Einst wurde dort die Leibspeise von Bundeskanzler Schröder serviert: Kalbsschnitzel mit gebackenen Kartoffelstäbchen und gebratenen Waldpilzen à la Gerhard Schröder. Jetzt ist es offensichtlich Pleite. Das Kanzler-Eck.
Auf meinem täglichen Spaziergang durch das Regierungsviertel kam ich gestern vor dem Kanzler-Eck zum Stehen. Und heute, wo sich doch Hartz IV zum zehnten Mal jährt, kam es mir in den Sinn, dass diese doch ziemlich heruntergekommene Immobilie irgendwie symbolisch für dieses Gesetzeswerk steht. Dunkel, leer, der Altkanzler, ein Schatten seiner selbst, aus dem Fenster des Kanzler-Eck auf die Straße schauend. Wie könnte diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte, das leider immer noch nicht Geschichte ist, sondern bittere Gegenwart und jetzt auch noch als Lösung für die Eurokrise gepriesen wird, obwohl es doch als ihre Ursache angesehen werden müsste, wie könnte zehn Jahren Hartz IV besser gedacht werden, als eben mit dieser Immobilie von trauriger Gestalt, die alles nur nicht Grund zum Feiern ausstrahlt?
Nicht einmal Franz Müntefering, damals Generalsekretär der SPD, kurze Zeit später Fraktionschef im Bundestag, dann Parteivorsitzender und sogar Vizekanzler, heute “normaler” SPD-Bundestagsabgeordneter, ist zum Feiern zu Mute! Was ihn freilich auch am heutigen Tag nicht davon abhielt, die Hartz-Gesetze zu verteidigen.
Ich stelle mir vor: Schröder zu seinen (nicht unseren) besten Zeiten im Kanzler-Eck: Im Brioni-Anzug am Tischende sitzend, eine Cohiba-Zigarre rauchend, um ihn herum eine Tafelrunde aus Lobbyisten aus allen Wirtschaftszweigen und buckelnden Parteigenossen – man weiß ja nie, wie lange die Politkarriere dauert, und so richtig verdient man ja auch nur in der “freien Wirtschaft”. Am anderen Tischende: Peter Hartz, Vorsitzender der Kommission “Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”. Schröder ist so richtig in seinem Element, nachdem er seine Leibspeise verputzt hat und sagt gerade:
“Niemandem aber wird künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt – und wir werden die Zumutbarkeitsregeln verändern – der, meine Damen und Herren, wird mit Sanktionen rechnen müssen.”
“Prost”, ruft er darauf seiner Tafelrunde – hier und im Zusammenhang mit Hartz IV durchaus auch als Gegenstück zu den “Tafeln” zu verstehen, die als Folge eben jener Gesetzgebung wie Pilze aus dem Boden schossen – mit großzügiger Geste zu. “Alles auf meine Rechnung” – die natürlich immer unsere Rechnung ist.
Und die Suppe auslöffeln müssen natürlich auch wir bzw. all diejenigen, die aus Angst, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in Hartz IV zu fallen, sich allzu gern in “Lohnzurückhaltung” üben; all diejenigen, die schon in Hartz IV sind und jeden Euro umdrehen müssen; alle diejenigen, denen der Hartz IV-Satz auch noch durch Sanktionen gekürzt wird und viele viele mehr.
Und was macht Müntefering: Er sieht immer noch ein Vermittlungsproblem – und nicht etwa, dass das, was er bis heute vergeblich zu vermitteln sucht, falsch sein könnte. Aber was will man von einem Politiker auch erwarten, der meint: “Nur, wer arbeitet, soll auch essen.” Ehrlicher kann man die Konsequenzen von Hartz IV für die Betroffenen nun wirklich nicht auf den Punkt bringen.
Das alles schert die SPD-Spitze bis heute nicht. Ist es aber wirklich so, wie der heutige SPD-Chef und Kanzlerkandidat, Sigmar Gabriel, jüngst verlauten ließ: “Die SPD war nie die Partei der Arbeitslosen.“? Nun gut, Gabriel steht damit sicher nicht allein in seiner Partei. Irgendwie ähnelt er ja auch schon ein bisschen dem Gerhard, wie er so an seiner Zigarre zieht. Meinetwegen, sein Schneider hat vielleicht wirklich noch nicht die Klasse des Schneiders von Schröder. Aber noch ist es ja auch ein bisschen hin bis zur nächsten Bundestagswahl.
Aber: Sozialdemokratische Politik geht auch anders. Das zeigen zumindest die SPD-Politiker und Politikerinnen, die sich ganz explizit gegen die Hartz IV Sanktionen wenden, darunter Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete und Kommunalpolitiker. Sie halten das nach zehn Jahren Hartz IV nicht für möglich? Dann schauen Sie doch einfach hier:
Aufruf: Farbe bekennen – gegen entwürdigende Hartz IV Praxis und für berufliche Förderung
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