Alle sorgen sich um Schulden, vor allem Staatsschulden. Deswegen schreiben alle von einer Staatsschuldenkrise. Die Staatsschulden seien nicht nachhaltig, weil nicht von den nachkommenden Generationen zu schultern. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, die Eurokrise auch als einen Generationenkonflikt zu interpretieren. Das alles ist, weil es mit wenigen Ausnahmen jeder schreibt, sagt und zur politischen Handlungsmaxime erhebt, allzu bekannt. Richtig ist es dennoch nicht. Das Herzstück der Marktwirtschaft sind Investitionen.
Schulden entsprechen immer Ersparnissen
Schulden sind, wie es der Ökonom Heiner Flassbeck im Interview mit Wirtschaft und Gesellschaft vor einigen Tagen formulierte, “völlig selbstverständlich; wenn der eine spart, macht der andere Schulden; sonst könnte der eine gar nicht sparen. Wenn man den Menschen erst einmal erklärt, dass es Ersparnisse ohne Schulden gar nicht gibt, dann denken sie sofort ganz anders darüber nach.” Schulden und Geldvermögen (Ersparnisse) sind in der Gesamtwirtschaft immer gleich hoch.
Der Ökonom Claus Köhler beschreibt den dahinter liegenden Prozess sehr verständlich:
“Nimmt ein Unternehmen oder ein Privater Bankkredite auf, dann wird dieser Kreditnehmer mit dem aufgenommenen Betrag belastet (Bankschuldner). Zum selben Zeitpunkt wird einem Dritten dieser Betrag gutgeschrieben (Bankgläubiger). Die Schulden und die Geldvermögen (Ersparnisse) nehmen gleichzeitig zu. Will ein Wirtschaftssubjekt Schulden abbauen, dann setzt das voraus, dass er Einnahmen von dritter Seite erhält. Bei Dritten verringern sich also die Geldvermögen (Ersparnisse). Der Zahlungsempfänger benutzt diese Einnahmen, um seine Schulden zu verringern. Schulden und Ersparnisse nehmen gleichzeitig ab.”
Investitionen sorgen für Vermögenszuwachs
Investitonen aber bringen überhaupt erst etwas Neues in die Welt. Ohne Investitionen keine Ersparnis. Investitionen bestimmen den Vermögenszuwachs einer Volkswirtschaft. Die Vermögensvermehrung einer Volkswirtschaft entspricht dabei stets der Sachvermögensvermehrung.
Der Ökonom Wolfgang Stützel erklärt dies wie folgt:
“Partialsatz: Bei jedem Wirtschaftssubjekt und jeder Gruppe kann der Zuwachs des eigenen Vermögens vom Zuwachs des eigenen Sachvermögens abweichen. (Sie können nämlich ihr Geldvermögen verändern.)
Größenmechanik: Jede Einzelwirtschaft und jede Gruppe kann nur in dem Falle und in dem Maße ihr Vermögen über ihr Sachvermögen ausdehnen, in dem die jeweilige Komplementärgruppe ihr Vermögen kleiner hält als ihr Sachvermögen. Andererseits wird eine Gruppe stets eine Vermögensvergrößerung ´erleiden´, die über ihre Sachvermögensvergrößerung hinausgeht, sooft ihre Komplementärgruppe ihr Sachvermögen über ihr Vermögen hinaus vergrößert. (Die ´Komplementärgruppe´ kann ja nur dadurch ihr Sachvermögen über ihr Vermögen hinaus vergrößern, dass sie ihre Geldvermögen vermindert, also ihre Kasse vermindert oder ihre Nettoverschuldung vermehrt. Damit hat sie aber auch schon das Geldvermögen der ersten ´Gruppe´ vergrößert, so dass deren Gesamtvermögen stärker wächst als ihr Sachvermögen.)
Globalsatz: In der Gesamtwirtschaft und im Durchschnitt aller Einzelwirtschaften ist die Vermögensvermehrung stets genau gleich der Sachvermögensvermehrung. Falls Beobachtungen zu einem anderen Ergebnis kommen, sind sie falsch.”
Erfolgreiche Investitionen in neue Produktionsprozesse, Produktionsanlagen und Produkte sichern aus dem daraus erwachsenen Sach-Kapitalstock, der eine steigende Produktivität ermöglicht, dass sich der Lebensstandard gegenwärtiger und zukünftiger Generationen hält oder sogar verbessert. Von daher ist es auch gerecht(fertigt), dass sich die gegenwärtigen wie die zukünftigen Generationen an der Bedienung von Schulden, also an Zinsen und Tilgung, beteiligen, sind sie doch, wie Claus Köhler feststellt, “auch Nutzer der hinter diesen Schulden stehenden Investitionen.” Auch die aktuell angestrebte Energiewende ist ohne Investitionen nicht vorstellbar. Und auch von dieser werden gerade die zukünftigen Generationen profitieren. Wenn etwas unsere Gegenwart und die Zukunft nachkommender Generationen tangiert, sind es daher Investitionen. Daher ist es verwunderlich, dass man so viel über Schulden liest, nicht aber über Investitionen. Wie ist es also um diese bestellt?
Herzinfarkt für Wirtschaftsentwicklung: Bruttoanlageinvestitionen immer noch unter Vorkrisenniveau und in vielen Ländern negativ
Ein Blick auf die Entwicklung der Bruttoanlageinvestitionen (Ausrüstungen, Bauten, sonstige Anlagen) in der Eurozone zeigt, dass der Euroraum weit davon entfernt ist, das Vorkrisenniveau wieder zu erreichen – weiter denn je, denn die Tendenz ist weiter fallend. Ein Mediziner würde an dieser Stelle wohl von einem Herzinfarkt sprechen und auf Wiederbelebungsmaßnahmen drängen – nicht aber darauf, dem Patienten auch noch die Luft zum Atmen zu nehmen, wie es derzeit durch einseitige Ausgabenkürzungen mit Blick auf die Staatsschulden geschieht.
In den USA sieht die Entwicklung schon etwas besser aus. Interessant dabei ist auch, dass sich in den USA zuletzt sowohl die privaten wie die öffentlichen Investitionen verbessert haben, während in der Eurozone beide Werte nach unten weisen und 2012 auch die privaten Investitionen drohen, negativ zu werden.
Schon diese Graphiken zeigen, dass – zumindest in der Krise – der Markt bzw. die privaten Unternehmen, nicht mehr investieren, wenn der Staat sich zurückzieht, was diejenigen, die den Markt predigen und den Staat verteufeln, vor allem den Sozialstaat, wie selbstverständlich unterstellen. Gerade in der Eurozone zeigt das Bild auch vor der Krise einen auffällig parallelen Verlauf von privaten und öffentlichen Investitionen. Der Ökonom Wilhelm Lautenbach schrieb hierzu bereits in den 1930er Jahren:
“Würde der Staat sich plötzlich als Auftraggeber in ganz großem Umfang zurückziehen, so würde dies peinliche Schockwirkungen hervorrufen; nur in dem Maße, in dem die private Wirtschaft ihn als Investor ablöst, kann er sich zurückziehen, ohne Rückschlagsgefahren heraufzubeschwören.”
Das Bild für die Eurozone bestätigt sich auch für Deutschland, das als größte Volkswirtschaft in der Eurozone deren Verlauf der Investitionen insgesamt maßgeblich bestimmt.
Die antizyklische Politik bzw. die deutschen Konjunkturprogramme 2008/2009 sind klar erkennbar – ebenso wie ihr schnelles Auslaufen mit Antritt der schwarz-gelben Koalition. Das Statistische Bundesamt stellt hierzu fest:”Die Konjunkturprogramme der Bundesregierung zeigten besonders im öffentlichen Hochbau ihre Wirkung: ab dem dritten Vierteljahr 2009 sind hier zweistellige Zuwachsraten zu verzeichnen, sowohl preisbereinigt, als auch in jeweiligen Preisen.”
Wie sieht es nun in den Krisenländern Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien aus?
In Griechenland sind die staatlichen wie die privaten Investitionen nach 2008 eingebrochen und seitdem negativ; das Gleiche gilt für Irland. In Portugal waren die staatlichen Investitionen nach 2008 zunächst noch positiv, während die privaten 2009 bereits um 10 Prozent schrumpften und bis heute negativ sind; 2011 aber zeigen die Daten auch einen Rückgang der staatlichen Investitionen von 50 Prozent. Dem Verlauf in Portugal gleicht der in Spanien. Italien hatte schon Jahre vor der Finanzkrise eine äußerst schwache Investitionsentwicklung, sowohl der privaten wie der öffentlichen; staatliche wie private Investitionen sind in Italien aktuell negativ.
Interessant ist schließlich noch die Entwicklung in Frankreich, wo sich in den Jahren 2001 bis 2005 die privaten wie die staatlichen Investitionen wesentlich positiver entwickelten als in Deutschland. Es war die Zeit in Deutschland, in der unter der rot-grünen Bundesregierung der Staat erst so richtig als Störenfried der Wirtschaft begriffen wurde. Der damalige Finanzminister Hans Eichel ließ im Frühjahr 2001 verlauten: “Für ausgabenwirksame Konjunkturprogramme ist weder heute noch in den kommenden Jahren finanzieller Spielraum vorhanden.” Schon damals wurde das Sparen über Ausgabenkürzungen zum wirtschaftspolitischen Crédo. Es scheiterte schon damals. Eichel sparte Deutschland regelrecht in eine Rezession hinein.
Claus Köhler hält hierzu fest:
“Es ist schwer verständlich, ja erscheint unverantwortlich, wenn ein Staat angesichts sich verschlechternder wirtschaftlicher Lage Konjunkturprogramme ablehnt. Ein Haushalt, dessen öffentliche Ausgaben gemessen am nominalen BIP ungefähr 50 % und dessen Steuereinnahmen und Abgabenerlöse annährend 40 % betragen, hat immer Möglichkeiten, konjunkturglättend einzugreifen. Das Gegenteil war der Fall. Die Spardoktrin nahm auch die öffentlichen Bruttoinvestitionen, die direkt für die Bauwirtschaft und indirekt für die übrige Wirtschaft bedeutsam sind, nicht aus. Sie wurden von 1999 (37,8 Mrd. Euro) Jahr für Jahr zurückgeführt. Im Jahre 2003 betrugen sie 31,1 Mrd. Euro.”
Das ist natürlich keine erschöpfende Analyse, die in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann. Die schwache bzw. negative Entwicklung der privaten wie der öffentlichen Investitionen müsste die Politik aufgrund der skizzierten Zusammenhänge jedoch mehr umtreiben als die fruchtlose und kontraproduktive Schuldendebatte. Die Entwicklung der Investitionen ist ein Indiz dafür, dass wir nicht zu viel, sondern zu wenig ausgeben, um die gegenwärtigen Probleme in den Griff zu bekommen und die Zukunft zu gestalten. Wie schrieb schon ein Klassiker der Politischen Ökonomie: “Akkumuliert, Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten! Die Industrie liefert das Material, welches die Sparsamkeit akkumuliert.” Es war Karl Marx. Sein Gegenstand war der Kapitalismus oder, wie wir ihn in Deutschland, anders als in der angelsächsischen Welt, wo sich der Begriff bis heute gehalten hat, nennen: die Marktwirtschaft.
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