Ist die SPD beim Thema Rente noch ernst zu nehmen?

Dem Parlamentarismus Ehre gemacht

Der rentenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Matthias W. Birkwald, hat dem Parlamentarismus endlich einmal wieder Ehre gemacht. Mit seiner umfangreichen Fragestellung zum Thema Rente hat er interessante Informationen der Bundesregierung eingefordert. Zwei zentrale Ergebnisse daraus sind: Im Vergleich zur Jahrtausendwende erhalten Menschen, die heute in Rente gehen, deutlich weniger Rente.

Entwicklung der Altersrenten 2000 bis 2011 (Zur Vergrößerung auf Tabelle klicken.) Quelle: Matthias Birkwald, Weniger Rente und mehr Arme und Minijobbende - Alte Vorboten der heranrauschenden Welle von Altersarmut

Und es gibt immer mehr Menschen, die im Rentenalter noch einer beruflichen Beschäftigung nachgehen.

Ausschließlich geringfügig Beschäftigte nach Altersgruppen, Entwicklung 2000 bis 2011 (Zur Vergrößerung auf Graphik klicken.) Quelle: Matthias Birkwald, Weniger Rente und mehr Arme und Minijobbende - Alte Vorboten der heranrauschenden Welle von Altersarmut

Da letztere in großer Zahl in Minijobs tätig sind, ist davon auszugehen, dass sie das nicht aus Lust an der Freud tun, sondern sich etwas hinzu verdienen müssen, um ihre Existenz zu sichern. Die Vorbemerkung, die die Bundesregierung ihrer Antwort voranstellt, kann vor diesem Hintergrund nur als borniert verstanden werden: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Rentenpolitischen Sprechers der Bundestagsfraktion Die Linke im Deutschen Bundestag, Matthias Birkwald (Zur Vergrößerung auf Bild klicken.)

Die Fragen, ausführlichen Antworten und detaillierten Zahlen zur Rente können diesem Dokument von Matthias Birkwald entnommen werden:

Matthias Birkwald, Weniger Rente mehr arme und minijobbende Alte, 28. August 2012

Keine Reaktion der SPD

Zu diesen besorgniserregenden Ergebissen findet sich, auch zwei Tage nach deren Veröffentlichung und breiter Wiedergabe in den Medien, keine Stellungnahme auch nur eines SPD-Politikers. Liegt das vielleicht daran, dass jene Entwicklung unmittelbare Konsequenz der von der SPD von 1998 bis 2009 zu verantwortenden Rentenpolitik ist, und dass selbst linken SPD Politikern da das Hemd der Partei immer noch näher ist als der Rock der Rentnerin? Oder, vielleicht schlimmer noch: Passen diese Ergebnisse auch nicht zu aktuellen Rentenvorstellungen, die derzeit in der SPD für ihre zukünftige Rentenpolitik ausgearbeitet und diskutiert werden?

Für letzteres spricht ein aktueller Leitantrag des Berliner SPD-Landesvorstands (Antrag 01/II/2012 Landesvorstand – Für eine solidarische und gerechte Alterssicherung – Strukturell armutsfest und lebensstandardsichernd).

Der als “links” geltende, neue Landesvorsitzende der Berliner SPD, Jan Stöß, kündigte jenen Leitantrag unter der Überschrift “Konzept für eine gerechte Rente” im Newsletter der Berliner SPD vom 24. August mit den Worten an:

“Die Berliner SPD bringt einen eigenen Vorschlag zur Debatte um die Alterssicherung ein. Angesichts eines wachsenden Niedriglohnsektors, Minijobs und der gesetzlich festgeschriebenen Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent bis 2030 sieht die Berliner SPD Handlungsbedarf, die Menschen im Alter vor Armut und sozialem Abstieg zu schützen.”

Weiter heißt es dort:

“In dem Rentenkonzept, das der SPD-Landesvorstand am 20. August einstimmig angenommen hat, heißt es: Die soziale Absicherung von Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit und Unfall ist eine gesellschaftliche Errungenschaft. Wir brauchen einen handlungsfähigen Sozialstaat, getragen von der Idee, dass alle Bürgerinnen und Bürger solidarisch füreinander einstehen[…]. Eine stärkere Regulierung des Arbeitsmarkts kann sich aber bei der Rente eben nur für die Zukunft auswirken. Die diskontinuierlichen Erwerbsverläufe der Vergangenheit sind schon jetzt in vielen Versichertenbiografien eingeschrieben und führen zu mageren Anwartschaften und Lücken bei der Rente.”

Das klingt zunächst einmal vielversprechend und problemorientiert.

Dann aber wird Jan Stöß mit den Worten zitiert:

“Wir können nicht tatenlos zuschauen, wie zukünftig immer mehr Menschen im Alter Armut und sozialer Abstieg droht´, erklärt der Landesvorsitzende Jan Stöß. ´Die Rente muss auf dem aktuellen Niveau stabilisiert werden, die weitere Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus müssen wir verhindern.” (Hervorhebung, T.H.)

Nun zeigen ja aber gerade die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen von Matthias Birkwald, dass schon das “aktuelle Niveau” nicht ausreicht, um Altersarmut und Existenznot zu verhindern. Und heißt es in dem oben zitierten Leitantrag nicht selbst, dass das Problem “magerer Anwartschaften und Lücken bei der Rente” “schon jetzt” eines ist? Wie kann man also dieses Niveau von heute nur “stabilisieren” wollen und das als “Konzept für eine gerechte Rente” bezeichnen?

Im Widerspruch zu den aus dem Leitantrag zitierten Problemaufriss steht auch der folgende Satz und die in ihm suggerierte Lösung: “Wer sein Leben lang in die Rentenkasse einbezahlt hat, muss am Ende davon leben können.” Der Leitantrag stellt doch selbst fest, dass es immer weniger Menschen gibt, die, aufgrund von zerrissenen Erwerbsbiographien, ein “Leben lang” in die Rentenkasse einbezahlt haben. Für die anderen heißt es aber nur vage: auch jene Menschen müssen abgesichert werden.

Beim Rentenniveau lohnt ein Blick zurück

Stöß weiter: “Das Einfrieren des Rentenniveaus auf dem heutigen Stand von ca. 51 % ließe sich durch eine moderate Anhebung des Beitragssatzes finanzieren.”

Mich hat in diesem Zusammenhang einmal interessiert, wie sich das Rentenniveau bis 1998 entwickelt hat: 1970 betrug das Rentenniveau 63,9 Prozent; 1998 waren es 70,3 Prozent (Otto G. Meyer, Rentenpolitik durch Statistik, Wirtschaftsdienst 1999/VII).

Ist unsere Gesellschaft seitdem etwa ärmer und unproduktiver geworden? Sicherlich nicht. Im Gegenteil, die Gesellschaft als Ganzes ist um vieles reicher und produktiver als 1970 und auch als 1998. Verschlechtert hat sich aber die Berechnungsgrundlage der Rente, die Rentenformel, und die Lohnentwicklung. Die Umlagefinanzierung der Rente wurde systematisch ausgehölt. Da will die SPD aber anscheinend nicht ran. Die Fakten aber kennt sie sicherlich besser als alle anderen. Schließlich hat sie die entsprechenden Gesetze geschrieben und durchgesetzt.

Selbst unter dem “linken” Landesvorsitzenden bekommt die SPD keinen Leitantrag zustande, der dies entsprechend problematisiert und nach alten und neuen Wegen sucht, um das Rentensystem wieder so auszustatten, dass es den Menschen im Alter eine normale Teilhabe in der Gesellschaft ermöglicht. Wer dann darüber hinaus noch arbeiten möchte – warum nicht! Aber bitte nicht um aufgrund der Rentensünden der SPD – und natürlich auch der GRÜNEN wie der heutigen schwarz-gelben Koalition – gerade nur die Existenz zu sichern.

SPD scheut Beitragsbemessungsgrenzen wie Teufel das Weihwasser

Jan Stöß und auch der Leitantrag der Berliner SPD sieht die Lösung in einer “moderaten Anhebung des Beitragssatzes”. Die Aufhebung oder auch nur die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen aber werden überhaupt nicht thematisiert.

Damit fallen sie hinter die inhaltliche Ausrichtung der Demokratischen Linken in der SPD, DL 21, zurück. So fragt deren Vorsitzende, Hilde Mattheis, in einem “Reader zur Rente“: “Ist die Beitragsbemessungsgrenze angesichts immer ungleicherer Einkommensverteilung noch gerechtfertigt, oder müssen hohe Einkommen nicht stärker in die Solidarität einbezogen werden?”

50 Prozent sollen bei SPD über Rente mit 67 entscheiden

Treu bleibt sich die SPD auch bei der Rente mit 67:

“Ein Einstieg in die Anhebung des Renteneintrittsalters ist erst dann möglich, wenn die rentennahen Jahrgänge, also die 60-bis 64-jährigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mindestens zu 50 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.”

Wie es den 50 Prozent ergehen soll, die nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, scheint die SPD nicht zu interessieren. Das hat Wirtschaft und Gesellschaft schon an anderer Stelle kritisiert.

Der Vorschlag der Berliner SPD ist daher wahrlich kein großer Wurf. Der Leitantrag bleibt der Rentenpolitik der SPD seit 1998 verhaftet, die für den jetzigen, schlechten status quo der Rente verantwortlich zeichnet; er ist anspruchslos und wird den Lebenssituationen vieler Menschen nicht gerecht.

Schon bei Einsetzung einer neunten Rentenkommission auf dem SPD-Bundesparteitag im Dezember vergangenen Jahres musste man sich fragen, ob man die SPD in punkto Rentenpolitik noch ernst nehmen kann. Vor dem Hintergrund dieses Leitantrags, muss man diese Frage leider weiterhin mit Nein beantworten.

Ein Silberstreif am Horizont – Die Demokratische Linke in der SPD

Hoffnung macht zur Zeit nur die Demokratische Linke in der SPD, die zum Thema Rente wie oben zitiert immerhin die Beitragsbemessungsgrenze in Frage stellt. Das Rentenpapier der DL 21 problematisiert auch das Rentenniveau stärker als es der Leitantrag der Berliner SPD unternimmt; allerdings mit Blick auf die Ausführungen oben zu den Rentenniveaus 1970/1998 immer noch nicht konsequent genug. Außerdem heißt es in einer just zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags erschienenen Meldung der Vorsitzenden der DL 21, Hilde Mattheis:

Eine solidarische, gerechte und lebensstandardsichernde Rente verwirklichen

Im Herbst wird die SPD über ihr Rentenkonzept entscheiden. Von dieser Entscheidung hängt sehr viel ab. Denn die Einführung der Rente mit 67 durch die damalige SPD-geführte Bundesregierung hat maßgeblich dazu geführt, dass sich ArbeitnehmerInnen von der SPD abgewandt haben. Die Erwartung an die SPD ist, dass sie sich gerade in der Frage der Rente wieder als Partei zeigt, die ihren Markenkern soziale Gerechtigkeit stärkt. Und auch innerhalb der Partei ist die Rentenfrage von zentraler Bedeutung.”

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