Berlin/Kempten/Überall. Bereits in der sechsten Generation geben sich die Malochers voll und ganz dem Erdboden hin. Richi Malocher, der Ururururenkel von Alois Malocher, Gründer der Firma “Malocher Erdaushub”, feierte gerade sein fünfzigjähriges Arbeitsjubiläum als Ausschachter. So lange hat er sich schon in Gruben, Gräben, Kanälen und Kellern mit Ausgraben, Ausschaufeln, Ausheben, Ausstechen, Aushöhlen, Auskratzen, Ausbetten und Auswerfen, wie das Aushubgewerbe die Einzelgewerke benennt, herumgeplagt.
Seitdem die Malochers einen Bagger haben, durfte er endlich auch ausbaggern. Tausende von Tonnen Erdreich hat Richie nun in seinem Leben schon bewegt. Noch heute arbeitet er mit dem von seinem Vater Eduard Malocher 1988 angeschafften 40 Tonnen schweren DEMAG-Umschlagbagger mit einem 8-Zylinder/180-PS-DEUTZ-Motor und 360° drehbarem Aufbau. Der hatte letzten Monat sein dreizehntausendstes Betriebsstundenjubiläum vollbracht. Das war für die Malochers Anlass genug, einmal ordentlich ihren Berufstand zu feiern.
Obwohl das “gute Pferd”, wie Richi seinen Kettenbagger nennt, noch keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigte, wollte ihn sein Sohn Freddy jetzt für 19.000 Euro verhökern. Der nämlich hatte ihn heimlich bei eBay zum Verkauf angeboten und bereits einen Käufer gefunden. Gegen das Ansinnen seines Sohnes wandte sich Richi Malocher jedoch mit Händen und Füßen. Der Verkauf des Baggers, hatte er ihm zu verstehen gegeben, käme für ihn genauso wenig in Betracht wie sich sein Schwippschwager niemals freiwillig von seiner 24 Jahre alten Kuh Sonja mit einer bis jetzt 60.000-kg-Milch-Lebensleistung zu trennen bereit wäre. Auch wenn er selbst jetzt bald ins Rentenalter “hinübergeht”.
Seinem Sohn Freddy hatte Richi Malocher in diesem Zusammenhang klar und deutlich mitgeteilt: “Es wird weiter gebaggert, bis die letzte Erdkrume ihren Geist aufgegeben hat.” Ihm rechnete er auch immer wieder vor, wie viele Tonnen Erdreich er in seinem Leben alleine mit seinen tellergroßen, schwieligen Händen zutage gefördert habe. Und wie viel Liter Spucke er produzieren musste, um stets eine rutschfeste Verbindung zu seinen vielen Spaten und Schippen, die ihn sein Leben lang begleiteten, zu garantieren. Ein Güllewagen davon würde nicht ausreichen, erzählte er dem staunenden Freddy voller Stolz, während dieser schon mit dem Gedanken spielte, sich in ein leichteres Leben davonzustehlen. Politiker würde er gerne werden, hatte er dem Vater immer wieder vorgeschwärmt. Da bräuchte er beim “Spatenstich” mit Schlips und Kragen im Blitzlichtgewitter der Presse nur so zu tun, als würde er arbeiten. Neuerdings wäre nicht einmal mehr das Spatenstechen per Hand nötig, nachdem dieses immer mehr mit dem Bagger vollzogen würde, um zur Verbesserung des eigenen Image eine noch größere Aufmerksamkeit, auch gewaltigere Fotos, in der Presse zu erhaschen. Zu seinem Vorteil gegenüber so manchen Mitbewerbern, z. B. bei einer möglichen Kandidatur zum Bürgermeister oder gar zum Minister, könnte er ganz gelassen seinen Baggerführerschein in die Waagschale werfen, während die anderen Kandidaten erst einmal auf dem Männerspielplatz im saarländischen Diefflen für 159 Euro die Stunde auf einem Caterpillar Kettenbagger den Baggerspatenstich erlernen müssten. Auf diese und andere Weise versuchte Freddy seinen Vater immer wieder vom Vorteil eines wesentlich bequemeren Lebens als Politiker zu überzeugen, selbst wenn dabei die Tradition seines Handwerks hops ginge.
Als jetzt Freddy anlässlich des Versuchs, klammheimlich den Bagger zu verkaufen, um einen anderen, “ehrenvolleren”, wie er meinte, Berufsweg einzuschlagen, nämlich Politiker zu werden, nahm ihn sich Richi Malocher voll zur Brust: Er, Freddy, solle auf “dem Teppich bleiben” und seiner Familie, anstatt ihnen irgendwelche Hirngespinste aus der heilen Welt der Politik vorzugaukeln, lieber alle Ehre seines nun in der sechsten Generation währenden Erdaushubgewerbes zollen.
“Merke dir, mein Junge”, kam er im Ton wieder etwas herunter, “solange du die Schippe oder den Spa-ten in der Hand hältst, bist du unbestechlich.” In der heutigen Zeit des Kungels auf breiter Front sei es vor allem wichtig, sich auf allen seinen Wegen eine klare Haltung zu seinem erlernten Beruf und zum Leben zu bewahren. Das könne man am allerbesten, indem man an die Kraft seiner eigenen Hände glaube und auf diesen baue. Geschickte Hände seien mehr wert, als sich kopfüber mit ungewissem Ausgang in die Höhle des oft luftleeren Raumes der Politik zu werfen.
Diesbezüglich hatte Richi Malocher im Verband der Erdausheber, dessen Kreisvorsitzender er bis vor Kurzem war, auch immer wieder die publikumsgesteuerte Spatenhysterie der Politiker scharf kritisiert, weil diese auf die nachfolgenden Generationen der Erdausheber auf übelste Art verniedlichend wirke. – Mit der Folge, dass diese sich zunehmend von der professionellen Spatenstecherei abwenden würden. Im Übrigen sei es eine Sünde und Schande, schon gar nicht vorbildhaft, hatte er auf die Politik geschimpft, wenn sie durch ihre “lockerleichten Spaten-Spielchen” eine ganze Generation von Ausschachtern in Verruf des “Kann-ja-jeder-Jobs” brächte. Er könne es nicht mehr ab, hatte er kürzlich dem Bürgermeister seiner Heimatstadt gesagt, wenn heute jeder Depp beim Bau der kleinsten Hundehütte den Spaten in die Kameras halten würde. Anlass für seine Kritik war die Grundsteinlegung für einen Meerschweinchen-Stall im städtischen Kindergarten, wohin er gleich acht nagelneue Teleskop-Spaten, auf jede Körpergröße ein-stellbar, liefern musste. Dabei konnte er den Bürgermeister gerade noch davon abhalten, seinen Bagger mitbringen zu sollen.
Jetzt, wo der deutsche Oberspatenstecher Joachim Herrmann, seines Zeichens bayerischer Innenminister (CSU), beim Spatenstich in Kempten einen 40-Tonnen-Bagger neuester Bauart umwarf und dabei eingekeilt wurde, hatte Richi Malocher fertig. Er schrieb einen offenen Brief an “alle Spaten stechenden Politiker Deutschlands” und ließ diesen über seinen Verband an sämtliche Presseorgane in Deutschland verteilen.
“Moment mal” schrieb er darin, “hört mal zu, Ihr Spaten besessenen Politiker und Amtsträger aller Klassen: Von Eurem Spatenwahn habe ich endgültig die Schnauze voll. Habt Ihr eigentlich noch alle Tassen im Schrank, bei jedem Pups-Projekt Euren blitzblank geputzten Spaten aus dem Safe zu holen, ein paar Erdkrümel aufzuladen und diese dann vor den Kameras breitmäulig grinsend in die Luft zu werfen. Euch möchte ich sehen, wenn Ihr nur einen Kubikmeter Erde mit Euren Bleistifthalterhändchen ausheben müsstet. Schon bei der zehnten Spatenladung würden sich die meisten von Euch flachlegen. Ihr habt wohl nichts im Kopf, als die große Show zu machen, ja einmal den Malocher zu spielen und so den Menschen vorzugaukeln, als hättet Ihr irgendeine Ahnung von der wirklichen Hände Arbeit. Kein Mittel ist Euch gut genug, Euch in aller Öffentlichkeit als volksnahe Politiker zu prostituieren.
Oder hat jemand von Euch schon einmal einen Spatenstich ohne Presse und Fotograf absolviert? Jetzt steigt Ihr schon auf die Bagger, um Euch ins Scheinwerferlicht zu rücken. Ihr solltet Euch schämen!
Nachdem nun der großbayerische Spatenfanatiker, Innenminister Herrmann, einen 40 Tonnen schweren Bagger umgeworfen hat und sich dabei im feinen Zwirn beinahe selbst erledigt hätte, müsstet Ihr doch endlich einmal wach werden, und mit diesem Schwachsinn der Spatenstecherei auf Kosten der Steuerzahler aufhören. Was mir vor allem stinkt, ist die zunehmende Anzahl von Spatenstechern auf einem Haufen. Alleine die Millionen Politikerspaten, die die meiste Zeit ungenutzt herumstehen, sind eine Ressourcenverschwendung ersten Ranges. Das ist so, wie wenn ich mir eine 550-W-Bohrmaschine kaufte und damit jedes Jahr nur ein einziges Loch bohrte. Hatte früher einmal ein einziger Repräsentant einen Spaten in die Erde zu drücken versucht, stehen heute ganze Truppen von Spatenstechern in Reih und Glied nebeneinander, um ihre Wichtigkeit für etwas zu betonen, was in Wahrheit andere vollbringen. Wie beim Spaten-stich mit dem Spaten, ist Euch e i n Bagger inzwischen ja auch schon nicht mehr genug: Ganze Kolonnen fahren mittlerweile auf, um den Grundstein für einen Friedhof zu legen, vor allem aber Eure Darstellungsbedürfnisse zu befriedigen. Ich sehe schon kommen, wie Ihr Euch auf diese Weise eines Tages mit der Baggerschaufel selber die Birne einhaut, bevor euch die Wähler ob dieses Unsinns eins auf die Mütze geben. Dabei ist es letzten Endes gleichgültig, ob Ihr die Erdkrumen mit den Händen, dem Sandschippchen, dem Spaten oder dem Bagger aufnehmt.
Viel schlimmer aber ist, und das ist der eigentliche Anlass meines offenen Briefes an Euch, dass Ihr unserem Ausschachter-Nachwuchs die heile Welt des Spatens vorgaukelt, und nun viele von Ihnen, darunter auch mein eigener Sohn, davon träumen, Politiker zu werden. Sonst redet Ihr permanent von der Bedeutung des unternehmerischen Nachwuchses und fördert Existenzgründungen. Hier jedoch treibt Ihr mit dem schlechten Vorbild Eurer Spatenstecherei die ganze Tradition der Ausschachter den Bach hinunter. Damit das endlich ein Ende hat, werft ganz schnell Eure Spaten weg, sonst werdet Ihr eines Tages nur noch Ausschachter und Baggerfahrer in den Parlamenten und Ämtern haben. Damit wäre niemandem gedient: Ihr wäret dann zuhauf nicht mehr in Amt und Würden, und da draußen wäre kein Mensch mehr, der wirklich ausgräbt, ausschaufelt, aushebt, aussticht, aushöhlt, auskratzt, ausbettet und auswirft; höchstens noch die Letzten von Euch aus den Parlamenten und Ämtern wirft. Verstanden, Ihr, Ihr …?
Herzliche Grüße
von Spatenstecher zu Spatenstecher
Ihr
Joseph Dehler
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