Rentenreform im Schatten der Finanzkrisen – Ein Gastbeitrag von Ursula Engelen-Kefer

Ursula Engelen-Kefer

Bei den eskalierenden Finanzkrisen in der Europäischen Union geraten wesentliche innenpolitische Probleme in den Hintergrund. Dies gilt auch für die längst überfällige Rentenreform.

Bereits Ende letzten Jahres hatte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen mit großem Öffentlichkeitswirbel den Rentendialog mit den betroffenen Verbänden zur Bekämpfung der Altersarmut begonnen. Anfang 2012 legte sie einen Gesetzentwurf zur Anerkennung der Lebensleistung bei den Rentenleistungen vor, der im April vom Bundeskabinett hätte beschlossen werden sollen. Herzstück ist die Zuschuss Rente für langjährig Versicherte Geringverdiener von 850 Euro im Monat. Bis heute liegt dieses „Lebensleistungsanerkennungsgesetz“ auf Eis.

Für die Bundesarbeitsministerin dürfte dies eine Erleichterung sein. Ihr Gesetzentwurf steht von allen Seiten unter Beschuss: Gewerkschaften und Sozialverbände kritisieren zu Recht, dass damit weder die Altersarmut bekämpft, noch die Lebensleistungen anerkannt wird; die Arbeitgeber beklagen zusätzliche Kosten.

Herausforderung für die SPD

Für die SPD ist diese offene Flanke der Bundesregierung eine große Herausforderung und Chance, ihr Engagement und ihre Kompetenz für die Millionen betroffenen Menschen und die gesetzliche Rentenversicherung zu schärfen. Hierbei muss sie vor allem inhaltlich überzeugende Konzepte anbieten. Dabei ist ein ständiger Balanceakt zu vollziehen: Weder dürfen die Beitragszahler überfordert, noch die Rentenleistungen so drastisch abgesenkt werden, wie vorgesehen. Die gesetzliche Altersrente muss auch in Zukunft nicht nur vor Altersarmut schützen, sondern einen ausreichenden Lebensstandard ermöglichen – als Gegenleistung für die Zahlung von Beiträgen und Steuern während des Arbeitslebens. Dabei sind derartige Risiken wie Arbeitslosigkeit, Erwerbsminderung, Niedriglöhne, aber auch Ausfallzeiten bei Beschäftigung und Einkommen – insbesondere Kindererziehung und Pflege -finanziell auszugleichen. Empfehlenswert wäre, wenn die SPD dies nicht – wie bisher- als „geheime Kommandosache“ im kleinen Zirkel vorbereitet, sondern die erforderliche Transparenz innerhalb und außerhalb der Partei ermöglicht. Wenig hilfreich ist der mediale Schlagabtausch, wer sich beim „Führungs-Trio“ durchsetzt und somit der Eindruck, dass die Zukunft der Renten und Rentner „stellvertretend“ für die persönliche Profilierung genutzt wird.

Derzeit sind die finanziellen Rahmenbedingungen so günstig, wie selten zuvor. Auch infolge der guten Entwicklung in Wirtschaft und Beschäftigung konnte die gesetzliche Rentenversicherung Bund (GRV) Überschüsse von inzwischen über 25 Mrd. Euro erzielen, die weiterhin anwachsen.

Allerdings hat die Bundesregierung mit festem Blick auf das Wahljahr 2013 und mit dem Gesetz im Rücken bereits beschlossen, die Beiträge in mehreren Stufen von jetzt 19,6 bis auf 19,0 Prozent zu senken. Die SPD muss ein derartiges finanzielles Ausbluten der gesetzlichen Rentenversicherung verhindern. Dies wird von den Gewerkschaften und Sozialverbänden mit konkreten Vorschlägen zur Bekämpfung der Altersarmut massiv unterstützt.

Inzwischen kommen auch aus den Reihen der CDU Vorschläge zum Aufbau einer Rücklage für konjunkturell und demographisch bedingte zusätzliche Belastungen. Die SPD muss sich an die Spitze der politischen Kräfte stellen, die stabilen Beiträgen und armutsfesten, existenzsichernden Renten den Vorzug vor einer „Tal- und Bergfahrt“ bei den Beiträgen geben.

Bekämpfung der Altersarmut bleibt auf der politischen Agenda

Die Rentensteigerungen in diesem Jahr von 2,26 Prozent im Westen und 2,18 Prozent im Osten reichen gerade einmal aus, die Preissteigerungen auszugleichen. Infolge der Erhöhung der Ausgaben für die Gesundheitsversorgung und die Pflegeversicherung wird allerdings kaum etwas im Portemonnaie der Rentner übrig bleiben. Schon heute beträgt bei einem Rentenniveau von 51 Prozent die Durchschnittsrente für Männer im Westen 857 Euro und im Osten 878 Euro. Für Frauen sind die Durchschnittsrenten noch erheblich niedriger: 479 Euro im Westen und 683 Euro im Osten. Bis 2030 wird das Rentenniveau dramatisch auf 43 Prozent sinken. Viele Arbeitnehmer werden die notwendigen Beschäftigungszeiten und Einkommen für eine gesetzliche Altersrente oberhalb der Armutsgrenze daher nicht mehr erreichen. Gerade sie sind am wenigsten in der Lage, die hochgespannten Hürden für die Zuschussrente a la von der Leyen zu überwinden.

Die Bekämpfung der Altersarmut erfordert umfassende Maßnahmen. Entscheidend ist die Anhebung von Rentenniveau und Rentenleistungen. Genauso notwendig ist die Verbesserung der Erwerbsminderungsrenten- insbesondere durch Streichung der Abschläge bei Beginn der Erwerbsminderung vor dem 60. Lebensjahr. Schließlich ist dies ein schwerer Schicksalsschlag, der nicht auch noch durch Kürzungen der kargen Erwerbsminderungsrenten bestraft werden darf. Für Geringverdiener müssen sowohl ausreichende Beiträge bei Arbeitslosigkeit wie auch eine höhere Zurechnung bei der Bemessung der Rentenleistungen gewährt werden. Notwendig ist die Einführung von Freibeträgen bei der Anrechnung der eigenen Rentenleistungen auf die ergänzende Grundsicherung für langjährig Versicherte mit niedrigen Löhnen und Renten. Ihnen sind somit Rentenleistungen zu gewähren, die deutlich über dem Armutsniveau liegen. Dies ist die bei weitem bessere Alternative zu der Zuschussrente im Entwurf des „Lebensleistungsanerkennungesetzes“.

Die von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnte Rente mit 67 muss zumindest solange aufgeschoben – wenn nicht aufgehoben – werden, bis die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt sowie bei den persönlichen gesundheitlichen Voraussetzungen der betroffenen Menschen vorliegen. Ebenso notwendig ist die wirksame Bekämpfung der boomenden Niedriglohnsektoren, insbesondere durch: die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen nicht unter 8 Euro 50; die Einbeziehung grundsätzlich aller Arbeitsverhältnisse in die Sozialversicherungspflicht; die Durchsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bei Leiharbeit.

Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de).


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