 130-Milliarden-Europaket wollen die vier stärksten Volkswirtschaften der Euro-Zone für mehr Wachstum und Beschäftigung in der EU sorgen.”

Am 12. Juni war an dieser Stelle zu lesen: 100 Milliarden für direkte Investitionen – und die Banken wären mit gerettet:

“Was würde nun passieren, würden die Staaten, statt den Banken mit weiteren Milliarden direkt unter die Arme zu greifen, dieses Geld gezielt in Investitionsprojekte in den Krisenländern, aber auch hierzulande fließen lassen? Mit Sicherheit liegen genügend fertige Investitionsprojekte in den Schubladen. Man denke nur hierzulande an die Energiewende oder die Milliarden Investitionsrückstände in den Kommunen. Was letzteres mit Griechenland, Portugal, Spanien und Italien zu tun hat? Eine ganze Menge. Denn würden hier dringend notwendige Investitionen in Angriff genommen, würden Beschäftigung und Einkommen steigen – hier ausnahmsweise einmal die Einkommen der wirklich arbeitenden Bevölkerung und nicht die der Spekulanten.

Es besteht kein Zweifel, dass ein Teil dieser Einkommen sich auch als Nachfrage auf die Krisenländer richten würde. Gewinnaussichten und Geschäftstätigkeit der dort ansässigen Unternehmen würden sich ebenfalls verbessern und, weil diese damit auch wieder in die Lage versetzt würden, ihre Kredite zu bedienen und neue aufzunehmen, entsprechend auch die Situation der Banken. Ebenfalls würden in Folge die Staatshaushalte ausgeglichen, denn die Ausgaben für Arbeitslosigkeit würden sinken und die Einnahmen durch die erhöhte Geschäftstätigkeit der Unternehmen und die positive Einkommenentwicklung der privaten Haushalte steigen. Bonität und Rentabilität aller Kreditnehmer würden sich verbessern – und mit ihnen die Kreditkonditionen. Damit würde auch den Spekulanten das Wasser abgegraben, die die Zinsen für Staatspapiere in die Höhe treiben und damit jede wirtschaftliche Erholung und den öffentlichen Schuldenabbau unmöglich machen.”

Am 21. Dezember 2011 lautete die Überschrift: Sensation: Europäische Zentralbank leiht klammen Kommunen, Ländern, Handwerksbetrieben und Privatpersonen Geld für 1 % Zinsen:

“Man stelle sich also einmal vor, die EZB würde zu diesen Konditionen Geld direkt an klamme Kommunen, Länder, Handwerksbetriebe und Privatpersonen verleihen. Die Eurokrise wäre vermutlich prompt aus der Welt.

Ein Nachfrageboom sondergleichen würde in Deutschland Platz greifen. Nachfrage, von der auch die anderen Länder der Eurozone und darüber hinaus profitieren dürften. Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse gingen durch steigende Einfuhren aus dem Ausland zurück, die Defizite der anderen durch steigende Exporte.”

Gewiss, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Wenn aber nun die Kanzlerin tatsächlich – aus welchen Beweggründen auch immer – verstanden hat und die Europäer Geld in nennenswerten Umfang in die Hand nehmen und in konkrete Investitionsprojekte stecken, wäre das eine zentrale Wende in der Krisenpolitik. Der Wahn, sich aus der Krise “heraussparen” zu können, oder gar, wie es der “Ökonom” Klaus Abberger vom Ifo-Insitut im Oktober 2011 auf der Pressekonferenz der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute proklamierte, “herausschrumpfen” zu müssen, wäre zumindest gebrochen. Das gilt freilich nur, wenn nicht an anderer Stelle per Saldo weiter gespart wird.

Die Größenordnung von 130 Milliarden ist durchaus Erfolg versprechend – wenn vielleicht auch immer noch nicht ausreichend. 2008 hatte die damalige Bundesregierung sich dazu durchgerungen, der deutschen Wirtschaft mit einem Konjunkturpaket von 30 Mrd. Euro für die Jahre 2009/2010 auf die Beine zu helfen. Bereits 2009 wurde ein zweites Konjunkturpaket aufgelegt, dass für die Jahre 2009/2010 zusätzliche Mittel mit einem Volumen von 50 Mrd. Euro vorsah. Die KfW bescheinigte den damaligen Konjunkturprogrammen eine zielgerichtete Wirksamkeit. Die ersten 30 Mrd. waren, gemessen am Sozialprodukt, ein vergleichbarer Impuls wie die jetzt ins Gespräch gebrachten 130 Mrd. für die Eurozone. Es kann also gut sein, dass noch einmal – wie damals in der Bundesrepublik 2009 – nachgelegt werden muss. Außerdem ist eine zentrale Voraussetzung, dass die Ausgaben auch auf den Ausgleich der Leistungsbilanzungleichgewichte zielen bzw. diese parallel durch eine angemessene Lohnentwicklung ins Lot gebracht werden, um einen nachhaltigen – von der deutschen Regierung bis heute mit allen Mitteln ausgeblendeten – Krisenfaktor aus der Welt zu schaffen.

Gleichzeitig sind, sollte sich die Nachricht über das Ausgabenprogramm von 130 Milliarden tatsächlich materialisieren, die Spitzen von SPD und GRÜNEN bis auf die Knochen blamiert, weil sie sich bis heute nicht von der Sparideologie verabschiedet haben – die SPD vor allem, weil sie Angst hat, von den Medien als Schuldenpartei an den Pranger gestellt zu werden, und wohl auch, weil GRÜNE und SPD sich bis heute der zentralen gesamtwirtschaftlichen Logik versperren. Von SPD-Chef Gabriel war noch gestern zu lesen, dass er an der Höhe der Sparauflagen nicht rütteln wolle. Dann die peinliche Einigung der Spitzen von SPD und GRÜNEN mit der Bundesregierung auf den Fiskalpakt, dessen Verabschiedung nun zunächst durch Verfassungsgericht und Bundespräsident verzögert wurde.

Wenn es jetzt die Kanzlerin begriffen hat, muss man das anerkennen. Entscheidend ist in diesem Fall nicht wer es tut, sondern, dass ein Umdenken stattfindet und dieses auch in praktische Politik umgesetzt wird. Angela Merkel hat schon einmal nach einer Katastrophe eine radikale Kehrtwende vollzogen, als sie nach Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie beschloss. Nicht ausgeschlossen also, dass sie nach der ökonomischen und sozialen Katastrophe, die durch die besonders von ihr oktroyierte Spardoktrin immer mehr Länder erfasste, nun unter dem Druck der Verhältnisse auch hier eine Kehrtwende vollzieht. Hollande wird sich wiederum gedacht haben, nachdem die SPD ihn mit der Einigung zum Fiskalpakt hat im Regen stehen lassen: Dann muss ich es eben mit der Kanzlerin machen.


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