Heute jährt sich der Todestag von Hermann Hesse zum 50. Mal. Aber was heißt schon Todestag? Hesse lebt! Ein Beispiel gefällig? Hier ist eines:
“Ihr seid aber da, um ihr selbst zu sein. Ihr seid da, damit die Welt um diesen Klang, um diesen Ton, um diesen Schatten reicher sei. Sei du selbst, so ist die Welt reich und schön! Sei nicht du selbst, sei Lügner und Feigling, so ist die Welt arm und scheint dir der Verbesserung bedürftig.”
Und wer würde nicht an die weitverbreitete Heuchelei und die Kluft zwischen politischem Anspruch und persönlicher Wirklichkeit von vielen Protagonisten von rechts bis links im heutigen Politikbetrieb in Deutschland und weltweit denken, wenn es im Anschluss an die obige Zeilen heißt:
“Gerade jetzt, in dieser wunderlichen Zeit, wird das Lied von der Weltverbesserung wieder so heftig gesungen, so heftig gebrüllt. Wie übel und trunken es doch klingt, hört ihr´s nicht? Wie wenig zart, wie wenig glücklich, wie so wenig klug und weise es klingt! Und dies Lied ist wie ein Rahmen, den man um jedes Bild passen kann. Es passte um den Kaiser und um den Schutzmann, es passte um eure berühmten deutschen Professoren, um Zarathustras alte Freunde! Dies geschmacklose Lied passte auf Demokratie und Sozialismus, auf Völkerbund und Weltfrieden, auf Abschaffung des Nationalismus und auf neuen Nationalismus. Es wird euch von euren Feinden gesungen, in einem Chor, wo einer wider den anderen singt, einer den anderen totsingen möchte. Merkt ihr nicht: Überall, wo dies Lied angestimmt wird, da sind Fäuste in der Tasche geballt, da geht es um Eigennutz und um Selbstsucht – ach, nicht um jene Selbstsucht des Edlen, der sein Selbst zu erhöhen und zu stählen denkt, sondern um Geld und Geldbeutel, um Eitelkeiten und Einbildungen. Da, wo der Mensch sich seiner Selbstsucht zu schämen beginnt, da fängt er an, von Weltverbesserung zu reden, sich hinter solche Worte zu verstecken.” (Hermann Hesse, Weltverbesserung)
Und wer würde nicht an Deutschland und die vom hiesigen Politik- und Medienbetrieb geschürten Ressentiments gegen Griechenland denken, wenn er diese Zeilen liest:
“Habt ihr euch nie darüber besonnen, woher es kommt, dass der Deutsche so wenig geliebt, dass er so sehr, so tief gehasst, so sehr gefürchtet, so leidenschaftlich gemieden war?…Ja, ihr habt es bemerkt, mit tiefem Unwillen, und waret stolz darauf, so verlassen, so allein, so missverstanden zu sein. – Aber höret, ihr wart nicht missverstanden! Ihr waret es selbst, welche nicht verstandet, welche Irrtümern unterlagert…Ihr sagt: nein, es war unser Geld, es waren unsere Erfolge! Und vielleicht meinte der Feind es auch so, wie ihr in eurer Krämerlogik rechnet. Aber die Gründe liegen immer tiefer als unser Meinen, und gar als ein gewisses flaches, rasches Fabrikantenmeinen. Mochten die Feinde euch euer Geld missgönnen, mochte das sie neidisch machen! Aber es gibt auch Erfolge, die keinen Neid erregen, denen die Welt zujubelt. Warum habt ihr nie solche Erfolge gehabt, warum immer nur jene andern?” (Hermann Hesse, Vom Deutschen)
Es sind seine Unabhängigkeit, seine Eigenständigkeit, die Hesse so lebendig, so aktuell machen, in der um sich greifenden Einförmigkeit und Angepasstheit in Politik, im Journalismus, im Denken vieler Menschen. Was hilft es Schulen mit dem Namen Hermann Hesse zu schmücken, wenn es ihnen nicht gelingt, dessen Werte zu vermitteln?
Es sind Hesses schöne, einfühlsame Sprache, seine dichterische Musikalität, seine Menschenliebe, die vielleicht mehr den je die Sehnsucht der Menschen wecken und erfüllen, deren Inneres noch nicht von der uns oktroyierten Betriebsamkeit abgetötet worden ist, die unseren Alltag unter dem Deckmantel der “Eigenverantwortung” mehr und mehr zu einer Zwangsjacke hat werden lassen, aus der nur noch wenige auszubrechen vermögen und die immer mehr Menschen verzweifelt zurücklässt. Sie können in Hesses Literatur eintauchen, in seine Bilder oder auch in seine oben zitierten politischen Schriften und von einer besseren Welt träumen, sie vielleicht sogar für sich entdecken und Wirklichkeit werden lassen. Und deswegen: Lest Hesse!
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